Corona-Demo: Steinmeier empfängt Polizisten – Polizeipräsidentin beschämt
Bei der Demo in Berlin beschützten nur drei Polizisten das Reichstagsgebäude vor dem Eindringen rechtsradikaler Corona-Leugner. Polizeipräsidentin Slowik zeigt sich beschämt. Steinmeier will die Beamten im Schloss Bellevue zum Gespräch empfangen.
Steinmeier empfängt Polizisten - Polizeipräsidentin zeigt sich beschämt (DPA)

Bei den Krawallen vor dem Berliner Reichstag am Wochenende versuchten Demonstranten in das Reichstagsgebäude zu gelangen. Sie stürmten die Treppe hoch, wobei schwarz-weiß-rote Reichsflaggen - die auch von Reichsbürgern und Rechtsextremen verwendet werden - aber auch andere Fahnen zu sehen waren. Anfangs stellten sich nur drei Polizisten der grölenden Menge entgegen, wie aus Videoaufnahmen hervorgeht. Nach einer Weile kam Verstärkung, die Polizei drängte die Menschen auch mit Hilfe von Pfefferspray zurück.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier will Polizisten in seinen Amtssitz Schloss Bellevue zum Gespräch empfangen, die am Parlamentsgebäude eingesetzt waren. Dort hatten zunächst nur drei Beamte mit Mühe die andrängende Menge vom Eingang ins Plenargebäude ferngehalten.

Krawall vor Reichstag – Polizeipräsidentin zeigt sich beschämt

Die Berliner Polizeipräsidentin Barbara Slowik hat die Besetzung der Reichstagstreppe durch Demonstranten am Samstag sehr bedauert. „Auch mich beschämen diese Bilder von Samstag sehr“, sagte Slowik am Montag im Innenausschuss des Abgeordnetenhauses. „Wir werden künftig noch deutlicher, noch enger die Absperrlinien zum Reichstag schützen.“ Das genaue Vorgehen werde man mit der Bundestagspolizei erörtern. Slowik sagte, die Polizei habe unverzüglich interveniert. Gleichzeitig räumte sie ein: „Es waren wenige Minuten, aber die Macht der Bilder zählt hier.“ Die Polizei werde die Situation analysieren, um bei künftigen Situationen den Schutz des Gebäudes durch Absperrgitter und Polizisten deutlich zu verstärken.

Slowik sagte, gegen 19.00 Uhr habe die Polizei versucht, den Zustrom von der großen Demonstration zur Reichstagswiese zu verhindern. Dadurch hätten viele Polizisten seitlich zwischen Reichstag und Tiergarten gestanden. Gleichzeitig habe eine unbekannt gebliebene Sprecherin auf der Bühne der Reichsbürger-Demonstration direkt vor dem Reichstag dazu aufgerufen, „geschlossen die Reichstagstreppe zu stürmen“. Somit habe die Polizei „von zwei Seiten einen erheblichen Druck auf die Absperrlinie“ gehabt. So sei es einer Gruppe von 300 bis 400 Menschen gelungen, die Absperrungen „sehr kurzfristig zu überwinden und die Treppe hochzulaufen“. Überwiegend seien das Menschen gewesen aus der Reichsbürgerszene sowie zu einem kleineren Teil auch Demonstranten, „die sich selbst als Patrioten oder Bürgerwehr bezeichnen“.

Sicherheitsmaßnahmen auf dem Prüfstand

Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) hat nach dem Vordringen von Demonstranten vor das Reichstagsgebäude angekündigt, das Einsatzkonzept der Polizei auszuwerten. Auf Twitter teilte Müller am Sonntag mit: „Mit Besonnenheit und einem klare Grenzen setzendem Konzept konnte die Polizei an vielen Stellen in der Stadt Schlimmeres verhindern. Wir werden jetzt auswerten, wie das Einsatzkonzept der Polizei verbessert werden kann, um auf solche Vorfälle noch besser vorbereitet zu sein.“

Nach dem Vordringen von Demonstranten auf die Treppe des Reichstagsgebäudes stellt sich die Frage nach der Polizeitaktik und nach Konsequenzen für das Sicherheitskonzept. Wie konnte es passieren, dass am Samstag am Rande der Demonstrationen gegen die Corona-Politik in Berlin 300 bis 400 Regierungskritiker, „Reichsbürger“ und Rechtsextremisten Absperrungen vor dem Sitz des Bundestags überwinden und die Freitreppe besetzen konnten? Müssen die Sicherheitsmaßnahmen nun verschärft werden?

