Der flüchtige Can Dündar. AA. (AA)
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Der Journalismus, der informell von der Öffentlichkeit auch als die vierte Macht in einer Demokratie wahrgenommen wird, versucht in einer Epoche der Unsicherheit und des Durstes nach Wahrheit, seinen Einflussbereich zu nutzen und seine mediale Macht weiter auszubauen sowie politische Entscheidungen je nach ideologischer Weltanschauung zu untermauern oder zu konterkarieren respektive zu diffamieren.

Nur hat der objektive Journalismus in einer demokratischen Grundordnung die ihm zugeteilte Verantwortung, unter Beachtung der gängigen landesspezifischen Gesetze, wahrzunehmen und außerdem die Aufgabe, die Öffentlichkeit im Sinne des Qualitätsjournalismus ausgewogen, wahrheitsgemäß und gewissenhaft zu informieren. Wie in jedem Staat unterliegen jedoch Presse- und Meinungsfreiheit den jeweiligen Gesetzen, was bei Zuwiderhandlung unweigerlich strafrechtlich verfolgt wird. Vor allem, wenn es sich dabei um den Straftatbestand des Landes- oder des Hochverrats sowie die Verleumdung und die öffentliche Verbreitung von Fake News handelt.

Die intrinsische Motivation von Can Dündar wird ihm zum Verhängnis

Diese vermeidbare Erfahrung musste nun Can Dündar machen. Der aus der Türkei nach Deutschland geflüchtete und nun im Exil lebende Dündar ist der ehemalige Chefredakteur der Cumhuriyet-Zeitung. Am Mittwoch, den 23. Dezember 2020 verkündete das 14. Strafgericht in Istanbul das Strafmaß des Beschuldigten Can Dündar. Er erhielt in Abwesenheit eine Gefängnisstrafe von insgesamt 27 Jahren und 6 Monaten wegen politischer und militärischer Spionagetätigkeit sowie wegen Unterstützung der Terrororganisation FETÖ (Fethullahistische Terrororganisation), die für den Putschversuch vom 15. Juli 2016 in der Türkei verantwortlich ist und daher sowohl in der Türkei als auch in anderen Ländern auf der Liste der Terrororganisationen steht.

Sein persönlicher Ehrgeiz gepaart mit seiner politischen Gesinnung wurde ihm nun zum Verhängnis, was zu einer langjährigen Haftstrafe führte. Dadurch, dass er sich zudem vor Ort der Gerichtsbarkeit entzogen hat, wurde er in der Konsequenz zur Fahndung ausgeschrieben und sein gesamtes Vermögen wurde von der türkischen Justiz beschlagnahmt. Als ausreichende Kompensation für seine finanziellen Einbüßen in der Türkei bekam der wegen Hochverrats und der Verbreitung von Fake News verurteilte Can Dündar in Westeuropa viele Ehrungen sowie Auszeichnungen.

Die illegale Veröffentlichung von Staatsgeheimnissen in der Cumhuriyet

Alles begann am 19. Januar 2014, als ein vom türkischen Geheimdienst MIT organisierter LKW-Konvoi in der Provinz Hatay, was geografisch in der Nähe zur syrischen Grenze liegt, im Auftrag der Terrororganisation FETÖ von der regionalen Gendarmerie gesetzeswidrig gestoppt und beschlagnahmt wurde.

Als Chefredakteur der Tageszeitung Cumhuriyet bekam Can Dündar vom CHP-Politiker Enis Berberoğlu Filmmaterial über diese geheime Waffenlieferung zugesteckt. Dündar veröffentlichte als Chefredakteur das Material umgehend in der Cumhuriyet, ohne es vorher verifiziert zu haben. In einer plakativen Aufmachung warf Dündar der türkischen Regierung fatalerweise vor, Waffen nach Syrien schmuggeln zu wollen, um damit angeblich unmittelbar die Terrororganisation Daesh zu unterstützen. Gestützt auf diese Aussagen fand anschließend in den deutschen Blättern ein Shitstorm gegen die Regierung Erdoğans statt, der bis dato nachwirkt und die deutsch-türkische Politik unnötig belastet. Es ist zurzeit leider en vogue, auf den Türkei-Bashing-Zug aufzuspringen und sich an der Diffamierungskampagne zu beteiligen.

Can Dündar räumt seine Falschaussagen öffentlich ein

Noch heute hält sich in Europa hartnäckig das Narrativ, Erdoğan würde den Daesh unterstützen, obwohl der Kronzeuge der deutschen Medien, Can Dündar, in mehreren Fernsehsendungen u.a. bei Lanz (ZDF) mittlerweile seine Aussagen revidiert und kleinlaut seine Fake News in Bezug auf den Daesh öffentlich eingeräumt hat.

Selbst bei uns in Deutschland muss man bei Veröffentlichungen von geheim eingestuften Dossiers aufpassen, um der deutschen Rechtsprechung zu genügen. Als der investigative Journalist Daniel Harrich illegale Waffenlieferung von Heckler & Koch nach Mexiko aufdeckte und diese in seinem Buch „Netzwerk des Todes - Die kriminellen Verflechtungen von Waffenindustrie und Behörden“ publizierte, stand er auch im Visier von Ermittlern und sah sich mit einer Anklage der Staatsanwaltschaft konfrontiert.

