Ukrainische Panzer bei der Eröffnung des „Sea Breeze“-Manövers (Reuters)
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Von Till C. Waldauer

Die Ukraine freut sich über eine, wie „Ukrinform“ es nennt, „Rekordteilnahme“ von 32 Ländern, die dem derzeit stattfindenden Manöver „Sea Breeze 2021“ im Schwarzen Meer entweder als Teilnehmer oder als Beobachter beiwohnen. Das Manöver, das von der US-Marine und den ukrainischen Streitkräften organisiert wird, soll 12 Tage dauern und eine Reihe unterschiedlichster Übungen zu Wasser, zu Lande und in der Luft umfassen.

Das Manöver, das schon im Vorfeld zu Spannungen mit Russland führte, gilt als wichtige Nato-Veranstaltung, obwohl auch zahlreiche Teilnehmer und Beobachter von außerhalb des Bündnisses mit von der Partie sein werden.

Russland warnt vor möglichen „ungewollten Zwischenfällen“

Teilweise sind sogar Staaten dort vertreten, die untereinander keine diplomatischen Beziehungen unterhalten oder zwischen denen es Spannungen gibt – wie Israel und Pakistan. Laut „Egypt Independent“ sind mit Tunesien, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Marokko und Ägypten gleich vier arabische Staaten mit von der Partie. Anfang der Woche hatte jedoch „All Africa“ zufolge Tunesiens Verteidigungsministerium dementiert, dass das Land bei „Sea Breeze 2021“ vertreten sein würde.

Russland spricht von einer „Größenordnung und offenkundig aggressiven Natur“ der Übung, die „in keiner Weise in Relation zu den tatsächlichen Sicherheitsbedürfnissen in der Schwarzmeerregion“ stehe. Der Kreml warnt vor „erhöhten Risiken ungewollter Zwischenfälle“ und startete seinerseits eine eigene Luftabwehrübung auf der Krim, die Russland 2014 – nach überwiegender Meinung von Völkerrechtlern durch eine illegale Annexion – in seinen Staatsverband eingliederte.

Dass die Türkei mit von der Partie ist, lässt sich nicht allein mit bloßer Solidarität Ankaras mit der Position der Ukraine im Krimkonflikt erklären. Obwohl sich Ankara in anderen Bereichen wie der Syrienkrise mit dem Kreml um Lösungen bemüht, ist die türkische Regierung nicht bereit, die Angliederung der Krim anzuerkennen – zumal Ankara dadurch erhebliche Nachteile für das dort ansässige Turkvolk der Krimtataren befürchtet.

Türkei kann regionale Sicherheit verändern

Die Türkei will ihre Präsenz bei Sea Breeze 2021 auch nutzen, um ihre steigende Bedeutung als strategischer Partner in Osteuropa zu unterstreichen, wie sie erst jüngst in Drohnen-Deals mit Polen und einer intensiveren militärischen Zusammenarbeit mit der Ukraine zum Ausdruck kam.

Dr. Jakub Bornio von der Universität Breslau machte im Gespräch mit TRT Deutsch deutlich, dass sich die Wahrnehmung der Türkei in vielen mittel- und osteuropäischen Ländern von jenen anderer europäischer Akteure in- und außerhalb der EU unterscheidet.

„Während West- und Südeuropäer vor allem über den Migrationsdruck besorgt sind, den sich die Türkei recht effektiv zunutze macht“, so der Sicherheitsexperte für Osteuropa, „sehen einige Mittel- und Osteuropäer die Türkei als Partner im Kampf gegen Russland oder als entscheidendes Element in den Verhandlungen mit anderen Partnern, z. B. den USA. Ein mögliches türkisches Engagement im Ostsee-Schwarzmeer-Korridor hat das Potenzial, die regionale Sicherheit zu verändern.“

Die Türkei, die auf dem Weltmarkt für Kampfdrohnen binnen kürzester Zeit in die Reihen der vier wichtigsten Player aufgestiegen ist, wird auch dadurch zu einem Schlüsselakteur des sicherheitspolitischen Gleichgewichts – in Osteuropa im Allgemeinen und in der Schwarzmeerregion im Besonderen.

Intermarium 2.0 könnte auch für Ankara Chancen bieten

Es sind nicht nur gemeinsame Interessen der Türkei und osteuropäischer, Konflikte mit der Russischen Föderation fürchtender Anrainerstaaten, die zu politischen Verschiebungen an der Ostflanke führen. Länder wie Polen klagen zudem auch über mangelnde Solidarität aufseiten Westeuropas, wo man sich mehr für angebliche Demokratiedefizite denn für die Abschreckung Russlands interessiere.

Auf diese Weise gewinnt auch die Idee des „Intermariums“ in Warschau und Kiew zunehmend wieder Anhänger. Diese vom damaligen polnischen Staatschef Józef Piłsudski geprägte Vision, die eine Föderation von Ländern aus dem ehemaligen polnisch-litauischen Commonwealth und einen eigenen Machtblock von der Ostsee bis zum Mittelmeer schaffen soll, war erst jüngst wieder Gegenstand einer international frequentierten Veranstaltung in Warschau. Wäre die Türkei Teil eines solchen Intermariums, hätte Europa einen machtvollen Puffer zwischen Westeuropa und Russland, der sich auch als Bollwerk gegen chinesische Einflüsse erweisen könnte.

„Ich glaube nicht, dass das Konzept in seiner ursprünglichen Form übernommen werden kann“, meint Dr. Bornio. „Dennoch bietet es eine große Chance, eine politische, diplomatische und soziale Einheit unter den Nationen zu schaffen, die sich auf das Erbe des Commonwealth berufen. Und solche Signale gibt es bereits.“

Dreieck Polen-Rumänien-Türkei auf dem Weg?

Auf dem letzten Gipfel zwischen den Präsidenten Polens und der Türkei habe es erste Grundsatzentscheidungen in Richtung einer Zusammenarbeit Warschau-Bukarest-Ankara gegeben. Auch die Drei-Meere-Initiative (3SI), die bis dato lediglich Wirtschaft und Infrastruktur betone, sei von großer geopolitischer und geostrategischer Bedeutung.

„Man sollte bedenken, dass die Strecken-, Schienen-, Technologie- und Übertragungsinfrastruktur – die alle hinter der 3SI stehen – nicht nur die Wirtschaft, sondern auch die militärischen Fähigkeiten der Nato und der beteiligten Staaten stärken“, erläutert Bornio. „Wenn die Entwicklung der Infrastruktur fortgesetzt wird, könnte sie auch die strategischen Ströme innerhalb der Europäischen Union neu gestalten und die mittel- und osteuropäischen Mitgliedstaaten stärken.“ Dies könnte auch für die Türkei eine weitere Chance bedeuten, ihr Gewicht in der Region in die Waagschale zu werfen.

„Das bereits erwähnte Dreieck Polen-Rumänien-Türkei auf gehobener Präsidentenebene ist in naher Zukunft erreichbar“, meint Bornio. „In Bezug auf die wirtschaftlichen Beziehungen gibt es noch viel zu tun. Dieser Bereich der Zusammenarbeit wurde von Präsident Erdoğan auch nach dem jüngsten Treffen mit Präsident Duda stark betont.“

TRT Deutsch