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Für die Natur ist die Corona-Krise eine Verschnaufpause von permanenter Ausbeutung und Verschmutzung. Für uns Menschen ist sie eine Nachdenkpause. Es sind jetzt die Utopisten und Visionäre gefragt, ein positives Zukunftsbild zu zeichnen.

Am 11. März 2020 hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) den Ausbruch einer globalen Pandemie erklärt. Das COVID-19-Virus hält seither die Welt fest im Griff. Regierungen von Peru bis Neuseeland üben sich im Krisenmanagement und verhängen strenge Maßnahmen. Wirtschaft und Industrie werden auf die sogenannten systemrelevanten Bereiche zurückgefahren. Ausgangsbeschränkungen, oder gar Ausgangssperren, werden zähneknirschend, aber zumeist folgsam hingenommen - da sie die exponentielle Ausbreitung der Epidemie verhindern sollen.

Die meisten Menschen empfinden die aktuelle Situation als Krise. Man gewöhnt sich an das „neue Normal“, sehnt sich aber nach gewohnter Normalität. Das „alte Normal“ jedoch war bereits ein Krisenzustand, wie Klimaaktivistin Greta Thunberg kürzlich meinte: „There is a lot of talk about returning to ,normal' after the COVID-19 outbreak. But normal was a crisis.” Die rücksichtslose Ausbeutung der natürlichen Ressourcen, der fortschreitende Klimawandel, der dramatische Rückgang der Artenvielfalt, die ungehemmte Bodenversiegelung durch Straßenbau und Besiedelung, Verschmutzung von Luft und Grundwasser, Überfischung und Plastikverschmutzung der Weltmeere, Umweltzerstörung durch industrielle Viehzucht sind einige der Ingredienzien einer hochgefährlichen Mischung aus ökologischen Risikofaktoren, die das Überleben der Menschheit auf diesem Planeten in Frage stellen. Das westliche Lebensmodell der industriellen Wegwerfgesellschaft ist wohl eines der Hauptübel. Die meiste Ware wird aufgrund der kurzen Nutzung für den Müll gekauft, oder wie bei einem Drittel aller Lebensmittel, einfach weggeschmissen. Zügelloses Konsumieren und Wegschmeißen - das fördert das Wirtschaftswachstum und ist das Grundprinzip unseres kapitalistischen Wirtschaftssystems.

Für die Natur ist die Corona-Krise eine Verschnaufpause von permanenter Ausbeutung und Verschmutzung. Für uns Menschen ist sie eine Nachdenkpause. Die Menschheit steht am Scheideweg: Nutzt sie jetzt die Chance, dem chronischen ökologischen Krisenzustand auf dieser Erde ein Ende zu bereiten, oder taumelt sie weiterhin von Krise zu Krise, bis das Ende der Zivilisation erreicht ist und sie sich durch den „Ökozid“ selbst ausgelöscht hat? Matthias Horx, Trend- und Zukunftsforscher, bezeichnet den Virus als Evolutionsbeschleuniger, als „Sendbote aus der Zukunft“ mit folgender Botschaft: „Die menschliche Zivilisation ist zu dicht, zu schnell, zu überhitzt geworden. Sie rast zu sehr in eine bestimmte Richtung, in der es keine Zukunft gibt.“

Die Regenerationskraft der Natur ist stark. Nach nur wenigen Wochen des Corona-Lockdowns werden viele verschmutzte Bäche und Flüsse sauber und man kann erstmals bis zum Grund sehen. Da viele Fabriken stillstehen und weniger Autos und Flugzeuge unterwegs sind, gehen die Emissionen von Luftschadstoffen und Treibhausgasen drastisch zurück. Allein in den ersten Wochen nach dem Ausbruch der Pandemie sanken die Treibhausgasemissionen in China um etwa 25%, das entspricht 200 Millionen Tonnen CO2 – so viel, wie Argentinien in einem Jahr ausstößt. Anfang April sind weltweit nur noch ein Viertel so viele Flugzeuge in der Luft als im vergangenen Jahr.

Entwicklung des Aufkommens an Passagierflügen in China und Europa seit Ende Februar 2020  (Flightradar24)

Das Bild, welches die Utopisten und Visionäre diese Tage zeichnen, zeigt eine Menschheit, die nach Corona den Neuanfang wagen will. Kooperieren will. MIT der Natur und nicht GEGEN die Natur wirtschaften und ihre Gesetze respektieren will.Es muss nicht bei Null gestartet werden, denn der Umbau hin zu einer naturbewahrenden Wirtschaftsordnung hat schon vor Corona begonnen. Die EU will bis 2030 ein Drittel ihres Energiebedarfs aus erneuerbaren Energien decken. Überall auf der Welt experimentieren Kommunen mit nachhaltiger, unabhängiger Lebensmittel- und Energieversorgung. In den urbanen Communities etablieren sich unaufhaltsam nachhaltige Trends wie Konsumverzicht, Tauschbörsen und das Auto als Statussymbol verliert zunehmend an Attraktivität unter den Führerscheinanfängern in den europäischen Metropolen. Die türkische Regierung hat 2017 unter der Schirmherrschaft der First Lady Ermine Erdoğan eine mehrjährige Zero-Waste-Kampagne ins Rollen gebracht. Recycling und Müllreduktion sowie die Vermeidung von Plastikmüll im Meer sind die großen Ziele der Kampagne.

Rückgang der Stickstoffdioxid-Luftverschmutzung in China seit Ausbruch der Corona-Pandemie  (ESA, NASA)

Diese Öko-Trends entspringen dem Bedürfnis und der Notwendigkeit, unser naturzerstörendes kapitalistisches „Wirtschaftswachstumssystem“ zu einer sogenannten Postwachstumsökonomie umzubauen. In dieser wird globalisierte Wertschöpfung, Produktion und Handel zugunsten einer lokalen und regionalen Selbstversorgung zurückgebaut. Sanfter, regionaler Ökotourismus wird zum Megatrend. Auch die „Circular Economy“, bei der alle Rohstoffe in möglichst geschlossenen Kreisläufen im Einsatz reduziert, wiederbenutzt und wiederverwertet werden, könnte zum neuen Standard werden. Der Einsatz von Erdöl, Erdgas und Kohle wird vollständig durch nachhaltige Rohstoffe und Energieträger ersetzt. Wenn die Menschheit den Neustart nach dem Corona-Shutdown dazu nutzt, um diesen Öko-Trends zum Durchbruch zu verhelfen, könnte der Umbau zur Postwachstumsgesellschaft in kürzester Zeit gelingen. Denn jedes System, das einmal heruntergefahren wird, kann viel einfacher neu aufgesetzt werden. Das gilt für Computer wie auch für Wirtschaftssysteme.

Es sind jetzt die Utopisten und Visionäre gefragt, ein positives Zukunftsbild zu zeichnen und Zuversicht zu verbreiten. Denn Angst ist ein schlechter Berater und eine verängstige Weltbevölkerung wird keine Experimente wagen und sich nach „back to normal“ sehnen.Wenn aber Zuversicht, Innovationskraft und Mut die Angst besiegt, dann wird die Welt nach Corona eine bessere sein. Solidarischer, entschleunigt, grüner.

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