Spannungen in Frankreich: Macrons Regierung nimmt soziale Medien ins Visier
Nach der Tötung eines 17-jährigen Jugendlichen im Pariser Vorort Nanterre ist es in ganz Frankreich zu schweren Krawallen gekommen. Statt sich den Problemen der Banlieues zu widmen, nimmt die französische Regierung soziale Medien ins Visier.
Macron „schwächt die Europäische Union“ / Photo: AFP (AFP)

Der Vorfall am vergangenen Dienstag hat ganz Frankreich erschüttert: Der 17-jährige Franzose algerischer Abstammung, Nahel M., ist bei einer Verkehrskontrolle in Nanterre von der Polizei erschossen worden. Die Polizisten sollen versucht haben, Nahel zu stoppen, als er auf einer Busspur fuhr. In einer Videoaufnahme sind ein gelbes Auto und zwei Polizeibeamte zu sehen, die an der Fahrerseite stehen. Einer von ihnen ist an die Scheibe des Fahrers gelehnt, der andere hat eine Waffe auf den Fahrer gerichtet. Als der Fahrer im gelben Mercedes losfährt, ist ein Schuss zu hören, den der Polizist auf den Jugendlichen abgibt. Der Schuss aus nächster Nähe traf Nahel in die Brust und tötete ihn. Bei einer Durchsuchung seines Autos wurden Medienberichten zufolge keine illegalen Materialen oder Waffen sichergestellt. Nach dem Tod des 17-jährigen kam es in mehreren Städten Frankreichs, besonders in Paris, Lyon und in Marseille zu schweren Ausschreitungen. Es gab Auseinandersetzungen zwischen Polizisten und Demonstranten, wobei die Sicherheitskräfte hart durchgegriffen haben. Die Gewalt in Frankreich eskalierte: In Marseille haben die Demonstranten ein Waffengeschäft geplündert und mehrere Schrotflinten gestohlen. In Lyon wurden acht Polizisten angeschossen, mehrere wurden verletzt.

Macron will soziale Medien zensieren

In diesem Chaos fokussiert sich die französische Regierung von Präsident Emmanuel Macron darauf, Sicherheitsvorkehrungen zu treffen und weitere Demonstrationen zu verhindern. Statt sich auf die Ursache für die Empörung der Bevölkerung zu konzentrieren, soll verhindert werden, dass die Unzufriedenheit zum Ausdruck gebracht wird. So rückten soziale Medien in den Mittelpunkt der Debatte. Im Kampf gegen weitere Unruhen zieht Macron eine Blockade von Online-Medien in Betracht. „Wir haben dort die Organisation von gewalttätigen Versammlungen gesehen, die dazu führen, dass junge Menschen die Realität aus den Augen verlieren.“, sagte er nach den Ausschreitungen. Der französische Präsident machte sogar Videospiele dafür verantwortlich. Sie würden die jungen Leute „vergiften“. Von Social-Media-Plattformen werde man fordern, „sensible Inhalte“ aufzuheben und zudem die Informationen über relevante Accounts anfordern. Tatsächlich gab es ein Treffen mit Vertretern der größten Plattformen, in der sie zur „Verantwortung“ gebeten wurden.

Der französische Justizminister Eric Dupond-Moretti unterstützt Macron bei diesem Thema. „Niemand sollte denken, dass die Personen hinter diesen Social-Media-Accounts unstrafbar sind“, betonte er. Dupond-Moretti sagte: „Die Kinder sollten wissen, dass wir diese Accounts in die Luft jagen werden.“ Man könne die Social-Media-Plattformen außerdem dazu auffordern, die IP-Adressen der Accountbesitzer preiszugeben. Auf diese Weise soll ihre Identität feststellt werden. Die Botschaft, die damit vermittelt werden soll, ist: Wir können euch finden und bestrafen. Dabei richten sich die Aussagen von Dupond-Moretti in erster Linie an die Anwendung Snapchat, bei der man Beiträge veröffentlichen kann, die lediglich 24 Stunden lang sichtbar sind und danach automatisch verschwinden.

Polizeigewalt in Frankreich: Menschenrechtsorganisationen zeigen sich besorgt

Die angestrebten Zensurmaßnahmen der französischen Regierung ist ein großer Fehler. Die Demonstrationen in Frankreich werden als Aktionen von Kindern unterbewertet. Für die Krawallen werden die Social-Media-Plattformen und Videospiele verantwortlich gemacht. Stattdessen sollte Macrons Regierung ihren Ansatz ändern und Lösungen für die Ursache der Ausschreitungen, die Polizeigewalt, erarbeiten. Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, dass die Tötüng von Nahel nicht das erste Beispiel für maßlose Polizeigewalt ist. Der Tod von Zyed Benna und Bouna Traore sowie von Lamine Dieng, Ali Ziri und Adama Traore zeigen, dass es nicht das erste Mal in Frankreich ist, dass Menschen nach Polizeigewalt zu Tode kommen.

Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International und Human Rights Watch stellten bei der französischen Polizei institutionellen Rassismus und eine Tendenz zur Gewalt fest. Vor allem die Gelbwesten-Proteste sind ein Nachweis dafür. Französische Polizeitruppen gingen mit exzessiver Gewalt gegen die Demonstranten vor. Auch bei den Demos gegen Macrons Rentenreform alarmierte der gewalttätige Umgang mit protestierenden Menschen unabhängige Beobachter in Frankreich und im Ausland. Die Polizei setzt in keinem Land dermaßen Gewalt ein wie in Frankreich. Menschenrechte werden in Frankreich zwar als wichtig erachtet– insbesondere, wenn es um andere Länder geht. Doch im eigenen Land werden die Rechte der Demonstranten verletzt.

Rassismus, Diskriminierung und Polizeigewalt: Frankreich in der Krise

Im Kampf gegen weitere Unruhen verfolgt die französische Regierung keine richtige Strategie. Denn soziale Medien können zwar zur Organisation und Ausbreitung von neuen Demonstrationen beitragen, sind aber nicht das eigentliche Problem. Hintergrund für die Unruhen ist vielmehr eine gesellschaftliche und demokratische Krise. Künftige Ausschreitungen können nicht mit dem Verbot oder die Zensur von sozialen Medien vermieden werden. Die aktuellen Unruhen sollten stattdessen dazu anregen, sich endlich ernsthaft mit dem Rassismus in der französischen Polizei zu befassen. Die meisten Opfer von Polizeigewalt waren arabischer Herkunft. Dies scheint kein Zufall zu sein. Wenn die polizeiliche Gewalt nicht verhindert wird, wird es auch ohne soziale Medien zu neuen Demonstrationen kommen. Ohne der Sache auf den Grund zu gehen, wird Macrons Regierung immer stärker zur Zielscheibe der Wut werden. Paris muss sich der Realität stellen, statt falsche Schlüsse zu ziehen.

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