„Die VAE befürchten eine echte Demokratisierung in Libyen“
Im Exklusivinterview hat Guma al-Gamaty, der Sondergesandte des libyschen Premierministers, seine Sicht auf die anhaltenden Angriffe von Haftar erläutert. Er lobt die Bedeutung Deutschlands als Vermittler und verurteilt die Politik der Emirate.
Flagge Libyens (Getty Images)

von Ali Özkök

In Berlin trafen sich verschiedene Regierungsvertreter aus Europa, Afrika, Russland und den USA. Welche Position nimmt Deutschland ein?

Deutschland nimmt eine neutrale Position ein, da es ein Land ist, das seit dem Ende des zweiten Weltkrieges keine Kriege mehr geführt hat. Deutschland ist überdies eine bedeutende Wirtschaftsmacht und das wichtigste Land innerhalb der EU, daher hat es einen großen Einfluss, der für eine politische Lösung nützlich sein kann.

Wie würden Sie die aktuelle militärische Situation in der Hauptstadt Tripolis angesichts der anhaltenden Offensive von Khalifa Haftar beschreiben?

Die militärische Lage in Tripolis ist sehr dynamisch. Der tägliche Beschuss hält an. Die Streitkräfte Haftars versuchen, in die Hauptstadt Tripolis einzudringen. Sie werden aber immer wieder abgewehrt, was zu schweren Verlusten führt. Man kann zusammenfassen, dass es definitiv keine Einhaltung oder Achtung des Waffenstillstands gibt. Der von der Regierung der Nationalen Einheit (GNA) in Moskau unterzeichnete Waffenstillstand ist gescheitert, weil Haftar einfach nicht die Absicht hat, den Krieg zu beenden.

Warum hat es der Warlord insbesondere auf den Flughafen Mitiga abgesehen, den er immer wieder mit schweren Waffen beschießt?

Richtig, Haftar beschießt den Flughafen von Mitiga weiterhin vom Boden aus mit Grad-Raketen, weil er die zivilen Flüge stoppen will - in der Hoffnung, dass die Bevölkerung große Schwierigkeiten beim Reisen bekommt. Er will, dass die Bevölkerung wütend wird und sich gegen die GNA wendet. Diese Taktik hat jedoch bisher nicht funktioniert.
Haftar glaubt zudem, dass der Flughafen Mitiga Militärpersonal und Soldaten aus der Türkei empfängt. Er hofft, diesen Prozess verzögern zu können. Ich glaube, dass die türkischen Streitkräfte in Abstimmung mit der GNA auf der Grundlage des unterzeichneten Sicherheitsabkommens noch über viele andere Einreisepunkte nach Libyen verfügen als nur den einen.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan hat erklärt, dass Khalifa Haftar den Waffenstillstand in Libyen gebrochen hat. Was sind Ihrer Meinung nach die Hauptgründe, warum Haftar sich einfach nicht an ein Abkommen halten will?

Haftar hat erkannt, dass Frieden und Verhandlungen sein Ziel durchkreuzen werden, die volle Macht und Kontrolle über Libyen an sich zu reißen. Deshalb ist die einzige Strategie für ihn, um sein Ziel zu erreichen, der Krieg und ein militärischer Sieg. Haftar hat eine eingleisige Strategie eingeschlagen, bei der er entweder alles gewinnt oder alles verliert. Er hat kein Interesse an Politik oder Machtteilung oder an der Zusammenarbeit mit anderen Libyern beim Aufbau eines Staates und von Institutionen.

Wie könnte die Türkei Ihrer Meinung nach reagieren, um Haftars destabilisierenden Aktivitäten in Libyen Einhalt zu gebieten?

Die Türkei ist zusammen mit Russland zu einem wichtigen Akteur in Libyen geworden. Ich glaube auch, dass die Türkei von der US-Administration stillschweigend unterstützt wird. Die USA scheinen Verständnis dafür zu haben, dass die Türkei ihre Rolle in Libyen übernimmt, um Frieden und Stabilität zu erreichen. Die Koordination zwischen der Türkei und Algerien ist ein Erfolg für die Türkei in ihren Bemühungen zur Stabilisierung Libyens.

