Biden kann in Syrien zweite Großpleite für USA verhindern
Nicht nur in Afghanistan hat das jahrelange Engagement der USA keinen zählbaren Erfolg gebracht. Auch in Syrien droht eine Pleite. Biden kann diese jedoch abwenden, indem er anders als zuvor Obama und Trump die legitime Opposition stärkt.
Symbolbild: Kundgebung der syrischen Opposition (AP)

von Ömer Özkizilcik

Durch eine Änderung ihrer Politik in Syrien könnte die Regierung Biden die USA in der Region entlasten und ihre Aufmerksamkeit auf China richten.

In den ersten Jahren des Krieges in Syrien hatte sich Hillary Clinton als starke Unterstützerin der legitimen syrischen Opposition gegen das Regime von Baschar al-Assad präsentiert. Damals spekulierten viele über die Wahrscheinlichkeit eines Eingreifens der USA. Aber die Entscheidung der Obama-Regierung, ihre „rote Linie“ schon nach dem frühen Einsatz von Chemiewaffen 2013 nicht durchzusetzen, schockierte Washingtoner Experten.

Dies stellte eine Demonstration amerikanischen Unwillens dar, was letztlich die russische Intervention in Syrien ermöglichte und zum Symbol für das Versagen der USA in diesem Land wurde.

Ging Obama vor dem Iran in die Knie, um das Atomabkommen zu retten?

Ein ebenso schwerwiegendes Versagen, das die USA an den Rand des politischen Prozesses und der Zukunft des Landes gedrängt hat, wird jedoch nicht nur ignoriert, sondern sogar beschönigt. Es war das Beharren der Obama-Regierung darauf, nur solche Anti-Daesh-Gruppen zu unterstützen, die sich weder gegen das Assad-Regime noch gegen die vom Iran unterstützten schiitischen Milizen richteten.

In Syrien war die einzige Gruppe, auf die diese Beschreibung zutraf, der syrische Zweig der von den USA zurecht als Terrorgruppe bezeichneten PKK, die YPG. Um das Atomabkommen mit dem Iran aufrechtzuerhalten, verprellte die Obama-Regierung nicht nur die Türkei und führte die internationale Gemeinschaft in die Irre, sondern trieb auch die USA selbst in die Enge.

Im Einklang mit dieser Strategie untergruben CENTCOM-Beamte, die im Irak eng mit den vom Iran unterstützten schiitischen Milizen gegen Daesh zusammenarbeiteten, wiederholt Alternativen. Die Ausbildungs- und Ausrüstungsprogramme für die legitime bewaffnete syrische Opposition wurden als ineffektiv oder unrentabel diffamiert. Doch Jahre später kontrollieren dieselben bewaffneten Einheiten der syrischen Übergangsregierung nun weite Gebiete und haben mehrere Gebiete von der YPG geräumt.

Terroristen führen „Anti-Terror-Operationen“ durch

Die USA sind in Syrien inzwischen zu einer unbedeutenden Größe geworden. Nach der Entscheidung des ehemaligen Präsidenten Trump, sich teilweise zurückzuziehen, zogen es die CENTCOM-Beamten vor, russische statt türkische Truppen in ihren ehemaligen Stützpunkten zu sehen. Jetzt ist der lokale Partner der USA in Syrien für seine Sicherheit von Russland abhängig. Die US-Truppen blieben in einem Landstreifen im Osten des Landes, um „das Öl zu schützen“. Aber auch dieser letzte Grund für den Verbleib der USA in Syrien entfiel, als die Regierung Biden beschloss, die Ausnahmeregelung für das amerikanische Unternehmen, das die Öleinrichtungen betreibt, zu beenden.

Seitdem betonen CENTCOM-Beamte immer mehr die Bedeutung ihrer Arbeit in Syrien gegen Daesh. Obwohl die Terrororganisation seit 2019 kein Territorium mehr kontrolliert, veröffentlichen amerikanische Kommandeure regelmäßig Informationen über die sogenannten Anti-Terror-Operationen der selbst terroristischen YPG in Syrien. Tatsächlich sind diese „Anti-Terror-Operationen“ der YPG ungefähr so effektiv wie die Operationen der afghanischen Nationalarmee gegen die Taliban. Das Narrativ über Syrien ist genauso fehlgeleitet wie es jenes am Hindukusch war.

