Supreme Court (AP)
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Das bis dato durch den Supreme Court gestützte liberale Abtreibungsrecht in den USA könnte bald Geschichte sein. Der Oberste Gerichtshof steht einem Bericht des Magazins „Politico“ zufolge kurz davor, sein Grundsatzurteil zu Abtreibungen von 1973 zu kippen. Das geht aus einem vertraulichen Entwurf der Urteilsbegründung hervor, die dem Magazin vorliegt.

Das Gericht bestätigte die Echtheit, betonte aber, es handle sich nicht um die finale Entscheidung. Eine derartige Vorab-Veröffentlichung gilt als extremer Bruch mit den Regeln des Gerichts, es wurde auch schon eine interne Untersuchung angekündigt.

Lebensschützer haben sich nie mit Roe v. Wade abgefunden

Das Abtreibungsrecht ist in den USA immer wieder Thema heftiger Auseinandersetzungen. Gegner versuchen die liberalen Regeln seit Jahrzehnten zu kippen.

Es gibt kein landesweites Gesetz, das Abtreibungen erlaubt oder verbietet. Abtreibungen sind in dem Land aber mindestens bis zur Lebensfähigkeit des Ungeborenen erlaubt - heute etwa bis zur 24. Woche. Grundlage dafür ist ein Urteil aus dem Jahr 1973, das als Roe v. Wade bekannt ist. Ein weiteres Urteil von 1992, Planned Parenthood v. Casey, bestärkte die Rechtsprechung und passte sie etwas an.

Kippt der mittlerweile mehrheitlich konservativ besetzte Supreme Court diese Rechtsprechung, wäre der Weg endgültig frei für schärfere Abtreibungsgesetze in Bundesstaaten, die diese wünschen - bis hin zu kompletten Verboten in einzelnen US-Staaten.

Von Trump ernannte Richter könnten den Ausschlag geben

„Es ist an der Zeit, die Verfassung zu beherzigen und die Frage der Abtreibung wieder den gewählten Vertretern des Volkes zu überlassen“, heißt es in dem von „Politico“ veröffentlichten Entwurf. „Wir denken, dass Roe und Casey zurückgewiesen werden müssen“, schreibt demnach Supreme-Court-Richter Samuel Alito in dem Dokument, das die Meinung der Mehrheit der Richterinnen und Richter wiedergeben soll. Der Entwurf ist auf den 10. Februar datiert. Unbekannt ist, ob er sich seither verändert hat oder es weitere Entwürfe gab.

Der Entwurf wird „Politico“ zufolge neben Alito von vier weiteren Richtern unterstützt. Darunter sind die drei vom ehemaligen Präsidenten Donald Trump ernannten Richter Neil Gorsuch, Brett Kavanaugh und Amy Coney Barrett. Das Gericht bestätigte zwar die Authentizität des Entwurfs, betonte aber, dass es sich weder um die finale Entscheidung noch um die endgültige Position eines Richters handele.

Bundesstaaten würden künftig selbst über Regelungen entscheiden

Hintergrund der anstehenden Entscheidung ist ein Abtreibungsgesetz aus dem Bundesstaat Mississippi, das fast alle Abtreibungen nach der 15. Schwangerschaftswoche verbietet. Der konservativ regierte Bundesstaat hatte das Oberste Gericht angerufen, den Fall zu überprüfen. Dass sich das Gericht überhaupt mit dem Fall beschäftigt, war bereits als Zeichen gewertet worden, dass Roe v. Wade kippen könnte.

Der Entwurf sieht nun vor, es den Bundesstaaten zu überlassen, wie sie ihr Abtreibungsrecht regeln. Einige Staaten haben bereits Gesetze vorbereitet, die sofort in Kraft treten könnten. Es sind vor allem die konservativen Staaten im Süden und mittleren Westen, die Abtreibung ganz oder fast komplett verbieten wollen.

Liberale Staaten wie New York oder Kalifornien haben hingegen Gesetze, die das „Recht auf Abtreibung“ ausdrücklich schützen. Am Ende würde es, bleibt es beim Tenor des Entwurfes, Bundesstaaten mit mehr oder minder restriktiven und andere mit liberalen Regelungen zum Schwangerschaftsabbruch geben. Ein verfassungsmäßiges Recht auf einen solchen, wie Roe v. Wade es behauptet hatte, wäre jedoch nicht mehr anerkannt.

Mehrheit für bundesweite Regelung wäre unsicher

US-Präsident Joe Biden hat mit Blick auf die Veröffentlichung des Entwurfs Gegenwehr angekündigt. Es brauche ein landesweites Gesetz, welches das „Recht auf Abtreibung“ schütze, erklärte er. Er wolle sich dafür einsetzen, dass ein solches Gesetz „verabschiedet und unterzeichnet“ werde.

So einfach ist das allerdings nicht. Schon mit den aktuellen Mehrheiten können Bidens Demokraten ein solches Gesetz im Senat nicht ohne Weiteres durchbringen. Im kommenden November droht ihnen sogar ein Verlust ihrer Mehrheiten in beiden Häusern des Kongresses.

Leaks zu Entscheidungen des Supreme Court gab es auch in der Vergangenheit immer mal wieder. Höchst ungewöhnlich ist aber, dass der komplette Entwurf einer Urteilsbegründung veröffentlicht wird. „Die undichte Stelle könnte als Kalkül gesehen werden, um das Gericht dazu zu bewegen, sich in eine andere Richtung zu bewegen“, kommentierte die „Washington Post“.

Republikanische Politikerinnen und Politiker begrüßten die Stoßrichtung des Entwurfs, verurteilten aber die Veröffentlichung. Vertreter der Demokraten im Kongress, aber auch in Bundesstaaten wie Kalifornien und New York kündigten an, sich weiterhin gegen eine Einschränkung des Schwangerschaftsabbruchs einzusetzen. Es werden zudem Proteste und Ausschreitungen erwartet, sollte der Entwurf in der durchgesickerten Form zum Kern eines neuen Grundsatzurteils werden. Eine endgültige Entscheidung wird in den kommenden zwei Monaten erwartet.

TRT Deutsch und Agenturen