Joe Biden, Präsident der Vereinigten Staaten. (Reuters)
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US-Präsident Biden entfachte mit seiner Einstufung des 24. April, dem Datum der Umsetzung des Umsiedlungsgesetzes aus dem Jahr 1915, das symbolisch auf internationaler Ebene zum internationalen Trauertag erhoben werden soll, als „Völkermord“ eine neuerliche zwischenstaatliche Debatte. Die Wahl des 24. April als Gedenktag für den angeblichen Völkermord basiert auf dem von der Regierung an die Provinzverwaltung übermittelten Erlass gleichen Datums, der zum Ziel hatte, armenische Komitees aufzulösen und den Aufstand der Armenier im Jahr 1915 in Van unter Kontrolle zu bringen.

Dass mit der Wortführerschaft des US-Präsidenten Biden eine nunmehr jahrelange Debatte an Fahrt gewonnen hat, zeigt, dass versucht wird, den juristischen Begriff quasi politisch herbeizuführen. Zweifellos sind Bidens Aussagen nur politische Bewertungen und haben juristisch keine Gültigkeit.

Die Einstufung von Handlungen als „Völkermord“ im Sinne des internationalen Völkerrechts obliegt im Lichte vergleichender Rechtsstandards ausschließlich der Verantwortung von Gerichten als den Instanzen der Rechtsprechung. Somit kommt die politische Verwendung eines juristischen Begriffs der Kaperung gesammelten internationalen Rechts und dessen Geltungsbereiches gleich.

Völkermord in den Grundsatztexten des internationalen Völkerrechts

Der Begriff des Völkermordes wurde erstmals 1944 eingeführt, da die Aufarbeitung der Gräueltaten des Zweiten Weltkrieges aus juristischer Sicht Bedarf hervorgerufen hatten. Dabei galt das Hauptaugenmerk der Kritik der absoluten Souveränität von Staaten in Bezug auf ihre inneren Angelegenheiten, die in der Doktrin des öffentlichen Rechts auch als „Westfälische Souveränität“ bezeichnet wird. Bezugnehmend auf den aristotelischen Begriff der „Menschenwürde“ werden gemäß Menschenrechtsdoktrin potentielle Opfer innerstaatlichen Handelns ebenfalls unter den Schutz des internationalen Völkerrechts gestellt.

Obwohl bei einer anachronistischen Literaturrecherche in allen Perioden der Geschichte Handlungen aufgefunden werden können, die durchaus auch als Völkermord bezeichnet werden könnten, ist das Geburtsjahr des juristischen Begriffs das Jahr 1948. William A. Schabas Werk Genocide in International Law legt das juristische Fundament zu diesem Thema. Demnach bedarf es für den Tatbestand des Völkermordes eines entsprechenden Verbotes von einer juristischen Autorität, anschließend der Bestimmung der durch dieses Verbot geschützten Rechtssubjekte, dann eines Verbots des Völkermordes und der Gewährleistung eines Schuldstatus im Sinne des materiellen Strafrechts, der Durchführung von Gerichtsverfahren an nationalen und internationalen Gerichten sowie der Verpflichtung von Staaten im Sinne des positiven Rechts.

Das Umsiedlungsgesetz von 1915

In Anlehnung an Artikel 2-c der UN-Charta wurde versucht, das sogenannte Umsiedlungsgesetz mit Völkermord gleichzusetzen. Dies ist eine Einschätzung, die nicht über eine subjektive Bewertung hinausgeht. Aus verfahrensrechtlicher Sicht ist für die beschriebene Thematik gemäß Artikel 9 dieser Charta, die 1951 in Kraft trat, eine zeitlich rückwirkende Anwendung nicht möglich. Auch wenn die armenische Seite für die rückwirkende Einstufung als Völkermord die „Konvention über die Nichtanwendbarkeit der Verjährungsfrist auf Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ heranzieht, verweist diese Konvention auf das Datum des Inkrafttretens der Völkermordkonvention der Vereinten Nationen von 1948. Insofern sind die Argumente der Armenier inhaltsleer.

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) stellte fest, dass der Internationale Strafgerichtshof und der Gerichtshof der Europäischen Union bezüglich der Thematik der Umsiedlung von Armeniern nicht zuständig ist. Eine weitere Unmöglichkeit, die oft übergangen wird, ist die Tatsache, dass der Osmanische Staat und die daraus resultierende Türkei zum Subjekt internationaler Gerichte gemacht werden sollen, die ursprünglich nach dem Zweiten Weltkrieg im Zusammenhang mit den Deutschen und dem deutschen Staat etabliert wurden. Ein weiterer Formfehler in dieser Debatte resultiert aus dem Vergleichsverbot im Strafrecht. Im Strafrecht stellt nämlich die Bestrafung einer Handlung, die selbst keine explizite strafbare Handlung darstellt, indem sie mit einer anderen Straftat verglichen wird, einen Widerspruch zum Grundsatz der „Rechtmäßigkeit von Strafdelikten und Bestrafungen“ dar, welcher ein universeller Grundsatz des Strafrechts ist. In dieser Hinsicht ist es ein gravierender Fehler, die Auseinandersetzungen zwischen Osmanen und Armeniern auf Basis der für Deutschland und die jüdischen Opfer geschaffenen juristischen Ordnung einzustufen.

