Archivbild. 16. September 2019: Die Spitzenkandidaten für die kommende Bundestagswahl von CDU/CSU, Armin Laschet (r), Bündnis 90/Die Grünen, Annalena Baerbock (l), und der SPD, Olaf Scholz. (dpa)
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Knapp zwei Monate vor der Bundestagswahl werden mögliche Regierungskonstellationen in der Öffentlichkeit diskutiert. Vielerlei Farbspiele bestimmen schon jetzt die Nachrichten- und Kommentarspalten der Zeitungen. Seit 1961 konnte keine Partei die absolute Mehrheit im Deutschen Bundestag erreichen. Seitdem wechseln regelmäßig folgende vier Bündnisse im Bundestag: Die schwarz-gelbe Koalition (CDU/CSU + FDP), die Große Koalition (CDU/CSU + SPD), die sozialliberale Koalition (SPD + FDP) oder die rot-grüne Koalition (SPD + Bündnis 90/Die Grünen). Aktuell scheint jedoch keines dieser Bündnisse eine Mehrheit zu besitzen. Einen Hauptgrund dafür bildet die AfD. Erstmals seit den 1950er-Jahren sitzen wieder sieben Parteien im bundesdeutschen Parlament. Seit die AfD 2017 mit fast 13 Prozent der Stimmen in den 19. Deutschen Bundestag einzog, gestalten sich herkömmliche Koalitionen ungemein schwieriger als bisher. Ähnliche Komplikationen sind auch in den Landesparlamenten zu beobachten. Vor allem die ostdeutschen Bundesländer machen diesbezüglich von sich reden. Was die demokratischen Parteien immer mehr in die Verzweiflung treibt, freut die AfD. Sie freut sich über die mögliche „Unregierbarkeit“ und darüber, dass sie das etablierte System aus der Balance bringt.

Diese Koalitionen scheinen derzeit möglich

Laut Info-Seite zur diesjährigen Bundestagswahl www.bundestagswahl-2021.de/ wird das zukünftige Parlament mit 598 Sitzen besetzt. Bei einer fiktiven Sitzverteilung ohne Ausgleichs- und Überhangmandate ergibt sich damit ab 300 Sitzen eine Mehrheit im 20. Deutschen Bundestag. Vor dem Hintergrund aktueller Umfragewerte ergeben sich im Moment fünf Koalitionsmöglichkeiten:

A – Schwarz-rot-grüne Koalition aus Union, SPD und Grünen (auch Kenia-Koalition genannt)

B – Schwarz-gelb-grüne Koalition aus Union, FDP und Grünen (auch Jamaika-Koalition genannt)

C – Schwarz-rot-gelbe Koalition aus Union, SPD und FDP (auch Deutschland-Koalition genannt)

D – Schwarz-grüne Koalition aus CDU/CSU und Grünen

E – Grün-rot-gelbe Koalition aus Grünen, SPD und FDP (auch Ampel-Koalition genannt)

Schwarz-Grün gilt als wahrscheinlich

Aktuell hätte ein schwarz-grünes Bündnis ohne die Sozialdemokraten oder die liberale FDP mit 303 Sitzen eine überaus knappe Mehrheit. Wohl deshalb wird in der Öffentlichkeit vielfach auf ein denkbares schwarz-grünes Bündnis hingewiesen. Die Regierungskoalitionen zwischen CDU und Grünen in Baden-Württemberg und Hessen dienen für die künftige Bundesregierung als Vorbilder. Die alten grünen Revolutionäre von früher wie Daniel Cohn-Bendit, Joschka Fischer, Jürgen Trittin oder Hans-Christian Ströbele gibt es heute kaum noch. Die Partei hat sich in den letzten Jahrzehnten weit nach rechts bewegt, was oft mit „bürgerlich“ umschrieben wird. Und: Sie bedient heute immer mehr konservative Wählerschichten. Früher fühlten sich Benachteiligte und sozial Deklassierte durchaus von der Ökopartei repräsentiert. Heute trifft dies eher auf die gut verdienende Mittelschicht zu. Auch die derzeitige Nähe zu Industrie und Wirtschaft wäre in der Vergangenheit nicht denkbar, ja sogar verpönt gewesen. So wachsen Bündnis 90/Die Grünen heute immer mehr in die Rolle der FDP hinein, welche die meisten Schnittmengen zur CDU/CSU besitzt. Genau deshalb ist eine schwarz-grüne Allianz, wenn die Mehrheiten es zulassen, auch nicht aus der Luft gegriffen, sondern sehr wahrscheinlich. Einen entscheidenden Vorteil hätte dieses Bündnis allerdings schon: Es wäre nach der kommenden Bundestagswahl das einzige, bei dem sich nur zwei Fraktionen einigen müssten. Dreierkonstellationen sind dagegen viel mühsamer und fragiler, bergen sie doch die Gefahr, dass einzelne Abweichler das gesamte Projekt zum Scheitern bringen könnten.

