Staatspräsident Xi Jinping beim Volkskongress in China. (dpa)
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Der Covid-19-Ausbruch, der im Dezember in China auftrat und sich dann auf der ganzen Welt ausbreitete, hat unsere Agenda vollständig im Griff. Es ist offensichtlich, dass der Ausbruch Auswirkungen auf Chinas Politik und wirtschaftliche Nachhaltigkeitsziele haben wird. Ebenso auf das internationale System, die globale Weltwirtschaft und den anhaltenden Großmachtwettbewerb mit den USA.

Die chinesische Außenpolitik und Covid-19

Die Ausrichtung der Orientierungsperiode Chinas innerhalb seiner Außenpolitik, die seit den 1980er Jahren in den Außenhandelsprozess eingetreten ist, um sich der Welt zu öffnen, hat nach der Mitgliedschaft in der Welthandelsorganisation 2001, den Olympischen Spielen 2008 in Peking und der globalen Finanzkrise 2008 neue Phasen erreicht. China hat von der Zeit nach der globalen Finanzkrise 2008 profitiert, sein großes Wirtschaftswachstum fortgesetzt, neue Märkte erreicht und eine wirtschaftspolitische gegenseitige Interdependenz-Beziehung mit der westlichen Welt aufgenommen.

Insbesondere in der Zeit von Staatspräsident Xi Jinping wurde China vor den Augen des internationalen Systems als „revisionistische Macht" definiert. China hat traditionell eine pazifistische Ausrichtung in der Außenpolitik. Sie ist geprägt von Schlagwörtern und Sätzen wie „friedlicher Aufstieg", „gemeinsames Schicksal der Menschheit", „Win-Win-Cooperation" und „Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Länder". Ähnliche Konzepte finden sich heute weiterhin in den Reden von Xi.

China unternimmt jedoch während der Zeit von Xi verschiedene Schritte - nicht nur auf der Ebene des Diskurses. Diese Schritte Chinas werden insbesondere von den USA kritisch bewertet.

Chinas Stärkung der Zusammenarbeit und der militärisch-technologischen Kapazitäten entwickelten sich zu einer Alternative zu den Institutionen des westlichen Systems, der Kooperationsebene, die mit Russland entwickelt werden soll, der Generierungs- und Kooperationsmechanismen im Nahen Osten, im Mittelmeerraum und in Europa für die Nachfolge der USA mit der Belt-Road-Initiative. Diese Aspekte können als Werkzeuge der außenpolitischen Suche betrachtet werden.

Chinas internationale Position wandelte sich nach SARS (2002 bis 2020)

Der SARS-Ausbruch im Jahr 2002 betraf ein relativ begrenztes Gebiet und endete nach kurzer Zeit wieder. SARS blockierte die Bemühungen Chinas, das zu dieser Zeit erst neu WTO-Mitglied wurde, im Rahmen des Bewerbungsprozesses für die Olympischen Spiele 2008 eine Präsentation des Landes auf der Weltbühne zu organisieren. Heute hat sich das Coronavirus auf der ganzen Welt verbreitet und es scheint noch eine Weile weiter Verbreitung zu finden. Natürlich unterscheidet sich die derzeitige Position Chinas sowohl in Bezug auf seine wirtschaftliche Größe als auch in Bezug auf außenpolitische Instrumente erheblich von 2002. Im Vergleich zu SARS steht China heute mit der Covid-19-Krise vor einer größeren Herausforderung.

Die aktuellen Debatten schreiten im Zusammenhang mit den Auswirkungen von Covid-19 auf den großen Machtwettbewerb zwischen den USA und China voran. Bis Covid-19 setzte sich der Wettbewerb in vielen Konfliktbereichen zwischen den USA und China fort - in der gegenwärtigen Situation rückte die Epidemie-Agenda diese Problembereiche jedoch in den Hintergrund.

Man kann davon ausgehen, dass der Diskurskrieg zwischen den USA und China während den Lösungsdiskussionen zu Impfstoffen und Medizin gegen Covid-19 auf einem holprigen Kurs weiterlaufen wird. Es wurde zudem beobachtet, dass sich die Diskurse in der vergangenen Woche verschärften. Nach dem G20-Gipfel gingen die Spannungen zwischen den beiden Ländern jedoch leicht zurück und es wurden Kooperationsbotschaften ausgetauscht. Natürlich darf nicht vergessen werden, dass diese Situation nicht von Dauer ist. Wenn berücksichtigt wird, dass sich die USA im Wahlprozess befinden, kann es noch zu einem harten Kurs gegen China kommen.

