12.08.2021, Guatemala, El Ceibo: Abgeschobene Migranten kommen in El Ceibo an. Die Migranten, zumeist Mittelamerikaner, wurden im Süden Mexikos aufgehalten, als sie versuchten, die Vereinigten Staaten zu erreichen, und von den mexikanischen Behörden an den Grenzübergang zu Guatemala gebracht. (Others)
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von Ali Özkök & Burcu Karaaslan

Der 1962 in Essen geborene Unternehmer Kilian Kleinschmidt hat über Jahrzehnte hinweg Flüchtlingslager in aller Welt geleitet und an Ansätzen mitgearbeitet, um Schutzsuchenden Perspektiven in ihren Zielländern zu ermöglichen. Auch für UN-Programme war er im Einsatz.

Im Gespräch mit TRT Deutsch spricht er über Inkonsequenzen der deutschen Willkommenspolitik und darüber, wie durch sinnvolle politische Weichenstellungen Druck aus der Flüchtlingspolitik genommen werden könnte. Sie haben in Ihrer Funktion als Verantwortlicher für Flüchtlingshilfe schon zahlreiche unterschiedliche Erfahrungen in unterschiedlichen Ländern mit der Unterbringung von Schutzsuchenden gesammelt. In Deutschland wird immer wieder die Bekämpfung der Fluchtursachen angepriesen. Wird dafür genug getan?

Die Fluchtursachen sind zum einen die natürlichen Bedingungen wie Armut, zu wenig Wasser, Dürre als durch den Klimawandel verursachte Konsequenzen, aber auch Ausbeutung. Es gibt auch einfach nur das Gefühl, dass man nicht weiterkommt im Leben. Es geht hier um ein falsches Denken von vielen europäischen Politikern. Es geht auch nicht nur um Arbeit. Es gibt so viele Programme, die als Fluchtursachenbekämpfung eingesetzt werden. Dabei geht es um Arbeitsbeschaffung und Ausbildung. Es geht aber auch um Lebensgefühl. Ich merke das jetzt, wo ich hier aus Tunesien mit Ihnen spreche. Bei vielen jungen Menschen, da geht es nicht um Arbeit, sondern es geht auch um die Spannungen zwischen den Gesellschaften - den Wunsch nach einem modernen Leben. Also es ist viel komplexer, als man sich das so vorstellt.

Man muss ganz andere Ansätze nehmen und vielleicht auch wegkommen von diesem Irrdenken, dass es darum geht, Migration zu stoppen. Migration: Daraus sind wir entstanden. Migration ist Evolution. Wir sind alle ein Produkt von Migrationen. Oft auch als Flucht in unsere Geschichte. Und als solche sollten wir das auch anerkennen.

Wo wir natürlich auch alle mit einverstanden sein sollten, ist, dass die Art und Weise, wie die irreguläre Migration passiert, natürlich auch keinem hilft. Ich glaube, dass die europäischen Politiker doch noch ein bisschen lernen und umdenken müssen. Wenig Schmeichelhaftes wissen Sie aus den Flüchtlingslagern auf den griechischen Inseln zu berichten. Auch im Rahmen der Europäischen Union will Griechenland angeblich durch die Schaffung und Aufrechterhaltung suboptimaler Formen der Unterbringung Flüchtlinge vom Kommen abschrecken. Wenn das stimmt, wie erfolgreich ist diese Strategie eigentlich?

Man muss sich nur die Zahlen aus den letzten Monaten anschauen. Da sind natürlich die Neuankömmlinge, die Zahl der Landungen in Griechenland ist aber dramatisch heruntergegangen. Das hat natürlich damit zu tun, dass es sich herumgesprochen hat, dass die dort herrschenden Bedingungen nicht ideal sind, ganz bestimmt nicht ideal sind. Große Schwierigkeiten für die Menschen bringen gerade lange Wartezeiten auf ein Gespräch und auch auf dieses Sortieren zwischen denjenigen, die einen berechtigten Asylantrag stellen könnten, und denjenigen, die eigentlich keine Chance auf Asyl haben.

