US-Präsident Joe Biden besucht Israel inmitten des anhaltenden Konflikts zwischen Israel und der Hamas. / Photo: Reuters (Reuters)
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von Murat Sofuoğlu

Die Dehumanisierung des Feindes ist Teil der US-amerikanischen Kriegsstrategie und wird aktuell von Israel zur Definition der Hamas aufgegriffen. So versucht der israelische Staat, seine Militäraktionen, von denen viele Kriegsverbrechen gleichkommen, mit einer entmenschlichenden Sprache zu rechtfertigen. Palästinensische Widerstandsgruppen und ihre zivilen Unterstützer werden als „menschliche Tiere“ bezeichnet, ihre Unterstützer mit Terrorsympathisanten gleichgesetzt.

Der Gazastreifen wird seit 2007 von der Hamas regiert, nachdem die Widerstandsgruppe mit einer starken politischen Basis die Wahlen mit einem klaren Mandat gewonnen hatte. Der sogenannte Islamische Staat (Daesh) ist für seine nihilistische Gewalt und mittelalterliche Strafen wie Enthauptungen und öffentliche Hinrichtungen bekannt.

Die israelischen Versuche zielen darauf ab, die Hamas in dasselbe Licht zu rücken und damit eine Lizenz zum Töten von Zivilisten unter Hamas-Herrschaft zu erhalten. Ähnlich wie die US-geführte Anti-Daesh-Koalition Tausende von Zivilisten unter dem Vorwand von Anti-Terror-Operationen in Syrien und im Irak getötet hat.

Auch in Afghanistan wurden viele Zivilisten, darunter Kinder, von den US-Streitkräften und ihren Verbündeten im Namen der Ausrottung von Al-Qaida und Daesh-Terroristen in dem vom Krieg zerrütteten Land und im Kampf gegen die Taliban getötet.

„Daesh ist zu einem Synonym für absolute, pure Bosheit geworden“

Heiko Wimmen, Projektleiter für den Irak, Syrien und Libanon beim US-Think-Tank International Crisis Group erklärt: „Daesh ist zu einem Synonym für absolute, pure Bosheit geworden - losgelöst von jedem Kontext und ohne Bezug zu einer Sache, die jemand verteidigen möchte“.

Die Gleichsetzung von Hamas mit Daesh „unterdrückt jegliche Diskussion über die Faktoren und Bedingungen“, die zu den gefängnisähnlichen Lebensumständen für Palästinenser geführt hätten. Das habe letztendlich zu dem Angriff der Hamas am 7. Oktober geführt, erklärt Wimmen dem Sender TRT World.

Diese Gleichsetzung hat für Israel auch einen politischen Zweck. Denn ein Dialog mit einer Terrorgruppe wie Daesh ist ausgeschlossen. Niemand erwartet, mit ihnen zu verhandeln. Das hilft dem israelischen Staat, diplomatische Wege mit der Hamas zu schließen und einfach zu brutalen Gewaltmethoden zu greifen. Dazu gehören auch Angriffe auf Zivilisten in Gaza. „Mit Daesh verhandelt man nicht, sondern man löscht sie von der Oberfläche der Erde aus. Punkt“, sagt der in Beirut ansässige politische Analyst.

Tel Aviv kooperierte mehrmals mit der Hamas trotz Terror-Vorwürfe

Doch im Widerspruch dazu verhandelt Israel bis heute mit der Hamas, mit der es in der Vergangenheit immer wieder zusammengearbeitet hat. Sei es bei Waffenstillstandsvereinbarungen zur Beendigung der bewaffneten Auseinandersetzungen oder bei der Organisation von finanzieller und medizinischer Hilfe für den seit 2007 vollständig blockierten Gazastreifen.

„Das Problem ist, dass die Hamas im Gegensatz zu Daesh nicht nur eine dreißigjährige Geschichte hat, sondern auch wiederholt mit Israel und sogar mit Ministerpräsident Benjamin Netanjahu selbst verhandelt hat“, sagt Ibrahim Moiz, politischer Analyst für militärische Konflikte und bewaffnete Gruppen wie die Taliban.