Ich bin zuversichtlich, dass die Türkei alle Wege und Möglichkeiten verfolgen wird, um einen dauerhaften Waffenstillstand und einen dauerhaften Frieden in Libyen zu erreichen. Wenn Haftar jedoch, wie ich weiß, mit seinem Krieg und seinen Angriffen auf Tripolis, bei denen unschuldige Kinder und Zivilisten getötet und verletzt werden, fortfährt - dann bleibt als einzige Option, um Libyen zu stabilisieren und dauerhaften Frieden und Sicherheit zu erreichen, die militärische Niederlage Haftars. Dies kann erreicht werden, indem den Streitkräften der GNA umfassende militärisch-logistische Unterstützung gewährt wird, wie es das kürzlich unterzeichnete Sicherheitsabkommen (MOU) zwischen der Türkei und der legitimen libyschen Regierung erlaubt.

Welche Staaten können neben der Türkei als Unterstützer der international anerkannten GNA-Regierung genannt werden?

Andere Länder, die an der Berliner Konferenz teilgenommen haben, können als neutral oder freundlich gegenüber der GNA eingestellt betrachtet werden - abgesehen von Ägypten, Frankreich und Russland. Die neue Verständigung zwischen der Türkei und Russland könnte Moskau dazu bewegen, im Libyen-Konflikt neutraler zu werden. Russland hat einen bedeutenden Einfluss auf Haftar durch den Einsatz russischer Söldner in den Reihen seiner Milizen. Haftar ist auf die Wagner-Söldner angewiesen. Russland kann diese Karte effektiv und positiv für die Stabilität Libyens einsetzen, indem die Sölder im Gegenzug für eine klare Verpflichtung der GNA abgezogen werden. Russland könnte fordern, dass alle russischen Wirtschaftsinteressen in Libyen zum gegenseitigen Nutzen sowohl Libyens als auch Russlands berücksichtigt werden sollen.

Der türkische Präsident hat kürzlich verurteilt, dass die Vereinigten Arabischen Emirate russische Söldner in den Reihen von Haftar finanzieren. Wie beurteilen Sie die Rolle von Abu Dhabi im Libyen-Konflikt und wie sehr haben die russischen Söldner die Situation vor Ort verändert?

Die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) sind in vielerlei Hinsicht die größten Unterstützer von Haftar - militärisch, politisch und finanziell. Hinzu kommt die Unterstützung der Geheimdienste und Medien. Die VAE finanzieren und bringen Söldner aus dem Sudan und dem Tschad nach Libyen, damit diese für Haftar kämpfen. Die VAE verursachen den größten Schaden und schüren den libyschen Konflikt am meisten. Die Absichten der VAE sind eindeutig darauf ausgerichtet, Libyen durch einen Militärdiktator wie Haftar zu dominieren, der versucht, seinen Erfolg nach ägyptischem Vorbild zu wiederholen. Die VAE befürchten eine echte Demokratisierung in Libyen. Noch größer ist die Angst davor, dass Libyen über die wirtschaftlichen und geopolitischen Wettbewerbsvorteile verfügen könnte, die die gesamte Zukunft der VAE als führendes ölreiches Land in Frage stellt und ihr Wirtschaftsmodell bedroht. Wenn Libyen stabilisiert und demokratisch wird, könnten wichtige internationale Unternehmen und Investoren die VAE verlassen und nach Libyen ziehen.

Präsident Erdoğan besuchte kürzlich Algerien. Welcher Mechanismen bedarf es, damit Algerien seine Bemühungen zur Konfrontation mit Haftar verstärkt?

Der Besuch von Präsident Erdoğan in Algerien war sehr wichtig und strategisch, da Algerien ein starkes Land und ein wichtiger Nachbar Libyens ist. Algerien ist gegen die Pläne Haftars, die volle Macht in Libyen zu übernehmen. Algerien glaubt zudem, dass ein von den VAE und dem ägyptischen Regime dominiertes Libyen eine Bedrohung für die nationale Sicherheit Algeriens darstellen würde. Algerien wird einen entscheidenden Ausgleich gegen die beiden arabischen Staaten schaffen, die Haftar unterstützen. Die enge Zusammenarbeit, die jetzt zwischen Algerien und der Türkei besteht, wird zum Vorteil und Nutzen des libyschen Volkes sein.

Vielen Dank für des Gespräch!

TRT Deutsch