09.06.2018, Berlin: Demonstranten ziehen während dem sogenannten „Frauenmarsch 2.0“ auf ihrem Weg zum Bundeskanzleramt mit Fahnen vor dem Reichstagstagsgebäude entlang (dpa)
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Ein greiser Fraktionschef mit Gartenzwergkrawatte, ein stramm rechter Strippenzieher, von dem plötzlich alte Fotos aus einem Zeltlager von Rechtsextremisten auftauchen. „Machtergreifung“ beginnt wie ein Schlüsselroman, die Protagonisten wirken teilweise vertraut. Der Autor, der sich hinter dem Pseudonym Ferdinand Schwanenburg verbirgt, verwendet einzelne Satzfetzen aus öffentlichen Äußerungen und Reden von Politikern der AfD und legt sie seinen Romanfiguren in den Mund.
Die von Intriganten und gefährlichen Extremisten dominierte Partei, deren Aufstieg der am kommenden Montag im Europa-Verlag erscheinende Roman beschreibt, nennt sich „Deutschlandpartei“. Zu den Protagonisten zählt neben dem skrupellosen Strippenzieher Friedrich Sehlings ein eitler Herr Lehmann, der „völkische Posterboy“, der Partei.
Doch nicht nur Berliner Journalisten, politische Beobachter und Gegner der AfD kommen bei der Lektüre dieses Romans, der streckenweise ins Boulevardeske und Absurde abdriftet, auf ihre Kosten. Auch die darin skizzierten Politiker der „Christpartei“ und der „Ökopartei“ sind Figuren, die seltsam bekannt anmuten - ebenso wie die schöne, geistreiche Annerose Nesserland, die im linken Lager so manchen Grabenkampf zu bestehen hat. Wer die Facetten der einzelnen Romanfiguren betrachtet, kann „Machtergreifung“ wie ein Ratespiel lesen. Und sich fragen: Haben ihn hier vielleicht die stets gut sitzenden Anzüge von Ex-Außenminister Joschka Fischer inspiriert? Oder: Wer mag wohl alles Pate gestanden haben bei der Figur des „Oberst“? Der gibt in der „Deutschlandpartei“ zwar gerne den Ton an, reagiert im entscheidenden Moment dann aber doch ganz flexibel. Der Autor hat Spaß an seinem Versteckspiel. Ihm sei es darum gegangen, die Figuren „idealtypisch“ anzulegen im Sinne des Soziologen Max Weber (1864-1920), sagt er der Deutschen Presse-Agentur bei einem Interview in einem Berliner Park.
Die Story von „Machtergreifung“ ist schnell erzählt: Eine neue Partei, die Wirtschaftsliberale, Erzkonservative und Rechtsextremisten unter einem Dach vereint, sorgt für Aufruhr in der Hauptstadt. Noch härter als den politischen Gegner bekämpfen die Funktionäre der „Deutschlandpartei“ einander. „Barbarossa“, ein rechter Vordenker mit Landsitz und großer Kinderschar, liefert das „geistige Manna“ für das „Deutsche Herz“, die Vereinigung der Völkischen in der „Deutschlandpartei“.
Zu den Gegenspielern der Partei gehören die „Ökorebellen“ mit ihrer charismatischen Anführerin Simone Satellit. Auch die Aktionen dieser Bewegung verfolgt die klischeehaft skizzierte ehrgeizige Journalistin Florentine Fischer, die als Nichte des Herrn mit der Gartenzwergkrawatte immer exklusive Nachrichten aus der „Deutschlandpartei“ an Land zieht.
Mit historischen Anspielungen und Versatzstücken treibt der Romancier seine Handlung voran, zündet links und rechts aber immer auch ein paar Nebelkerzen. Der Vergleich mit der Spätphase der Weimarer Republik darf hier natürlich nicht fehlen. Die „Diskrepante Bewegung“ und die „Braunpullover“ werden schließlich beide als paramilitärische Organisationen der „Deutschlandpartei“ anerkannt. Dazu gibt es jede Menge Sex and Crime und ein Virus, dessen Auftauchen die Umfragewerte der „Deutschlandpartei“ zeitweise in den Keller rauschen lässt.
Wie vor diesem Hintergrund die Bundestagswahl ausgeht, soll an dieser Stelle noch nicht verraten werden - genauso wenig wie die Identität des Endvierzigers, der den Roman verfasst hat. Die will der Europa-Verlag erst im kommenden Herbst preisgeben.
Nur so viel sei gesagt: Für die „Christpartei“, die im Roman nach der ersten Kanzlerin dann den ersten homosexuellen Regierungschef Deutschlands gestellt hat, gibt es in dieser Dystopie nach der Bundestagswahl ein böses Erwachen. Und Sehlings, der überall in der eigenen Partei Informanten platziert hat, schreckt auch im Umgang mit politischen Weggefährten nicht vor Mord und Totschlag zurück. Nicht nur der promovierte Jurist mit der Gartenzwergkrawatte wird von ihm kaltblütig aus dem Weg geräumt.

dpa