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Folgen

Es ist eine globale Tragödie. Die pandemische Katastrophe in Indien ist mit blutigen, widerwärtigen und unverzeihlichen Folgen explodiert. Sie hat das indische Gesundheitssystem zerstört, mehrere Hunderttausend Menschenleben gekostet, zig Millionen Menschen infiziert und jede Hoffnung auf eine Eindämmung der Ansteckung ausgelöscht. Schlimmer noch: Mit entsprechender medizinischer Versorgung hätte die Krise verhindert oder zumindest besser bewältigt werden können. Stattdessen wurde die Welt mit apokalyptischen Horrorszenen und unsäglichem Schmerz traumatisiert, als das Land unter dem Ausmaß der Katastrophe förmlich zusammenbrach. Niemand wurde verschont, weder reich noch arm. Ärzte bettelten um Sauerstoff für ihre Angehörigen, ein Sohn um Hilfe für seine Mutter, ein pensionierter Armeegeneral starb vor einem Militärkrankenhaus, das ihm die Behandlung verweigerte. Nicht einmal im Tod wurde ihre Würde gewahrt. Es gab nicht genug Holz, um die Leichen nach hinduistischem Ritus zu verbrennen. In ihrer Verzweiflung warfen die Menschen die sich langsam zersetzenden Leichen einfach in den Ganges. Oder sie begruben sie in flachen Gräbern, wo Krähen und Hunde sich an den entblößten Leichen vergingen. Der Gestank war unerträglich. Alles war beängstigend und hätte zu einer verschärften Ursachensuche, einer Selbstkritik und zu der Entschlossenheit führen müssen, nicht zuzulassen, dass eine solche Verwüstung erneut passiert. Diese Lektionen wurden jedoch nicht gelernt. Warum nicht?

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat die Coronavirus-Variante in Indien als "globales Anliegen" eingestuft. Vorläufige Studien zeigen, dass sich die B.1.617-Mutation leichter ausbreitet als andere Varianten. Darüber hinaus hat sich die tödliche indische Variante laut WHO bereits in mehr als 30 Ländern verbreitet. Nichtsdestotrotz ignoriert die nationalistische Regierung von Premierminister Narendra Modi alle verheerenden Alarmzeichen und weigert sich, einen landesweiten Lockdown anzuordnen, um die Ausbreitung des Virus zu stoppen. Ganz im Gegenteil erlaubt sie in unverantwortlicher Missachtung menschlichen Lebens und der globalen Sicherheit weiterhin große Versammlungen für Wahlveranstaltungen und hinduistische Feste, wie beispielsweise die zuletzt genehmigte Kumbh Mela, die zum Superspreader und Katalysator für die Zunahme der Pandemiefälle wurde. Und obwohl es einige positive Nachrichten gibt, wonach sich die Situation in Indien leicht verbessert, machen ernste Anschuldigungen, denen zufolge die indische Regierung Zahlen frisiert oder – einfacher gesagt – lügt, alles noch schlimmer.

Als Reaktion auf diese Kritik folgt die Hindutva ihrem Modus Operandi einer engstirnigen Politik, so zu tun, als hätte sie nicht gehört, was die Welt ihr gesagt hat. Denn wenn sie die Menschen immer noch davon überzeugen können, dass das Schlagen von Töpfen und Pfannen den Geist dieser unsichtbaren Pest vertreibt, was braucht es dann noch die Wahrheit? Der Hindutva-geführten indischen Regierung wurde vorgeworfen, die Krisen heruntergespielt zu haben. Tatsächlich stellte ein Artikel der New York Times von Lazaro Gamio und James Glanz eindeutig fest, dass die „offiziellen Covid-19-Zahlen in Indien das wahre Ausmaß der Pandemie im Land nicht ansatzweise richtig wiedergaben“. Wie groß könnte Indiens wahres Covid-Opfer sein?

Zugegeben, es ist schwierig, sich ein klares Bild von der Gesamtzahl der Infektionen in Indien zu machen, da die Aufzeichnungen mangelhaft sind, nicht flächendeckend getestet wird und wahrheitsgetreue Feststellungen zu politischen Implikationen führen können. In engem Austausch mit mehr als einem Dutzend Experten analysierte die New York Times über einen längeren Zeitraum die Zahl der Infektionen und Todesfälle in Indien sowie die Ergebnisse groß angelegter Antikörpertests, um mehrere mögliche Szenarien für das wahre Ausmaß der Pandemie im Land aufzuzeigen. Selbst bei konservativster Schätzung übersteigen die Zahlen der wahrscheinlichen Infektionen und Todesfälle die offiziellen Zahlen bei weitem. Pessimistischere Schätzungen zeugen vom einem Todes-Tribut in der Größenordnung von Millionen, der womöglich katastrophalste Verlust weltweit.

Dann als man glaubte, es könne nicht mehr schlimmer kommen, kam es noch schlimmer: Die Ausbreitung des furchterregenden Schwarzen Pilzes – einer auffällig entstellenden Krankheit, die Menschen mit bereits geschwächtem Immunsystem angreift. Dies machte jede Chance, dass Indien sich schnell von den Folgen der verheerenden Pandemie erholt, zunichte. Trotz alledem erklärte die indische Besatzungsarmee in den umstrittenen Territorien Jammu und Kaschmir am 3. Juni 2021, sie sei für die Amarnath Yatra bereit. Das ist skrupellos und sollte einem Kriegsverbrechen gleichgesetzt werden.

Die Amarnath Yatra ist eine jährliche Hindutva-Pilgerfahrt, die Ende des 19. Jahrhunderts während der Dogra-Regentschaft erfunden wurde. Bei dieser Pilgerreise rechnet man mit über 600.000 hinduistischen Gläubigen, die zu einem Höhlenschrein pilgern, der einen Eis-Stalagmiten beherbergt, der als Symbol für Shiva gilt – einer Gottheit im hinduistischen Pantheon. Trotz der verheerenden Corona-Pandemie, die Indien verwüstet, erklärte die indische Regierung, die Pilgerfahrt werde wie geplant vom 28. Juni bis 22. August 2021 stattfinden. Diese skrupellose Aktion ist der Missbrauch einer hinduistischen Pilgerfahrt als Waffe. Sie wird unweigerlich zu schwerwiegenden Verstößen gegen die Dritte und Vierte Genfer Konvention führen, einschließlich unmenschlicher Behandlung und vorsätzlicher Verursachung großer Leiden oder schwerer körperlicher bzw. gesundheitlicher Schäden. Was könnte katastrophaler sein, als ein Super-Spreader-Event im umstrittenen Gebiet des indisch besetzten Kaschmirs zu ermöglichen?

Zweifellos wird die Ermöglichung des Besuchs des Amarnath-Höhlenschreins, der 3.880 Meter über dem Meeresspiegel im Himalaya thront, für hinduistische Gläubige zu einer verheerenden Ausbreitungswelle des Corona-Virus in Kaschmir führen, das bereits jetzt über ein unzureichend ausgestattetes Gesundheitswesen verfügt. Diese Amarnath Yatra muss sofort gestoppt und die indische Regierung gezwungen werden, dieses Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu stoppen. Andernfalls machen sich alle für jeden eintretenden Todesfall strafbar.

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