Bürgergeld: Bezieher werden kein angenehmes Leben haben (dpa)
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Der Duisburger Sozialwissenschaftler Gerhard Bäcker tritt der Kritik aus Kreisen der Union und der Wirtschaft am geplanten Bürgergeld entgegen. Die Sozialleistung sei nicht zu hoch: „Jeder, der glaubt, mit einem Regelbedarf von 502 Euro, den es ab Januar 2023 für eine alleinstehende Person geben soll, ein ‚angenehmes‘ Leben zu führen, soll das einmal für sich selbst ausprobieren“, sagte Bäcker dem Evangelischen Pressedienst (epd). Der Experte fügte hinzu: „Das war schon vor Ausbruch der starken Inflation nicht möglich und wird erst recht bei einer Preissteigerungsrate von über zehn Prozent nicht möglich sein.“

Union kündigt Widerstand an

Zum Jahreswechsel will die Bundesregierung das Bürgergeld einführen. Es soll an die Stelle der Hartz-IV-Leistungen treten. Die Union kündigte dagegen Widerstand an. CDU-Generalsekretär Mario Czaja hatte dem „Tagesspiegel“ gesagt, falls die Ampel-Koalition nicht zu weitreichenden Zugeständnissen bereit sei, wolle die Union das Gesetz im Bundesrat blockieren. Bäcker widersprach der Behauptung, Bezieher des Bürgergeldes hätten höhere Einkünfte als Erwerbstätige mit einem niedrigen Arbeitseinkommen: „Wer nur auf die Regelsätze der Grundsicherung abstellt, argumentiert unseriös.“ Denn eine Beschäftigte etwa, die zum gesetzlichen Mindestlohn von zwölf Euro arbeitet, habe - im Unterschied zu Bezieherinnen und Bezieher des Bürgergeldes - möglicherweise noch zusätzlich Anspruch auf Wohngeld. Wenn Kinder zu unterhalten sind, erhalte sie Kindergeld sowie Kinderzuschlag.

Nichtinanspruchnahme von Leistungen weit verbreitet

Allerdings sei Betroffenen ihr Anspruch auf Wohngeld, Kinderzuschlag, Unterhaltsvorschuss oftmals nicht bekannt. Auch die Nichtinanspruchnahme von Leistungen der Grundsicherung sei weit verbreitet. Insbesondere bei älteren Menschen spielten „Ängste vor dem Stigma der Bedürftigkeit eine große Rolle“, erklärte der Duisburger Sozialwissenschaftler. Empirisch betrachtet sei nicht „Missbrauch“ von Leistungen das Problem, sondern der fehlende oder unzureichende „Gebrauch“ von Leistungen, sagte Bäcker. „Das System ist kompliziert, und viele Betroffene wissen nicht, ob sie überhaupt einen Anspruch haben.“ Deshalb seien umfangreiche Beratung und Transparenz bei den Leistungen „zwingend notwendig“. Die von der Ampel geplanten Verbesserungen bei der Erstattung der Warmmiete lobte Bäcker ausdrücklich. Denn in der Vergangenheit hätten Hartz-IV-Bezieherinnen und -Bezieher oft ihre angestammte Wohnung nicht mehr bezahlen können und daher aufgeben müssen. „Das war eine außerordentlich hohe soziale Härte. Hier ist die Neuregelung des Bürgergeldes, eine Karenzzeit einzuführen, überfällig“, erklärte der Sozialforscher.

epd