Nakşidil Valide Sultan (Others)
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Das Leben der Französin Aimée du Buc de Rivéry in französischen Quellen

Im Jahr 1776 bekam die Familie du Buc auf der Insel Martinique eine Tochter. Sie wurde Aimee du Buc genannt. Im gleichen Jahr kam Josephine, die spätere Gattin von Napoleon Bonaparte (1804 bis 1814), in derselben Familie zur Welt. Die zwei Cousinen wuchsen gemeinsam auf. Josephine kam nach Frankreich und heiratete jemanden aus der Familie Beauharnais. Mademoiselle Aimee du Buc kam ebenfalls nach Frankreich, genauer nach Nantes, um im dortigen Kloster zu studieren. Nach Abschluss ihrer Ausbildung verließ sie gemeinsam mit ihrer Gouvernanten 1784 die Stadt. Das Schiff, mit dem sie aufbrachen, schlug Leck, woraufhin ein anderes Schiff wohl alle Passagiere rettete. Auf dem Weg zur Insel Mallorca fiel Mademoiselle du Buc in die Hände algerischer Piraten. Als Gefangene wurde sie anschließend von Algerien nach Istanbul gebracht. Mademoiselle du Buc, die nach 15-16 Monaten aus Algerien nach Istanbul gebracht wurde, gelangte bis an den Hof des Sultans, wurde Valide Sultan (Sultansmutter) und starb 1817.

Doch welche Behauptungen verbreiteten französische und britische Medien?

1854 wurde in der Zeitschrift Illustration berichtet, Nakşidil sei Französin. Auch in der damals in Istanbul herausgegebenen Zeitung La Turque wurde geschlussfolgert, dass wenn Nakşidil tatsächlich Mademoiselle de Buc sein sollte, Napoleon III. und Sultan Abdulaziz über ihre Großmütter väterlicherseits verwandt seien. Laut G. Lenotra sei das „Verwirrende an der Geschichte der Mutter des Sultans, dass sie wie eine Romanheldin dargestellt wird.“ Der von Etienne de Jouy, einem Mitglied der Französischen Wissenschaftsakademie, verfasste Roman über Aimee als Nakşidil, der wohl keine andere Grundlage hatte als seine eigene Vorstellungskraft, verbreitete sich in vielen Ländern und wurde zur Inspiration für Forscher, Bücher und weitere Romane. Darüber hinaus veranlassten die Werke über Aimee und Nakşidil die Familien Buc und Laurencin, weitere Recherchen zu diesem Thema anzustellen. Madame Martin du Theil, Enkelin der Familie du Buc aus Martinique, veröffentlichte die als Beweismittel gesammelten Dokumente unter dem Titel „Silhouettes et Documents du Martinique, Périgord, Lyonnais, Île-de-France, Périgueux, Imprimerie commerciale et administrative“. Auf der neunten Seite dieses Werkes befindet sich das Bild einer Miniatur von Nakşidil, von der angenommen wurde, dass Sultan Abdulaziz sie 1810 einem Mitglied der Familie Buc geschenkt hatte. Außerdem befindet sich auf der 17. Seite ein Porträt von Aimee. Darunter sind folgende Worte zu lesen: „Aimée du Buc de Rivery mére présumée de Mahmud II.“

