02.03.2022, Niedersachsen, Oldenburg: Sebastian Bührmann (m.), Vorsitzender Richter, im Prozess gegen Ex-Vorgesetzte des wegen Mordes verurteilten Krankenpflegers Niels Högel, kommt zum Prozessbeginn in den Gerichtssaal. (dpa)
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Der 2019 wegen 85-fachen Mordes verurteilte Patientenmörder Niels Högel hat am Mittwoch erneut als Zeuge in einem Prozess gegen frühere Klinik-Vorgesetzte ausgesagt. Über Stunden wurde der 45-Jährige von der Kammer und den Anwälten zu verschiedensten Themen befragt. Konkret äußerte sich der Zeuge auch zu einem Mordfall im Juni 2005 in Klinikum Delmenhorst.
Daran könne er sich genau erinnern: „Weil es der vorletzte Mordfall war, bevor die Serie endete“, sagte der Zeuge. Den im künstlichen Koma liegenden Patienten habe er damals über einen Zugang das Herz-Medikament Gilurytmal injiziert. Eine Kollegin erwischte ihn de facto auf frischer Tat. Der Patient überlebte nicht.
Den sieben Angeklagten - drei Ärzte, drei leitende Pflegerinnen und Pfleger und ein Ex-Klinik- Geschäftsführer der Kliniken Oldenburg und Delmenhorst - wird in unterschiedlichem Umfang Beihilfe zum Totschlag beziehungsweise versuchten Totschlag jeweils durch Unterlassen vorgeworfen. Die Staatsanwaltschaft beschuldigt sie, trotz Hinweisen nichts unternommen zu haben, um die Verbrechen zu unterbinden.
Wehrlose Patienten per Spritze umgebracht
Högel brachte erst in Oldenburg und dann in Delmenhorst in den Jahren 2000 bis 2005 wehrlose Patienten um, indem er ihnen nicht verordnete Medikamente spritzte. Der Deutsche wurde 2019 zu lebenslanger Haft verurteilt und verbüßt seine Strafe in der JVA Oldenburg.
Högel betonte, er habe seine Taten zum Ende hin „nicht mehr großartig vertuscht oder verdeckt“. „In mir war eine Hoffnung, dass das irgendwie beendet wird.“ Lange Zeit sei er sicher gewesen, dass die Taten für seine Kollegen „so abstrus und undenkbar“ waren, dass niemand darauf kommen werde. Zuletzt habe er gedacht, dass langsam „endlich mal einer dahinter kommen muss“.
„Das klingt für Außenstehende geradezu pervers“, sagte Richter Sebastian Bührmann. Er habe es ja selbst in der Hand gehabt, seine Taten zu beenden. Högel antwortete, dass ihm der Mut gefehlt habe, zur Polizei zu gehen. „Den letzten Schritt konnte ich nicht gehen.“

Durch die Befragung durch die Verteidiger erfuhren Zuschauer und Journalisten auch unter anderem die exakte Medikamentierung Högels, der Arzneien gegen zu hohe Blutfettwerte und Antidepressiva nimmt, dass der Zeuge eine Schutzweste trägt und warum er Respekt vor einigen anwesenden Anwälten hat. Breiten Raum nahm der Umgang des in der JVA Oldenburg inhaftierten Deutschen mit einer Medienfirma und einem entsprechenden Vertrag ein.
Högel hatte im Juni 2021 ein Telefoninterview gegeben. Ein entsprechender Medienvertrag dazu wurde am Dienstag in seiner Zelle beschlagnahmt. Die Verteidiger wollen nun klären, ob Högels Angaben zu dem Vertrag und möglichen Geldflüssen korrekt sind. Dies sei wichtig für die Glaubwürdigkeit des Zeugen, argumentierte einer der Anwälte: „Sie sind ursächlich für den Tod von mehr Menschen als hier im Saal sitzen. Die Glaubwürdigkeit des Zeugen bedarf schon genauer Überprüfung.“
Uhren auf Null gestellt
Die Vorwürfe gegen die Angeklagten beziehen sich konkret auf drei Morde im Oldenburger Klinikum sowie drei Morde und zwei Mordversuche in Delmenhorst. Für die Angeklagten gilt die Unschuldsvermutung. Fakten aus dem Urteil gegen Högel von 2019 dürfen nicht einfach übernommen werden. Alle Beweise müssen neu eingeführt werden. Die Kammer betonte mehrfach, die Uhren würden auf Null gestellt.
Am Mittwoch ging der Ex-Pfleger auch auf das Arbeitsklima auf der Herzchirurgischen Intensivstation in Oldenburg ein, wo er zahlreiche Menschen tötete. Dort seien die Arbeitsbeziehungen gut und freundlich gewesen. „Ablehnung habe ich nie erlebt“, sagte Högel.
Für den Prozess sind bis Ende November insgesamt 42 Verhandlungstage angesetzt. Der 8. März ist der vierte Prozesstag. Dann soll Högel weiter aussagen. Gegen einen weiteren Angeklagten, einen Pflegeleiter aus Delmenhorst, wurde das Verfahren aus gesundheitlichen Gründen abgetrennt.

dpa