Die eindimensionale und voreingenommene Sichtweise der hiesigen Medien

Nach der Verkündung des Gerichtsurteils gegen Can Dündar wurde seine Verurteilung reflexartig von Teilen der deutschen Medienlandschaft kritisiert. Man attestierte der Türkei einen schweren Angriff auf die unabhängige Berichterstattung sowie die Pressefreiheit. Ferner warf man der Türkei vor, den Rechtsstaat auszuhöhlen, und verurteilte das Gerichtsurteil pauschal als politisch motiviert. Vielmehr sei Can Dündar ein Symbol für unabhängigen Journalismus und Pressefreiheit. Dass Dündar jedoch seinen Journalistenausweis für seine eigene Propaganda missbrauchte, ging in der hiesigen Berichterstattung erwartungsgemäß unter.

Diese medialen Aussagen werfen kein gutes Licht auf die Integrität der Journalisten und dokumentieren wiederholt, wie man in Deutschland die moralischen Ansätze über Bord wirft und mit zweierlei Maß misst. In diesem Kontext möchte ich darauf hinweisen, dass auch bei uns in Deutschland sinnvollerweise der Presse- und Meinungsfreiheit Grenzen gesetzt werden, wenn es beispielsweise um die Geschichtsrevidierung des Holocausts geht oder auch um die Verletzung von Persönlichkeitsrechten.

Mit Fake News verliert der Qualitätsjournalismus sukzessiv an Glaubwürdigkeit

So haben jeder Staat und jede Gesellschaft ihre spezifischen, aus ihrer Geschichte resultierenden Befindlichkeiten und ihre eigene Gesetzgebung, an die sich alle Bürger einschließlich der Journalisten halten müssen. Rechtsverstöße von Journalisten, bedingt durch Fake News, können keinen Anspruch auf Qualitätsjournalismus erheben und diskreditieren dadurch nachhaltig die Glaubwürdigkeit der sogenannten Qualitätsmedien. Fazit: In Deutschland die eingeschränkte Meinungsfreiheit zu akzeptieren, aber die türkischen Gesetze willkürlich zu ignorieren, offenbart die eigentliche Gesinnung der Journalisten. Es geht ihnen primär nicht um die Rechtstaatlichkeit und die Pressefreiheit in der Türkei, sondern um ihre interessengesteuerte Motivation.

Deutsche Politik und Medien Hand in Hand in Sachen Doppelmoral

Erwartungsgemäß gab es als Reaktion auf das Gerichtsurteil auch von Seiten der deutschen Politik Verurteilungen und anmaßende Rechtfertigungen für die illegalen Handlungen von Can Dündar in der Türkei, frei nach der romantischen Devise „Journalismus ist kein Verbrechen“. Diese Aussagen gehen an der Lebenswirklichkeit der Türkei vorbei, da heute viele sogenannte „Journalisten“, bewaffnet mit einem Presseausweis unter dem Schutz der Pressefreiheit, ihre aktive Unterstützung für Terrororganisationen wie PKK oder FETÖ vorexerzieren. Diese Realitätsverweigerung genießt leider in Deutschland Hochkonjunktur und wird von den Mainstream-Medien forciert.

Natürlich geht es dem deutschen Außenminister Heiko Maas (SPD) und dem Vorsitzenden des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe des Bundestages, Gyde Jensen (FDP), bei der Verurteilung des Gerichtsurteils nicht um die universelle Pressefreiheit oder die Rechtsstaatlichkeit in der Türkei.

Wie ist es sonst zu erklären, warum der investigative Journalist, Whistleblower und Gründer der Enthüllungsplattform WikiLeaks, Julian Assange, der auch geheime Informationen über diverse Staaten auf seiner Plattform veröffentlich hatte, von der Bundesregierung keinerlei Unterstützung erfährt? Weder die Bundesregierung setzt sich für seine Freilassung ein, die man ihm als Bürgerrecht zugestehen muss, noch setzt man sich für eine faire Gerichtsverhandlung ein, die nicht politisch motiviert sein darf. In dieser Causa wird die Pressefreiheit bewusst ignoriert und Julian Assange ist quasi als politischer Gefangener noch im Gefängnis.

Das große Schweigen der Bundesregierung im Beispielfall Julian Assange oder auch bei dem Whistleblower Edward Snowden, der im Exil in Russland seine Tage verbringen muss, weil er auch als aufklärender Visionär unterwegs war, zeigt eindrucksvoll die Doppelmoral und Heuchelei der Bundesregierung in Bezug auf Can Dündar und die Türkei.

Die Pressefreiheit und die Meinungsfreiheit sind ein wichtiges universelles Gut und ein wichtiges Fundament einer Demokratie, das man nicht je nach politischer Wetterlage unterschiedlich interpretieren darf, um damit nicht jegliche politische oder journalistische Glaubwürdigkeit bei den Bürgern zu verspielen.

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