26. Jahrestag des Völkermordes von Srebrenica (AFP)
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Wir hätten jetzt auch über erfolgreiche Firmen aus Srebrenica und das fortschrittliche Industriegebiet dieser Stadt diskutieren können. Wir könnten Srebrenica als eine der am höchsten entwickelten Städte in Bosnien und Herzegowina porträtieren.

Oder wir hätten über die Zink-, Silber- und Bleiminen in Srebrenica schreiben können. Srebro bedeutet ursprünglich Silber, daher stammt auch der Name der Stadt.

Wir hätten zum Beispiel über das Guber-Heilwasser in Srebrenica berichten können. So hätten wir das Guber-Heilwasser näher vorgestellt, von dem bekannt ist, dass es zahlreiche Beschwerden wie Hautkrankheiten, Atemnot und Probleme im Verdauungssystem lindert, und auch stolz ausführen können, wie sehr Srebrenica für den Gesundheitstourismus bekannt ist.

Aber sie haben es nicht zugelassen. Sie haben verhindert, dass Srebrenica mit solch positiven Geschichten assoziiert wird.

All die genannten Aspekte gehörten zu Srebrenica, die Stadt war sogar viel mehr, aber 8372 unschuldige Zivilisten wurden in dieser Stadt vor den Augen der Weltgemeinschaft massakriert. Am 11. Juli 1995.

Der Völkermord. Das ist das Wort, das wir heute mit Srebrenica verbinden.

Achttausenddreihundertzweiundsiebzig

Das einzige, was wir heute über Srebrenica wissen, ist der begangene Völkermord. Keiner kann mal einfach so bis achttausend zählen. Achttausenddreihundert und zweiundsiebzig ... Selbst beim Aussprechen hat man Schwierigkeiten. Doch die Mördertruppe unter dem Kommando von Ratko Mladic tötete noch mehr Menschen als die genannte Zahl.

Bei der Volkszählung vor dem Krieg im Jahr 1991 lebten noch 27.572 Bosniaken in Srebrenica, bei der Zählung 2013 waren es nur noch 7.248. Allein diese Zahlen verdeutlichen das Ausmaß der vollzogenen ethnischen Säuberung. Srebrenica ist eine Schande für die Welt. Die Stadt war eine Zone, die angeblich von niederländischen Blauhelmen der Vereinten Nationen geschützt wurde. Und da sie eben von der UNO zur „Sicherheitszone“ erklärt wurde, kamen Menschen auch aus umliegenden Ortschaften, um Zuflucht in Srebrenica zu suchen. Sie glaubten, dass sie Schutz erfahren würden. Wer hätte schon ahnen können, dass ausgerechnet der niederländische Kommandant Tom Karremans sich abends mit Ratko Mladic zuprosten, die beiden sich gegenseitig Geschenke überreichen und Karremans unschuldige bosnische Zivilisten in die Hände der serbischen Mörder übergeben würde!

Und all das geschah vor den Augen der Weltgemeinschaft.

Die unschuldigen Bosniaken wurden nicht einfach ermordet. Vor ihrer Ermordung wurden sie unvorstellbaren Foltermethoden ausgesetzt. Frauen wurden zudem unzählige Male vor den Augen ihrer Ehemänner, Väter und Kinder vergewaltigt. Kinder wurden vor den Augen ihrer Mütter getötet.

Und Fatima? Serbische Soldaten ermordeten Fatima gleich nach ihrer Geburt, noch bevor sie überhaupt einen Namen bekam. Wenn ein Mensch tatsächlich einer ist, wie kann er dann ein neugeborenes Baby töten? Man muss wissen, dass bei den Totengebeten vor den Massengräbern am Jahrestag des Völkermordes in Srebrenica vor allem Frauen an den Särgen warten, denn nahezu alle männlichen Mitglieder der Familien wurden ermordet.

Der Folter hörte selbst nach der Ermordung nicht auf

Diese Morde wurden mit solch einem Hass begangen, dass die Täter selbst nach der Ermordung mit der Folter nicht aufhörten. Sie begruben die Leichen der Opfer nicht an einem Ort. Zunächst zerstückelten sie diese und verscharrten die Körperteile anschließend wahllos in zahllosen Massengräbern. Sie bereiteten Folter über Folter und damit Schmerz über Schmerz. Es gibt Leichen, die bis heute nicht aufgefunden werden konnten. Einige Familien begraben ihre Angehörigen mit nur einem oder zwei wiedergefundenen Knochen. Andere wiederum warten mit den aufgefundenen Knochen darauf, dass vielleicht noch mehr gefunden werden, bevor sie ihren Liebsten bestatten. Es ist eben diese Hoffnung, dass vielleicht noch ein paar Knochen mehr in einem anderen bis dahin noch unentdeckten Massengrab gefunden werden. Können Sie sich vorstellen, dafür zu beten, dass Sie so lange nicht sterben wollen, bis Körperteile eines Ihrer ermordeten Angehörigen gefunden werden? Der einzige Wunsch der hinterbliebenen Familienangehörigen ist es, dass die Leichen wiedergefunden werden. Dies sind vor allem die Gebete der Mütter aus Srebrenica, die am Grab ihres Sohnes, Mannes oder Vaters trauern wollen, noch bevor sie selbst aus dem Leben ausscheiden. Leider sterben bereits manche Mütter, ohne das Grab ihres Sohnes besuchen zu können.