Europa könnte neues Testgebiet für USA-China-Konflikt sein

Es ist zu erwarten, dass diese Auseinandersetzung in nächster Zeit in Europa fortgesetzt wird. China strebt seit langem eine Zusammenarbeit mit vielen europäischen Ländern an, insbesondere mit Deutschland. Parallel zum Covid-19-Kampf beschleunigten sich auch Chinas Initiativen gegenüber Europa. Nachdem mit Unterstützung erfahrener Mitarbeiter und medizinischer Geräte der Sieg im Kampf gegen das Virus erklärt wurde, wird nun die Wahrnehmung eines barmherzigen Chinas, das Europa hilft, gestärkt. Dies kann natürlich auch als ein Versuch angesehen werden, die negativen globalen Wahrnehmungen von China auszubessern. Einige europäische Länder, insbesondere Serbien und Italien, entwickeln ihre Zusammenarbeit mit China weiter und kritisieren die mangelnde Anteilnahme der EU.

Auch hier wird Chinas Hilfe für den Iran und den Irak im Nahen Osten fortgesetzt. Natürlich sind diese Regionen auch Teil der chinesischen Belt and Road Initiative (BRI). Es scheint, als seien Chinas außenpolitische Instrumente durch die „Gesundheitsdiplomatie" erweitert worden.

Der Pazifikraum ist ein weiteres Konfliktgebiet. Es wird argumentiert, dass China, falls das Virus die US-Armee befällt, insbesondere die Kräfte im Südchinesischen Meer mobilisieren kann. Natürlich sollte diese Situation rational bewertet werden. Es ist unwahrscheinlich, dass China in einer solchen Zeit einen militärischen Schritt unternimmt. Vor allem vor dem aktuellen Hintergrund: China bekommt derzeit die Gelegenheit, sich gegenüber der Welt von der positiven Seite zu präsentieren und die Basis für eine Zusammenarbeit mit Europa zu entwickeln.

Allgemein betrachtet kann China seine Außenpolitik in der kommenden Zeit hauptsächlich auf zwei Hauptebenen positionieren:

Zunächst will man das globale Image aufpolieren. Aufgrund der Mängel und Nachlässigkeiten bei der Verhinderung der Epidemie und rechtzeitigen Information der Weltgemeinschaft könnte das gepredigte Bild von einem „China, das der Welt hilft" schaden nehmen - und das Land zu neuen Kooperations- und Hilfsmaßnahmen bewegen.

Zweitens kann China seinen Diskurs stärken, um der Welt sein System zu erklären – und die Mängel sowie Funktionsstörungen westlicher Institutionen aus einer systematischeren Perspektive hervorzuheben. China kann seinen politischen Einfluss vertiefen, indem es unter Beweis stellt, dass es die führende Seite im Großmachtwettbewerb mit den USA geworden ist.

Was erwartet die chinesische Wirtschaft nach Covid-19?

Nachdem der Sieg gegen das Virus in China erklärt wurde, beginnt nun der zweite Kampf, der auf wirtschaftlicher Ebene geführt wird. Natürlich geht es hier nicht nur um China. Die schrittweise Verbreitung des Virus auf der ganzen Welt führt dazu, dass der Heilungsprozess stufenweise abläuft. Selbst wenn die Produktion in China mit voller Kapazität beginnt, erreicht China aus diesem Grund möglicherweise nicht die angestrebten Wachstumsraten für den Rest des Jahres, da die Nachfrage auf dem Weltmarkt unzureichend ist oder die Lieferketten unterbrochen werden.

Fraglich ist auch, ob China die Nachfrage seines eigenen Volkes stillen kann. Derzeit ist China mit einem wirtschaftlichen Rückgang konfrontiert, den es seit 40 Jahren nicht mehr erlebt hat. Während der Bekämpfung des Virus verloren in China acht Millionen Menschen ihre Arbeit.