USA hielten sich aus politischem Prozess in Syrien heraus

Außerdem hat die YPG im Gegensatz zur afghanischen Nationalarmee nicht einmal eine Motivation, Daesh zu eliminieren – diese ist ihre einzige Quelle vermeintlicher Legitimität. Die YPG will Daesh bekämpfen, aber nicht eliminieren. Während die Erklärungen der USA den Eindruck erwecken, in Syrien sei alles in Ordnung, sieht die Realität anders aus. Daesh operiert weiterhin im Land.

Die kleine Zone amerikanischen Einflusses, die Abhängigkeit von Russland beim Schutz des lokalen Partners in Syrien und der Mangel an Gründen, in Syrien zu bleiben, sind nur einzelne Facetten des sich abzeichnenden Desasters. Noch bedeutsamer ist, dass sich die USA überhaupt aus dem politischen Prozess in Syrien herausgehalten haben.

Den Vereinten Nationen zufolge hat der politische Prozess in Syrien zwei Seiten: das Assad-Regime und die legitime syrische Opposition. Die USA arbeiten jedoch mit einer dritten Partei zusammen, die eine separatistische Agenda für nur einen Teil Syriens verfolgt und keine Chance hat, auf den Rest des Landes Einfluss zu erlangen. Die USA haben gleichzeitig im Entscheidungsprozess über die Mitglieder des Verfassungsausschusses keine Rolle gespielt und ihren Einfluss auf die syrische Opposition verloren.

Auf das falsche Pferd gesetzt

Das Hohe Verhandlungskomitee für Syrien, das sich aus allen politischen Spektren der syrischen Opposition zusammensetzt, arbeitet eng mit der Türkei zusammen, und die Türkei hat sich zum einzigen Garanten der syrischen Opposition entwickelt. Die amerikanische Diplomatie bleibt mit Sanktionen und Blockaden gegen einige arabische Länder, die ihre Beziehungen zum Assad-Regime normalisieren, im Hintergrund.

Zu Beginn hatten auch die USA die syrische Opposition und die Demokratie unterstützt. Jetzt tragen sie zu einer separatistischen Agenda in Syrien bei, die letztlich dazu führen wird, dass die USA keine Rolle in der Zukunft des Landes spielen werden, wenn sie ihre Politik nicht ändern.

Letzten Endes muss die taktische Entscheidung der Obama-Regierung, mit der YPG zusammenzuarbeiten, korrigiert werden. Biden muss dazu die Taktik des ehemaligen Präsidenten, unter dem er diente, neu bewerten und eine kluge Entscheidung treffen.

Es liegt nicht im Interesse der USA, in Syrien zu bleiben und eine separatistische Agenda zu unterstützen. Es liegt im Interesse der USA, eine politische Lösung zu unterstützen, indem sie die legitime syrische Opposition stärken.

Legitime kurdische Kräfte in die Syrische Nationale Armee integrieren

Um dies zu erreichen, muss Biden die YPG aufgeben und daran arbeiten, die nicht zur YPG gehörenden Elemente der Demokratischen Kräfte Syriens mit der Syrischen Nationalen Armee und den kurdischen Roj Peschmerga unter dem Kommando der syrischen Übergangsregierung zu vereinen. Durch die Zusammenführung dieser Elemente würden die USA zum Königsmacher in Syrien und könnten eine politische Lösung für Syrien erleichtern.

Die vorgeschlagene Idee, diese Kräfte zu vereinen, basiert im Übrigen auf einem bereits bestehenden Phänomen, nämlich dem, dass sich de facto eine regionale Allianz aus Türken, Arabern und Kurden gegen die PKK/YPG bildet. Die USA müssen nur auf dieser Welle surfen und die nicht der YPG angehörenden Elemente der Demokratischen Kräfte Syriens einbringen und das Bündnis formalisieren. Dies würde es Washington ermöglichen, aus dem Abseits ins Zentrum des Spiels zu treten, ohne die Kurden zu verprellen.

Ein solcher Politikwechsel Washingtons würde von der Türkei begrüßt werden, die einen reibungslosen Übergang mit starker Unterstützung ermöglichen würde. Außerdem würden die USA mit dieser Entscheidung den größten Störfaktor in den türkisch-amerikanischen Beziehungen beseitigen. Die Regierung Biden würde ihre Beziehungen zu einem wertvollen und wichtigen NATO- und Regionalpartner stärken, was die USA entlasten und Biden helfen würde, sich stärker auf China zu konzentrieren.

Und schließlich wäre dieser Strategiewechsel eine starke Alternative zu der anderen vorgeschlagenen Idee, das Assad-Regime zu normalisieren, das Chemiewaffen gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt und zahlreiche Kriegsverbrechen und Gräueltaten begangen hat.

TRT Deutsch