21.06.2022, Mecklenburg-Vorpommern, Lubmin: Blick auf Rohrsysteme und Absperrvorrichtungen in der Gasempfangsstation der Ostseepipeline Nord Stream 1 und der Übernahmestation der Ferngasleitung OPAL (Ostsee-Pipeline-Anbindungsleitung). (dpa)
Folgen

Nichts fällt vom Himmel, schon gar nicht in den zwischenstaatlichen Beziehungen, für alles gibt es eine Chronologie. Und keine Krise ist monokausal. Was sich in diesen Tagen in den deutschen Führungsetagen wie in der gesamten politischen Debatte abspielt, ist ein Lehrbeispiel für Fehleinschätzungen oder, einfacher gesagt, ein Nicht-zu-Ende-Denken politischer Entscheidungen.

Die deutsche Erdgasversorgung ist kein Arbeitskreis

Energiewirtschaft hatte für die Deutschen immer nur dann einen Stellenwert, wenn die Preise stiegen. Dann wurde gemeckert, aber damit hatte es sich auch. Das war so 1973, als infolge eines Nahostkriegs das Erdöl knapp und teuer wurde. Ähnlich verhielt es sich sich zwischen 1979 und 1985 und dann wieder ab 2004. Wer die Wahl hatte, stieg auf effizientere Autos um. Es ging um Teuerung, aber fast nie um den Totalausfall der Energieversorgung. Genau darum geht es aber zwischen Ukrainekrieg und Sanktionen.

Im Laufe der letzten 20 Jahre wurde dann im Namen der Moral den fossilen Energieträgern der Kampf angesagt. Im Gegensatz zu vielen anderen Staaten gönnte sich Deutschland auch nie ein eigenständiges Energieministerium. Diese wichtige Kompetenz – denn bekanntermaßen steht beim Zusammenbruch der Energieversorgung der Staat still – wurde vielmehr zwischen Bund und Ländern und interministeriell aufgesplittert. Letztlich wurde dann auch der Begriff Energiepolitik durch Klimapolitik ersetzt. Es ging zu keinem Zeitpunkt mehr um die Energieversorgung der Bevölkerung und der Unternehmen mit leistbarer Energie, sondern nur mehr um die Rettung des Klimas.

Dies zeigte sich bereits im Herbst 2021, als die Erdgaspreise infolge selbstverschuldeter Misswirtschaft heftig anzogen, aber kaum jemand sich ernsthaft für die Folgen wie Inflation und soziale Krise interessierte. Vielmehr beschloss man in aller Weltfremdheit neue Klimaziele in Glasgow.

Seit der Umsetzung der deutschen Energiewende im Sommer 2011 geriet die deutsche Energieversorgung immer mehr aus dem Lot. Deutschland stieg aus vielen Energieträgern aus, Kernkraft, Kohle und Erdgas gleichermaßen, ohne aber in gleichem Umfang in neue zuverlässige Energiequellen einzutreten. Ich hatte bei Vorträgen für deutsche Auditorien oft den Eindruck, dass niemand unter den Verantwortlichen die größeren Zusammenhänge erfasst. Teenager hatten in Deutschland ohnehin das Sagen übernommen. Menschen, die ihre Entscheidungen zu Ende denken, traf ich selten an.

Suche nach Erdgas

Einige Energieversorger versuchten dennoch, diese strategische Aufgabe der Energiesicherheit möglichst korrekt wahrzunehmen, und strebten zum einen danach, die Transportwege zu diversifizieren, zum anderen Verträge mit zusätzlichen Lieferanten zu verhandeln. Anfang der Nullerjahre ging es für viele europäische Firmen intensiv um Erdöl und Erdgas aus dem Iran, doch dann begann ab 2007 die von den USA betriebenen weitreichenden Sanktionen gegen Teheran. Auch Libyen fiel infolge der „humanitären Intervention“ unter französischer Führung als alternativer Lieferant aus.

Die Erdgasfelder im östlichen Mittelmeer, die Israel teils unilateral, teils bilateral im Tandem mit Zypern bearbeitete, wurden oft als die neue „Nordsee“ bezeichnet, da dort die Erdgaslager teils ausgeschöpft schienen. Doch mit dem massiven Preisverfall ab 2008 wurden Explorationsprojekte zunehmend unwirtschaftlich.

Es geht um mehr als Heizen und Frieren

Letztlich gewann Russland als Lieferant dank der sehr günstigen und zuverlässigen Pipeline-Versorgung vor dem Hintergrund des Atomausstiegs und unsicherer Geopolitik im Nahen Osten intensiv an Gewicht für Deutschland und Österreich, aber ebenso für Italien und viele mitteleuropäische Kunden. Der Beginn langfristiger Lieferverträge reicht in die Zeit der Sowjetunion der 1960er Jahre zurück.

Auch in diesen Kriegszeiten halten die russischen Konzerne ihre Vertragspflichten ein. Doch jede Pipeline muss gewartet werden. So werden die Lieferungen durch Nord Stream 1 ab 11. Juli gestoppt. Dass sich infolge nicht vorhandener Ersatzteile, die unter das umfassende Sanktionenregime fallen, nun dauerhafte Engpässe ergeben, ist recht wahrscheinlich.

Hinzu kommt, dass die Ukraine bereits seit Monaten viele Transitleitungen mit dem Hinweis auf Kriegsschäden unterbrochen hat. Und Nord Stream 2 fiel bekanntlich gleich in den ersten Kriegstagen der deutschen Politik zum Opfer. Politische Handlungen wurden selten in der jüngeren Geschichte so wenig zu Ende gedacht wie im Falle der nunmehr 10.000 Sanktionen der bislang sechs EU-Pakete.

Erdgas ist nicht nur Energieträger, sondern auch wesentlicher Bestandteil der Produktion der chemischen Industrie in Deutschland. Wenn ein deutscher Wirtschaftsminister dazu rät, weniger zu duschen, dann ist dies ein Offenbarungseid von gefährlich dummem Aktivismus.

Die Bedeutung von Erdgas als Grundlage des Industrielandes Deutschlands ist offenbar immer noch nicht erkannt. Es geht nicht um weniger Heizen oder Tempolimits. Es geht um nichts weniger als den Totalkollaps der Energieversorgung und damit der deutschen Wirtschaft und des Alltags der Menschen. Das Risiko eines länger anhaltenden Blackouts ist groß.

Hausgemachte Krise

Utopien sind eine deutsche Spezialität, ob auf philosophischer oder politischer Ebene, und meist endeten diese Experimente für den Rest der Welt in einer Katastrophe. Solches zeichnet sich in diesen Wochen wieder ab. Eine Art Kriegsromantik mit Blick auf die Ukraine und ein Hang zur Selbstzerstörung verbinden sich zu einem explosiven Gemisch.

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