Das Leben von Aimee de Buc Rivery auf Grundlage staatlicher Urkunden

In dem von G. Lenotre über Nakşidil Valide Sultan verfassten Artikel mit dem Titel „War die Mutter von Mahmud II., Nakşidil Valide Sultan, wirklich Französin?“ wird das Leben von Aimee basierend auf Fakten nachgestellt. Aimee kam demnach 1776 auf der Insel Martinique auf die Welt. Ihre Familie war dort im Besitz einer Zuckerfabrik. Die Cousine von Aimee, die spätere Königin Josephine de Beauharnais, steigerte wohl auch das Interesse an Aimees Leben. Als Aimee nach Nantes geschickt wurde, kam sie unter die Obhut von du Buc de Bellefounds-Laurencins, einem Verwandten der Familie. Es wird überliefert, dass Aimee am 15. Juli 1785 mit 9 Jahren nach Nantes kam. Dort besuchte sie die berühmte Nonnenschule Notre Dame de la Visitation. Ihre Unterschrift als Trauzeugin bei der Hochzeit ihres Cousins François-Lambert de Laurencin dokumentiert ihre Anwesenheit bei der Eheschließung. Diese Aufzeichnung ist Beweis dafür, dass Nakşidil, die sich zu dieser Zeit schon Istanbul aufhielt, nicht Aimee war. Aufgrund von politischen Problemen wurde die Schule, die Aimee besuchte, nach einem Jahr geschlossen. Daraufhin beschloss die Familie du Buc de Bellefounds-Laurencin, sie zu ihrer Familie zurückzuschicken. Von dem Schiff, das Schätzungen zufolge im Winter 1790 mit der 14-jährigen Aimee in See stach, fehlt bis heute jede Spur.

Das Leben von Nakşidil auf der Basis osmanischer Archive

Da im Osmanischen Reich des 18. Jahrhunderts vorwiegend Konkubinen georgischer und tscherkessischer Herkunft aus dem Kaukasus in den Palast gebracht wurden, wird in türkischen Quellen angenommen, dass Nakşidil ebenfalls georgischer Herkunft war. Nakşidil war die Gattin von Abdulhamid I. und die Mutter von Sultan Mahmud II.

Mit der Thronbesteigung ihres Sohnes Mahmud II. am 31. Juli 1808 erhielt sie den Titel Valide Sultan. Nakşidil Valide Sultan setzte die Tradition ihrer Vorgängerinnen, Stiftungen für wohltätige Zwecke zu gründen, fort. Zu den von ihr gestifteten Werken zählen der Frauenbrunnen in der Piyalepasa Moschee in Beyoglu und der nach ihr benannte Brunnen auf dem Areal von Sultanahmet. Außerdem ließ sie in Ayvansaray aus eigenen finanziellen Mitteln die Nakşidil Valide Sultan Moschee, eine Grundschule und einen Brunnen errichten. Abgesehen davon veranlasste sie zu ihren Lebzeiten den Baubeginn des Nakşidil Valide Sultan Komplex (bestehend aus einer Schule, einem Brunnen, einem Mausoleum und drei weiteren Räumen) in Fatih, der dann nach ihrem Tod infolge einer Tuberkuloseerkrankung durch ihren Sohn Mahmud II. fertiggestellt wurde.

Der osmanische Harem in der Wahrnehmung westlicher Quellen

Die Tatsache, dass der Harem, in dem die Familien der osmanischen Sultane lebten, von der Außenwelt abgeschnitten war und die dort lebenden Frauen nur begrenzten Kontakt nach draußen hatten, bot Anlass für Geschichten, die nichts mit historischen Fakten zu tun hatten.

So fiktiv die Romane, Drehbücher und Theaterstücke über Nakşidil aus Frankreich auch sein mochten, beeindruckten sie doch ob ihrer illustrierten historischen Charaktere unweigerlich ihre Leser. Vor allem in den Köpfen der europäischen und amerikanischen Leser, welche die traditionellen Zivilisationen und Gesellschaften des Ostens nicht kannten, beförderten diese im Westen veröffentlichten Werke ein orientalistisches Haremsbild mit negativ porträtierten Frauen, die gezwungen wurden, zum Islam zu konvertieren und unterdrückt wurden. Während das Gerücht, dass Nakşidil französischen Ursprungs sei, sowohl von den Osmanen als auch den Franzosen aufgrund der damaligen politischen und diplomatischen Spannungen ein Dauerbrenner blieb, gewannen selbige mit den verfassten Romanen im 20. und 21. Dimension. Bleibt zu hoffen, dass international zu veröffentlichende anspruchsvolle Aufsätze und Bücher auf Basis neuerlicher Studien des vorhandenen Archivmaterials die verzerrte Wahrnehmung dieser Frauen korrigieren können.