Doch nahezu ohne Beachtung solcher Hintergrundgespräche haben „israelische Propagandisten das Maß überschritten und ihre lokale Propaganda internationalisiert, um nicht nur die Hamas zu verteufeln, sondern die Palästinenser als Ganzes zu entmenschlichen“, so Moiz gegenüber TRT World.

Die Identifizierung von Hamas mit Daesh ziele auch darauf ab, die internationale Unterstützung für Israel weiter zu verstärken, sagt Wimmen. Damit soll die Kritik am israelischen Verhalten im Krieg und an einer möglichen Bodeninvasion unterdrückt werden.

„Wenn wir gegen Daesh kämpfen, das ‚durch und durch böse‘ ist, dann können wir nicht zimperlich sein, oder? Und es gibt Präzedenzfälle (Raqqa, Mossul), in denen massive Gewalt angewendet wurde, um sie zu vertreiben. Und alle waren damit einverstanden“, erinnert sich Wimmen.

Daesh-Gleichsetzung: Ein schlechtes Spiel mit der muslimischen Wahrnehmung?

Dass der Westen jede muslimisch dominierte Gruppe wie die Hamas des Terrorismus verdächtigt, ist vielleicht nicht die beste Idee für die Zukunft der Menschheit. Denn Demografieforscher schätzen, dass der Islam bis zum Jahr 2075 die größte Religion der Welt sein wird.

Nach dem 11. September entwickelte George W. Bush eine neue Rhetorik des Guten gegen das Böse und benutzte das Wort „Kreuzzug“ für seinen umstrittenen „Krieg gegen den Terror“. Die blutigen US-Kriege im Irak und in Afghanistan forderten in beiden Ländern Millionen von Opfern.

Wie Bush sprachen auch westliche Politiker nach dem Anschlag vom 7. Oktober von einem „Akt des absolut Bösen“ und von einem „Grundübel“. Diese Beschreibungen erinnerten viele Muslime an die amerikanischen Kriege und daran, dass der Islam gemeint sein könnte. Die Aussagen folgten auf israelische Äußerungen über die Hamas, die sie als „menschliche Tiere" und „Feinde der Zivilisation“ bezeichneten.

Nadia Ahmad, Juraprofessorin in Orlando und Fellow am Center for Security, Race, and Rights, erklärt: „Das Ziehen von Parallelen zwischen Hamas und Daesh hat in US-amerikanischen politischen Kreisen an Bedeutung gewonnen. Aber solche Vergleiche übersehen wesentliche Unterschiede zwischen den beiden."

Obwohl alle diese Gruppen bewaffnete Organisationen seien, unterschieden sie sich erheblich. Von ihren historischen Wurzeln bis hin zu ihren regionalen Zielen und übergreifenden Ideologien gebe es Unterschiede, so Ahmad. Doch unter dem Einfluss der israelischen Propaganda verliere der Westen zunehmend den Blick für das große Ganze und betrachte fast alle Muslime als potenzielle Terroristen, so Ahmad.

„Zuerst war es Al-Qaida. Dann Daesh. Und jetzt die Hamas“

„Alle Muslime und Araber werden als Terroristen dargestellt. Zuerst war es Al-Qaida. Dann Daesh. Und jetzt die Hamas“, erklärt Ahmad gegenüber TRT World. Doch trotz der pauschalen Anschuldigungen gegen Muslime räumten westliche Analysten auch ein, dass die US-geführten Besatzungen eine entscheidende Rolle bei der Entstehung einiger Terrorgruppen wie Daesh gespielt habe.

David Kilcullen, einer der weltweit führenden Experten auf dem Gebiet der Aufstandsbekämpfung, stimmt dem zu. Kilcullen war Berater des damaligen CIA-Direktors General David Petraeus, der die US-Invasion im Irak gegen eine wachsende Widerstandsbewegung im Land anführte. Kilcullen argumentierte, dass der Aufstieg von Daesh eine direkte Folge der US-Invasion im Irak sei.

„Wir müssen erkennen, dass ein Großteil des Problems von uns selbst verursacht wurde. Es gäbe keinen Daesh, wenn wir nicht in den Irak einmarschiert wären“, sagte Kilcullen in einem Interview mit Channel 4 News im März 2016.

TRT Deutsch