Jedes Mal, wenn der 11. Juli näherkommt, wird einem aufs Neue klar, dass die Aussage „Die Zeit heilt alle Wunden“ eigentlich falsch ist. Es gibt Tragödien wie die in Srebrenica, wo das Leid mit der Zeit noch zunimmt. Vor allem dann, wenn die Unterdrückung der Opfer fortgeführt wird.

Heute ist Srebrenica Teil der Republika Srpska, die nach dem Völkermord errichtet wurde. Dort wehen noch immer Fahnen, die an den Völkermord erinnern. Die Stadt wird von Menschen regiert, die den Völkermord nicht anerkennen, ihn gar leugnen. Zudem gibt es Bosniaken, die während des Krieges vertrieben wurden und ihre Heimat verlassen mussten, und später nach Srebrenica zurückkehrten. Leider werden sie dort noch immer, nach all den erlittenen Schmerzen, mit allen möglichen Schikanen konfrontiert. Serbische Mitbürger spielen Tschetnik-Lieder und zwingen die bosnische Bevölkerung diese zu hören, als wollten sie damit Srebrenica und die Märtyrer verhöhnen. Die Geschehnisse erkennen sie nicht als Völkermord an, zweifeln die Zahl 8372 an und behaupten gar, dass wahllos leere Gräber ausgehoben wurden. Das ist nichts anderes, als die Ermordeten noch einmal zu töten.

Bosnische Kinder, die in Srebrenica seit Jahren zur Schule gehen, bekommen Schwierigkeiten wegen ihrer Sprache. Es wird ihnen verweigert, ihre Zeugnisse in bosnischer Sprache zu erhalten. Serbische Behörden sprechen von der „Sprache der Bosniaken“ statt von Bosnisch, dessen Existenz sie sogar leugnen. Sie wollen einem Volk, das sie mit einem Völkermord nicht vernichten konnten, nunmehr mit dem Verbot seiner Werte den Rest geben.

Die Fabrik FEROS, die vor dem Krieg in Betrieb war, wird heute als Museum genutzt. An ihren Wänden klebt noch immer das Blut unschuldiger Bosniaken, die von serbischen Truppen ermordet wurden. Wenn man dort hineingeht, spürt man, dass man sogar vor Wänden Angst haben kann. Wenn man heute die „Marş mira“ (Friedensmarsch) Route entlangläuft, kann man noch immer Gegenstände der Opfer finden, die mit dem Passieren dieser Straße durch die Wälder versuchten zu fliehen und dabei ums Leben kamen. Übrigens, wenn Sie tatsächlich noch nicht dort waren, sollten Sie einen Besuch einplanen! Jedes Mal, wenn auch nur ein Blatt auf dieser Route der „Marş mira“ raschelt, werden Sie Schreie hören. Unweigerlich werden Sie sich immer und immer wieder umdrehen und nach hinten schauen. Sie werden die Stille der letzten Atemzüge dieser Opfer fühlen.

Und dann wird es kalt. Selbst wenn es ein Sommertag ist.

Besuchen Sie den Friedhof von Srebrenica, wenn Sie noch nicht dort waren. Denn letztlich können Ihnen zahllose Kommentare dieser Art nicht das vermitteln, was die schneeweißen Grabsteine auf dem Friedhof zu berichten haben. Der Friedhof ist mit bloßen Augen nicht zu überschauen. Achten Sie auf die Namen und Geburtsjahre, die auf den Grabsteinen stehen. Viele Namen von Kindern im Alter von zwei, drei oder fünf Jahren. Achten Sie darauf, wie viele den gleichen Familiennamen tragen.

An Srebrenica sollte nicht nur am 11. Juli gedacht werden. Es ist ein Ort des Schmerzes, der es wert ist, jeden Tag in Erinnerung gehalten zu werden. Und eines noch zur Klarstellung: Es war kein Massaker, sondern ein Völkermord, der dort begangen wurde.

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