Kenia-Koalition ist unpopulär

Dennoch gäbe es mehrere Optionen für Dreierbündnisse: So gibt es z.B. eine Möglichkeit, auch wenn sie im Moment für weniger wahrscheinlich gehalten wird, für eine schwarz-rot-grüne Koalition. Ein Jamaika-Bündnis käme derzeit auf stabile 406 Sitze. Aber ob die dramatisch schwächelnde SPD sich noch einmal an die Regierung wagt bzw. wagen sollte, ist eine andere Frage. Die SPD unter Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans wäre besser beraten, sich in der nächsten Legislaturperiode in der parlamentarischen Opposition zu regenerieren. Denn manchmal ist es ratsamer, einen Schritt zurück zu machen, um Anlauf zu nehmen und zwei Schritte nach vorn gehen zu können. Eine nach den Bundestagswahlen demoralisierte SPD täte gut daran, diesmal nicht auf den alten Parteichef und SPD-Urgestein Franz Müntefering zu hören. Von ihm stammt bekanntlich der Satz: „Opposition ist Mist“. Die SPD, die seit 1998 mit Ausnahme der Jahre 2009 bis 2013 ununterbrochen regiert, könnte eine Regierungspause sehr gut vertragen.

FDP offen für „Jamaika“

Wahrscheinlicher gilt dagegen ein mögliches Bündnis aus Union, Grünen und FDP. Bei der letzten Bundestagswahl hatte FDP-Chef Christian Lindner einer solchen Jamaika-Koalition aufgrund unüberbrückbarer Differenzen eine Absage erteilt und sich aus der Regierungsverantwortung zurückgezogen. Nachdem die Partei bei der Bundestagswahl 2013 die Fünf-Prozent-Hürde knapp verfehlt hatte und damit seit 1949 erstmals nicht ins Parlament einziehen konnte, zog Lindner es vor, sich in der Opposition zu sammeln und sich dann mit umso mehr Gewicht zurückzumelden. Die Strategie des liberalen Parteivorsitzenden scheint aufzugehen: Denn sollte es nach den Wahlen im September nicht für eine schwarz-grüne Mehrheit reichen, gilt ein Bündnis der drei Parteien als nicht unwahrscheinlich. Diesmal zeigt sich die FDP offener für eine solche Allianz. Zusammen kämen die drei Fraktionen auf gegenwärtig 383 von 598 Sitzen im Bundestag und hätten somit eine stabile Mehrheit.

Ampel- und Deutschland-Koalition

Rechnerisch durchaus möglich ist zudem noch die Ampelkoalition bestehend aus SPD, FDP und Grünen. Dieses Bündnis käme im Moment auf 305 Sitze im Bundestag, hätte also eine knappe Mehrheit. Allerdings scheint es kaum vorstellbar, dass die FDP mit Christian Lindner an ihrer Spitze solch einer Allianz beitritt. Lindner selbst bezeichnet diese Konstellation als „unwahrscheinlich“. Daneben hätte eine Deutschland-Koalition aus Union, SPD und FDP mit gegenwärtig 364 Sitzen eine komfortablere Mehrheit im Bundestag als eine Ampel-Koalition. Aber auch dieses Bündnis erscheint im Moment nur als Rechenspiel. Zugleich hat diese Konstellation unter Unionspolitikern mehr Befürworter als bei der SPD. Die Basis der SPD kann sich überhaupt nicht mit einer solchen Idee anfreunden. Dagegen hält sich die FDP alle Optionen offen, ausgenommen mit der AfD. Fest steht: Die vielen Möglichkeiten zu regieren machen die Bundestagswahlen dieses Jahr so spannend wie noch nie.

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