Präsident Xi hatte zwei wichtige Wirtschaftsziele für das Jahr 2020 formuliert: Beendigung der Armut auf dem chinesischen Festland und Verdoppelung der chinesischen Wirtschaft gegenüber 2010. Nun sind aber beide Ziele gefährdet. Nachdem in China die Ausbreitung des Virus unter Kontrolle gebracht wurde, hat sich das Leben langsam wieder normalisiert. Es ist aber noch völlig offen, wie viel Zeit und Anstrengung es bedarf, um nach diesem „plötzlichen Stopp“ der Wirtschaft wieder von vorne zu beginnen. Diese Unsicherheit wird selbstverständlich nicht nur die Zukunft der Wirtschaft in China beeinflussen, sondern weltweit. Hier ist die Entscheidung, die beim G20-Gipfel getroffen wurde, wichtig. Genauso wie die Verbreitung des Virus ist auch die weltweite Ausbreitung wirtschaftlicher Probleme eine Bedrohung. Angesichts der Zukunft des Fünf-Billionen-US-Dollar-Rettungspakets der G20 ist zu erwarten, dass wirtschaftliche Streitigkeiten zwischen den USA und China noch eine Weile reibungslos verlaufen werden. Natürlich sollte hier erneut auf die Möglichkeit hingewiesen werden, dass sich die USA in der Wahlphase befinden und Trump den Diskurs verhärten könnte.

Xi Jinping steht vor dem „größten" Test seiner Präsidentschaftszeit

Für Xi ist die Covid-19-Phase sowohl eine Chance als auch eine Bedrohung. Im Vergleich zu Europa und den USA herrscht in China im Gegensatz zu der Hektik und Unordnung im Westen eine kontrollierte Ordnung. Wichtig ist aber auch: China war nicht transparent genug und hielt das Virus und die Daten dazu für lange Zeit verborgen.

China hat im März den Sieg über die Epidemie erklärt, aber das Land trägt als Ursprungsort des Coronavirus die Verantwortung für die weltweite Ausbreitung. Es ist bekannt, dass einige Ärzte und Journalisten, die versuchten, Informationen über das Virus auszutauschen, im Dezember durchsucht wurden. Derzeit scheint die Schuld für die Nachlässigkeit zu Beginn des Ausbruchs auf die Rechnung der Stadtverwalter von Wuhan zu gehen.

Es besteht weiterhin die Erwartung, dass es zu sozialen Unruhen in China kommt: aufgrund der Praktiken, die zu Menschenrechtsverletzungen im Kampf gegen die Epidemie führten, wegen unzureichender Gesundheitsmaßnahmen und wegen des Rückgangs des öffentlichen Allgemeinbefindens. Diskussion darüber fanden im Westen bereits vor dem Virus statt. Hinzu kommt die anhaltende Konfliktsituation mit Hongkong und Taiwan.

Es ist bekannt, dass in China seit vielen Jahren ein inoffizieller „Vertrag über den sozialen Zusammenhalt" zwischen Staat und Gesellschaft besteht. Die größte Sorge der chinesischen Innenpolitik ist heute, dass dieser harmonische soziale Zusammenhalt beschädigt werden könnte. Einige Protestbilder aus der Stadt Wuhan, die über Monate fast vollständig isoliert war, wurden in den sozialen Medien vielfach geteilt. Auch hier wird die Art und Weise, wie China innen und außen gegen mögliche soziale Unruhen vorgeht, sorgfältig verfolgt. Nach dem Tiananmen-Massaker vor dreißig Jahren und den Ereignissen in Hongkong im vergangenen Jahr kann es in China zu neuen und ernsthaften Unruhen kommen.

Dieser Prozess sollte auf jeden Fall als Testlauf für zukünftige Ereignisse angesehen werden. Neben der organisatorischen Stärke und der Kapazität der chinesischen Politik für die Gesundheitsinfrastruktur werden die Zukunft des chinesischen Systems und sein Vergleich mit dem Westen von nun an auf der Tagesordnung stehen. In gewisser Weise wird diese Krise als Spiegelbild der größten politischen Herausforderung angesehen, vor der Xi steht - der zusammen mit Mao und Deng als eines der „legendären Staatsoberhäupter" gilt. Er will der Welt den Erfolg des chinesischen Systems beweisen.

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