Beschluss des Ministerrates von 1915

Die Umsiedlung im Jahr 1915 erfolgte auf Grundlage des Gesetzes und der Entscheidung des Ministerrates. Die Entscheidung vom 31. Mai 1915 zur „Umsiedlung und Versetzung“ betraf die Deportation armenischer Bürger in Regionen mit bewaffneten Auseinandersetzungen. Als Rechtfertigung für diese Entscheidung wurden Handlungen vorgetragen wie Schwächung der Kriegsvorbereitungen und Kampffähigkeit der türkischen Armee, Rückschläge bei Befestigungsarbeiten, Kollaboration von feindlichen Einheiten und Armeniern, Spionageaktivitäten, aktive Teilnahme am Kampf der feindlichen Einheiten gegen die türkische Armee und allen voran die systematisch vollzogenen Morde und Einschüchterungsmaßnahmen gegen die muslimische Bevölkerung. In der gleichen Entscheidung des Ministerrates wurde auch geregelt, in welcher Art und Weise die Umsiedlung der Armenier ablaufen und ein finanzieller Ausgleich in Form von Grund und Besitz für die Verluste durch die Umsiedlung stattfinden sollten. Zugesichert wurde ebenfalls, dass Unterkünfte und die notwendigen Voraussetzungen für die Ausübung der beruflichen Tätigkeiten bereitgestellt werden würden. Diese Haltung zeigt die Sensibilität der osmanischen Bürokratie bezüglich der Grundrechte sehr deutlich. Durch den Inhalt des Beschlusses des damaligen Ministerrates im Sinne eines offiziellen Dokuments wird offensichtlich, dass die Maßnahmen keinen für die zur Einstufung als Völkermord notwendigen Vorsatz zum Inhalt hatten.

Damit man im Rahmen von Artikel 2 der UN-Charta überhaupt von Völkermord sprechen kann, benötigt es, abgesehen von einer allgemeinen Absichtserklärung, einen speziellen Vorsatz, der ein „wissentliches und vorsätzliches Handeln“ beinhaltet. Der spezielle Vorsatz bei der Straftat „Völkermord“ ist der Willenszustand, sich die vollständige oder teilweise Vernichtung seiner Zielgruppe zum Ziel gesetzt zu haben. Tatsächlich kann man solch eine Absicht und solch eine Formulierung weder in der Korrespondenz der osmanischen Diplomatie noch im Umsiedlungsgesetz oder gar in Ministerratsentscheidungen wiederfinden. Außerdem ist es wichtig, folgendes Argument zu verteidigen, das in der Armenienfrage außen vor gelassen wird: Armenier, die eine autonome Verwaltung innerhalb des Osmanischen Reiches aufbauen wollten und mit feindlichen Einheiten in jeglicher Hinsicht kollaborierten, um dieses Ziel zu erreichen, sind nicht diejenigen, die in der UN-Charta als eine der vier religiösen oder ethnischen Fraktionen Erwähnung finden, sondern hier zur Gänze eine politische Gruppierung. In diesem Sinne bilden die Armenier aufgrund ihrer hervorstechenden politischen Merkmale kein Rechtssubjekt, das Gegenstand für eine Völkermorddebatte wäre.

Immer wieder verwendete, schwache Argumente von Armeniern

Das jüngste Argument, das seitens der Armenier hervorgebracht wird, sind die geforderten Entschädigungen, die auf Entscheidungen der UN-Vollversammlung von 2001 basieren. Auf der Grundlage des bereits angesprochenen Grundsatzes der Staatenfolge wurde dieses Problem bereits vor den Friedensverhandlungen in Lausanne gelöst, ohne jemals in Lausanne thematisiert zu werden. Objektiv betrachtet, haben weder das Umsiedlungsgesetz an sich noch dessen Anwendung Inhalte, die ein international völkerrechtliches Problem aufwerfen könnten. So beschädigt der Versuch, dieses umstrittene Thema unter Missachtung des internationalen Völkerrechts auf die Tagesordnung zu setzen, die internationale öffentliche Ordnung und kommt durch Missbrauch und Rufschädigung des geltenden Völkerrechts dem Missbrauch unseres gemeinsamen menschlichen Erbes gleich.

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