Im Bundestag wollen SPD- und Unionsfraktion eine Sondersitzung des Ältestenrats beantragen, um Pläne zur Errichtung einer Sicherheitszone am Parlament zu überprüfen.

Schäuble:„Verabscheuungswürdig, was da geschehen ist“

Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) nannte es in den ARD-„Tagesthemen“ „verabscheuungswürdig, was da geschehen ist“. Insgesamt sei die Berliner Polizei aber mit der Sache „gut fertig geworden“. Er stellte infrage, dass sie besser darauf hätte vorbereitet sein müssen: „Wie wollen sie darauf vorbereitet sein?“, fragte er rhetorisch. Schäuble hatte zuvor gesagt, dass es überhaupt zu dem Angriff habe kommen können, müsse „schnell und umfassend aufgearbeitet werden“.

Steinmeier und Politiker aller Parteien, auch der AfD, hatten das Vorgehen der Demonstranten verurteilt. „Reichsflaggen und rechtsextreme Pöbeleien vor dem Deutschen Bundestag sind ein unerträglicher Angriff auf das Herz unserer Demokratie. Das werden wir niemals hinnehmen“, sagte Steinmeier. Linksfraktionschef Dietmar Bartsch schlug vor, die Polizisten zu ehren, die zunächst allein den Parlamentseingang geschützt hatten. Mit Bezug auf einen der drei, der sich der Menge ohne Helm entgegengestellt hatte, sagte er im ZDF: „Das ist eigentlich jemand, der ein Bundesverdienstkreuz verdient hat.“

Beschränkungen für Demonstrationen in unmittelbarer Nähe des Bundestags erweitern

Bundespolitiker von CSU und Grünen regten an, die Beschränkungen für Demonstrationen in unmittelbarer Nähe des Bundestags zu erweitern. Der CSU-Rechtspolitiker Volker Ullrich schlug vor, das faktische Demonstrationsverbot nicht mehr nur auf die Sitzungstage des Parlaments zu beschränken - „mit der Möglichkeit Ausnahmen zuzulassen“, wie er der „Welt“ sagte. Auch Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz sieht Handlungsbedarf. Innen-Staatssekretär Stephan Mayer (CSU) hingegen sagte: „Ich sehe keine unmittelbare Notwendigkeit, aufgrund dieses einen zugegebenermaßen unerträglichen und beschämenden Vorfalls, die Bannmeile um den Reichstag zu erweitern oder die Regelungen zu verschärfen.“ Nach Polizeiangaben hatten am Samstagabend etwa 300 bis 400 Demonstranten Absperrgitter am Reichstagsgebäude überrannt und sich triumphierend und lautstark vor dem verglasten Besuchereingang aufgebaut. Dabei wurden vor dem Herzstück der Demokratie auch schwarz-weiß-rote Reichsflaggen geschwenkt.

Nach Schätzungen der Polizei knapp 40.000 Demonstranten

Zuvor hatten nach Schätzungen der Polizei knapp 40.000 Menschen aus ganz Deutschland weitgehend friedlich auf der Straße des 17. Juni gegen die Corona-Politik demonstriert. Insgesamt waren laut Polizei noch deutlich mehr Demonstranten bei weiteren Veranstaltungen in der Innenstadt unterwegs. Am Rande kam es zu Stein- und Flaschenwürfen von „Reichsbürgern“ und Rechtsextremisten auf Polizisten. Bei den Demonstrationen wurden laut Polizei am Samstag 33 Polizisten verletzt. 316 Menschen wurden festgenommen, 131 angezeigt. Insgesamt waren 3000 Polizisten eingesetzt. Corona-Leugner scheiterten am späten Sonntagabend mit dem Versuch, beim Bundesverfassungsgericht ein Protestcamp auf der Straße des 17. Juni durchzusetzen. Zuvor hatte bereits das Oberverwaltungsgericht Berlin ein Verbot der Versammlungsbehörde bestätigt. Die Karlsruher Richter sahen den Infektionsschutz nicht gewährleistet. Bundestagsvizepräsident Thomas Oppermann riet davon ab, die vielfach gezeigten Reichsflaggen zu verbieten. Die mit Hakenkreuz seien verboten, sagte er der „Rheinischen Post“. „Alle Varianten und Spielarten dieser Flagge strafbewehrt zu verbieten, wäre unverhältnismäßig und kein geeignetes Instrument zur Bekämpfung rechten Gedankengutes.“

DPA