Griechenland ist da von vielen europäischen Staaten einer, der doch eine recht harte Politik fährt. Das sollte man schon auch aufzeigen. So etwas haben wir natürlich auch im Mittelmeer, in Libyen oder auf Tunesiens Seite. Überall. Das ist Teil einer europäischen Abschreckungspolitik. Leider haben wir da noch keine Alternativen geschaffen, um eben auch andere Wege, auch legale Wege zu eröffnen, um diese Welt etwas gerechter zu machen.

Das muss man natürlich nochmal trennen von akuten Notsituationen, wo viele, viele Menschen flüchten werden und sich auch sehr schnell in Bewegung setzen.

Ist so etwas in absehbarer Zeit zu erwarten? Ich glaube, wir haben leider in Afghanistan eine solche Situation, die sich da rapide entwickelt ins Negative, wenn keine Wunder geschehen. Und wir müssen davon auch unterscheiden, wo und wie aus vielen Staaten dieser Welt eben ein Migrationsdruck und in weiterer Folge ein mögliches Integrationsproblem entsteht. Wir wissen, dass diese Personen eintreffen können. Aber 15, 16, 17 Monate vergehen. Da ist der Frust, nicht einmal ein Visum zu bekommen. Am Ende bringt dies Leute dazu, dann eben auch Wege zu gehen, die illegal sind und auf der Gegenseite zu Rassismus beitragen. Man sollte also Wege gehen, um Druck herauszunehmen. Etwa durch Öffnung von Austauschprogrammen für Studenten. Und eine liberalere Politik würde auch sehr viel Druck herausnehmen in Bezug auf diejenigen, die zum Beispiel jetzt auch in Griechenland und an anderen Orten festsitzen, weil sie keine Chance auf Asyl haben, da sie keine wirklichen Fluchtgründe in Sinne des offiziellen Kontexts der Flüchtlingskonvention aufweisen. Dass man ihnen dort auch Möglichkeiten bietet in Richtung Ausbildung, in Richtung Arbeitsvermittlung und so weiter. Da muss viel mehr passieren und es muss auch schnell passieren, da der Druck einfach sehr groß geworden ist. Sie haben ja das Konzept der Sammellager für die Unterbringung von Flüchtlingen generell als überholtes System dargestellt. Lassen sich aber Situationen wie jene in den Jahren ab 2014 mit Millionen von Menschen auf der Flucht anders bewältigen? Wir reden sehr viel von der Rückkehr. Das hat auch die deutsche Bundesregierung von Merkel 2015 verkündet. Da wird erst von Willkommenskultur gesprochen und dann schon wieder von Abschiebung und Rückkehr. Das ist natürlich ein Statement gegen Integration. Da wird ein Aufwand getrieben, Gastgeber und Gäste bemühen sich, zusammenzufinden – und dann ist alles nach ein paar Jahren vorbei. Man vergisst, dass der Mensch sich weiterentwickelt und auch das Recht dazu hat. Das Umfeld, der erlernte Beruf, das alles verändert einen. Ich habe das auch in Bezug auf viele Lager in der Welt gesehen, wo Leute sich im Sinne einer Urbanisierung einfach verändern, weil sie auf einmal mit vielen, vielen anderen Menschen zusammenleben. Und dann gibt es dieses Konzept: Ein guter Flüchtling kehrt zurück in sein Heimatdorf oder seine Heimatstadt und baut dann das Land wieder auf. Ich glaube, das ist in einem Jahrtausend der Mobilität eigentlich nicht mehr aktuell. Von diesem Konzept müssen wir auch alle eine klare Ansage machen am Anfang von solchen Überlegungen: Ja, ihr seid herzlich willkommen. Wir müssen zusammenfinden. Das muss wirtschaftlich wie auch sozial geschehen. Das heißt nicht, dass wir euch daran hindern, zurückzukehren, sondern das heißt einfach, dass wir uns hier zusammenfinden müssen. Oder dass im Grunde das Konzept von lediglich humanitärer Hilfe nur für wenige und für kurze Zeit gelten sollte. Und es danach ums Arbeiten geht. Es geht um Wirtschaftlichkeit und soziale Integration. Vielen Dank für das Gespräch!

TRT Deutsch