EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (Reuters)
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Während der Krieg zwischen Russland und der Ukraine weiterhin wütet, gibt es parallel neue Entwicklungen, die das Potential haben, für eine positive Agenda in den Beziehungen zwischen der Türkei und Europa, die lange Zeit von hohen Spannungen geprägt waren, zu sorgen. Am Rande des außerordentlichen NATO-Gipfels in der vergangenen Woche erklärten die Staats- und Regierungschefs der Türkei, Frankreichs und Italiens, die Anstrengungen zur Einbeziehung der Türkei in das von Frankreich und Italien gemeinsam entwickelte Luftverteidigungssystem SAMP/T sollten intensiviert werden. Tatsächlich hatten sich die drei Staaten schon 2017 auf diese Zusammenarbeit geeinigt, aber aufgrund der in den Jahren aufgetretenen politischen Spannungen konnte diese geplante Kooperation nicht umgesetzt werden. Die wachsende Rolle der Türkei in ihrem geopolitischen Umfeld, das sich mit dem Krieg zwischen Russland und der Ukraine radikal verändert hat, führt aktuell zu einer Entspannung der Beziehungen zwischen der Türkei und Europa. Als Folge dieser Normalisierung ist die Diskussion um eine Beteiligung der Türkei an der französisch-italienischen Rüstungspartnerschaft wieder in Gang gekommen.

SAMP/T-Luftverteidigungssystem und Drei-Länder-Kooperation

Um richtig einzuordnen, wie die Entwicklungen den aktuellen Stand erreicht haben, ist es notwendig, das SAMP/T-Projekt und seine für die Türkei relevanten Aspekte weiter auszuführen. Dabei ist zunächst festzuhalten, dass es sich bei SAMP/T, auch bekannt als „Rakete Europas“, technisch gesehen um ein ballistisches Mittel- und Langstrecken-Luftverteidigungssystem handelt. Hinsichtlich der türkischen Beteiligung am von dem französischen MBDA- und italienischem Thales-Konzern gegründete Eurosam-Konsortium ist anzumerken, dass 2017, unmittelbar vor Beginn der politischen Spannungen zwischen der Türkei und dem Westen, eine Absichtserklärung zwischen Frankreich, Italien und der Türkei unterzeichnet wurde. In dieser erklärten die drei Staaten ihren Willen, gemeinsam das mit den bestehenden NATO-Systemen kompatible SAMP/T zu produzieren. Als erstes Ergebnis der technischen Verhandlungen entschied das türkische Direktorium der Verteidigungsindustrie, dass ASELSAN und ROKETSAN mit Eurosam kooperieren sollten.

Warum die Kooperation nicht zustande kam

Diese aktuellen positiven Entwicklungen, die in eine Phase fallen, in der die Türkei ihre Anstrengungen intensiviert, die Kapazität der heimischen Rüstungsindustrie auszubauen, wurden begrüßt, da sie sowohl einen Know-how-Transfer versprechen als auch die Beziehungen zwischen den Staaten in Sachen Verteidigung stärken können. Damals wurde dieses Projekt nicht weiterverfolgt. Der wichtigste Grund dafür waren die politischen Spannungen nach 2017 zwischen der Türkei und den beteiligten Ländern. Als die Türkei zur Gewährleistung ihrer nationalen Sicherheit ohne Erfolg das Luftverteidigungssystem Patriot einforderte, entschied sie sich unter diesen Umständen für das Luftverteidigungssystem S-400 aus Russland. Infolge dieser Entscheidung wurde die Türkei aus zahlreichen internationalen Verteidigungsprojekten ausgeschlossen, etwa dem Kampfjet F-35 und eben auch dem Luftverteidigungssystem SAMP/T, da USA und Europa aufgrund eigener geopolitischer Überlegungen gegen die türkische Entscheidung waren. Hinzu kamen Konfrontation mit Italien im östlichen Mittelmeerraum sowie mit Frankreich in Syrien, Libyen und Berg-Karabach, sodass letztlich der Versuch scheiterte, das Luftverteidigungssystem SAMP/T gemeinsam herzustellen.

Hatte dieses Projekt also noch bis vor kurzem keinen ernstzunehmenden Platz auf der Tagesordnung, so wurde nach dem Treffen von Präsident Erdoğan mit seinen französischen und italienischen Amtskollegen auf dem NATO-Gipfel letzte Woche beschlossen, jetzt wieder konkrete Schritte in Bezug auf die Drei-Länder-Kooperation zu unternehmen. An dieser Stelle sollte betont werden, dass die Türkei einer der wenigen Staaten ist, die sowohl mit Moskau als auch mit Kiew im Dialog stehen, und entsprechend zwischen den Parteien vermitteln kann. Dieser Umstand, der die Türkei erneut in eine wichtige Position auch für die europäischen Länder brachte, brachte auch die Frage der Zusammenarbeit bei der Produktion von SAMP/T wieder auf die Tagesordnung und leitete darüber hinaus eine Phase der Entspannung zwischen der Türkei und den wichtigsten europäischen Ländern ein.

Bedeutung der Zusammenarbeit

In einer Zeit, in der sich die Beziehungen zwischen der Türkei und Europa normalisieren, kann die Einbeziehung der Türkei in das SAMP/T-Projekt eine wichtige Rolle bei der Wiederbelebung der politischen Beziehungen Ankaras zu Europa über den Verteidigungsbereich hinaus spielen. In Anbetracht der Tatsache, dass die Türkei entweder ein selbst oder mit Partnern entwickeltes Verteidigungssystem benötigt, stehen einer Kooperation mit Frankreich und Italien im Verteidigungsbereich – abgesehen von ideologischen Vorbehalten – eigentlich keine Hindernisse mehr entgegen. Da die Türkei ihre Verteidigungsindustrie zu einem strategischen Sektor erkoren hat und inzwischen auch zu einem einflussreichen Akteur in Bereichen wie unbemannten Luftfahrzeugen aufgestiegen ist, könnte sich eine Zusammenarbeit langfristig auch auf andere Bereiche ausweiten. Daher ist diese Kooperation eine wichtige Gelegenheit für eine schnellere Normalisierung und sogar Vertiefung der politischen Beziehungen zwischen der Türkei und Europa.

Der Fortgang des SAMP/T-Projekts ist auch ein Indikator für die Aufrichtigkeit in Bezug auf die Pflege der Beziehungen Europas zur Türkei. Denn diese Länder, die Ankara wegen der Entscheidung für die russische S-400 eine Abkehr vom Westen vorwarfen, konnten keine Alternative anbieten und haben jetzt die Gelegenheit, abseits ideologischer Debatten ein vernünftiges Verhältnis zur Türkei aufzubauen, indem sie Platz für die Türkei im SAMP/T-Projekt schaffen. Andernfalls wird die Türkei, wie jedes andere Land auch, ihre außenpolitische Strategie fortsetzen, um ihre nationale Sicherheit zu gewährleisten und möglichen Sicherheitsbedrohungen zu entgegnen.

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