Symbolbild. Muslime in Frankreich protestieren gegen die Politik der Macron-Regierung. (AA)
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Muslimische Gemeinschaften in Europa sind laut einer aktuellen Studie in den gesetzgebenden Körperschaften im Verhältnis zu ihren Bevölkerungsanteil unterrepräsentiert. Insbesondere in den Ländern Frankreich, Schweden, Spanien, Italien, Großbritannien und Deutschland werde die muslimische Bevölkerung in den Parlamenten nicht ausreichend vertreten, argumentierte Autor Professor Şener Aktürk in der am Montag veröffentlichten Studie „Institutionalisierung von ethnokultureller Vielfalt und die Repräsentation europäischer Muslime“.

Ethnokulturelle Realität nicht überall in gleichem Maße abgebildet

Die akademische Arbeit konzentrierte sich auf den Vergleich der Situation muslimischer Minderheiten in 26 europäischen Ländern im Laufe von elf Jahren. Dabei wurden starke Kontraste zwischen den Ländern aufgedeckt: Während in Belgien, Bulgarien, den Niederlanden, Rumänien und Serbien Muslime hohe Repräsentationszahlen aufweisen, gefolgt von Kroatien, Finnland, Montenegro und Norwegen, sei in Frankreich, Schweden, Spanien, Italien, Großbritannien und Deutschland das Gegenteil der Fall.

Die Studie argumentiert, dass eine Institutionalisierung der ethnokulturellen Vielfalt eine proportionalere Repräsentation von religiösen Minderheiten erleichtern würde. „Eine solche multiethnische und multikulturelle Institutionalisierung fördert die Idee, dass das Gemeinwesen aus mehreren Kollektiven mit spürbar unterschiedlichen kulturellen Merkmalen besteht“, so die Studie.

Hohe Repräsentation in Belgien

In Belgien zum Beispiel, wo schätzungsweise sechs Prozent der Bevölkerung Muslime sind, verteilen sich die muslimischen Abgeordneten auf fünf politische Parteien mit völlig unterschiedlichen ideologischen Hintergründen, darunter sozialistische, Mitte-Links- und Mitte-Rechts-Parteien. Sie können bei Bundes- und Regionalwahlen frei antreten, ohne ihre Identität verbergen zu müssen - ganz im Gegensatz zu Frankreich, wo nur säkulare Muslime Erfolge verzeichnen.

„Muslime, die viel neuere Minderheit in Belgien im Vergleich zu Wallonen und Flamen, kriegen die Möglichkeit einer Repräsentation im Verhältnis zu ihrer Bevölkerung, und manchmal sogar auf einem höheren Niveau“, sagte Aktürk. „Wir behaupten, dass dies indirekt eher ein positiver Nebeneffekt der Institutionalisierung der ethnokulturellen Vielfalt ist als ein Zufall.“ Sie profitieren von der bereits vorhandenen ethnokulturellen Vielfalt im Lande.

Schlechteste Vertretung in französischer Nationalversammlung

Obwohl in Frankreich die größte muslimische Bevölkerung in Westeuropa lebt, weist das Land demgegenüber die schlechteste Bilanz in Bezug auf ihre Vertretung aus. Im Jahr 2012 gab es vier muslimische Abgeordnete und im Jahr 2017 acht muslimische Abgeordnete im französischen Parlament.

Gemessen am Anteil der muslimischen Bevölkerung müsste es mindestens 42 muslimische Abgeordnete im Parlament geben, so Aktürk. Die Gründe für die Dysbalance erklärte der Professor mit der Tradition Frankreichs, den Ausdruck religiöser und ethnischer Identitäten im öffentlichen Raum zu verbieten. Der Staat dränge seine Bürger dazu, sich in eine französischsprachige, säkulare Identität zu assimilieren. Zudem gilt ein striktes System von Einerwahlkreisen.

Ähnlich sieht es in Österreich aus - obwohl es dort anders als in Frankreich kein Mehrheitswahlrecht gibt. Dort sind Muslime mit weniger als zwei Prozent im
Parlament vertreten, obwohl sie etwa sechs Prozent der Gesamtbevölkerung des Landes ausmachen. Im Gegensatz dazu stellen Muslime in den Niederlanden, wo sie ebenfalls sechs Prozent der Bevölkerung ausmachen, rund acht Prozent des Parlaments. Dort gilt ein reines Verhältniswahlrecht ohne prozentuale Sperrklausel.

Dauer der Präsenz hat keine Bedeutung

In Bezug auf die Repräsentationsrate sei die Präsenzgeschichte einer Minderheit in einem europäischen Land irrelevant, so Aktürk. So seien französisch-algerische Staatsangehörige fast seit 190 Jahren Teil der französischen Gesellschaft, ohne dass es eine gerechte Repräsentation gäbe, während belgische Muslime erst seit 50 bis 60 Jahren präsent seien und trotzdem eine höhere Repräsentationsrate im Verhältnis zu ihrer Bevölkerung haben.

TRT Deutsch