Das Spiel Galatasaray gegen Neuchâtel Xamax im Ali-Sami-Yen-Stadion genau vor 32 Jahren am 9. November 1988 (TRT Deutsch)
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von Ömer Özkal

Trotz des 3:0-Ergebnisses: Hoffnung auf Sieg

Galatasaray schaltete den österreichischen Vertreter Rapid Wien in der ersten Runde des Europapokals der Landesmeister, unter dem heutigen Namen UEFA Champions League, aus und zog in die zweite Runde. Dort traf die türkische Mannschaft auf den Schweizer Club Neuchâtel Xamax. Obwohl das erste Spiel am 26. Oktober 1988 auswärts stattfand, verwandelten Fußballfans aus der Türkei und verschiedenen Ländern Europas, vor allem Galatasaray-Fans, das Maladiere-Stadion in das Ali-Sami-Yen-Stadion. Die Neuenburger sagten damals, dass zum ersten Mal so viele ausländische Fans in ihre Stadt gekommen wären.

Als das Spiel 1:0 weiterlief, schnitten Unbekannte die Drähte durch und drangen aufs Feld. Sie rollten ein Banner aus und unterbrachen das Spiel. Der Torhüter von Galatasaray, Zoran Simovic, hatte unterdessen den Journalisten Erdinç Ispartalı, der angegriffen wurde, in Deckung gebracht und weitere Schläge verhindert. Galatasaray kassierte nach diesem Zwischenfall zwei weitere Tore und reiste mit einer 3:0-Niederlage aus Neuchâtel ab.

Mustafa Denizli sagte gegenüber TRT, man glaube daran, dass der Rückstand aufzuholen sei und Neuchâtel eine Mannschaft sei, gegen die Galatasaray 4 oder 5 Tore erzielen könne.Diese Aussagen des türkischen Trainers wurden von Neuchâtel Xamax und einigen anderen Kreisen der Sportöffentlichkeit als „Träumerei“ interpretiert.Der UEFA-Disziplinarausschuss verhängte dem Trainer von Galatasaray (GS), Mustafa Denizli, eine Spielstrafe für sein Verhalten, tat dies aber nicht bei dem Neuchâtel Xamax-Trainer Gilbert Gress, der das gleiche Verhalten gezeigt hatte.

Psychologischer Druck von Galatasaray-Fans

Galatasaray-Fans, die den am 7. November 1988 nach Istanbul angereisten Kader von Neuchâtel Xamax empfangen hatten, öffneten ein Banner mit der Aufschrift „Willkommen in der Hölle“ und zeigten mit der Hand an, dass sie vier Tore schießen würden.

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Die Fans der türkischen Mannschaft jubelten anschließend vor dem Yeşilköy Çınar Hotel, wo das Team von Neuchâtel Xamax in der Nacht vor dem Spiel untergebracht worden war, und ließen das Schweizer Team nicht schlafen.

Cevad Prekazi, GS-Spieler, sagte, die Spieler von Neuchâtel Xamax, die um den Platz zu überprüfen auf dem Feld waren, seien im Gesicht wegen der Atmosphäre im Ali-Sami-Yen-Stadion vor Angst bleich gewesen. Admir Smajic, sein Teamkollege von Partizan, bestätigte das.

Mit Trikots, die für die türkische Nationalmannschaft gefertigt wurden, gegen Neuchâtel

Die weißen Trikots, die Galatasaray im Spiel gegen Neuchâtel Xamax trug, waren von Jupp Derwall bei Adidas in Auftrag gegeben worden, als er der Berater der türkischen Nationalmannschaft war. Derwall hatte die weißen Trikots für die türkische Nationalmannschaft anfertigen lassen, doch als sie nicht auf Gefallen stießen, nahm er sie für Galatasaray mit.
Galatasaray Istanbul trug das weiße Trikot zum ersten Mal am 24. Februar 1988 beim türkischen Pokalspiel gegen Kayserispor im Ali-Sami-Yen-Stadion. GS gewann das Spiel 4:1. Tanju Çolak hatte in der zweiten Halbzeit einen Hattrick erzielt.

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Dieselben Trikots wurden zum letzten Mal im Spiel gegen Neuchâtel Xamax getragen, das am 9. November 1988 im Ali-Sami-Yen-Stadion stattfand. Auch hier erzielte Tanju Çolak in der zweiten Hälfte des Spiels einen Hattrick – das Match endete 5:0.

Fenerbahçe-Spieler ließen Galatasaray nicht allein

Der Galatasaray-Coach Mustafa Denizli, der am nächsten Tag, also am 10. November, seinen 39. Geburtstag feiern würde, sah aufgrund seiner Strafe das Spiel von der Tribüne und freute sich wie ein Fan über die Tore. Hinter ihm saßen Fußballer von Fenerbahçe Istanbul: Rıdvan Dilmen, Erdi Demir und Taygun Erdem. Sie gehörten zu den Prominenten, die das Spiel verfolgten.

Archivbild: Mustafa Denizli  (TRT Deutsch)

Keine Live-Übertragung im Fernsehen

Galatasaray wollte nicht, dass das Spiel live im Fernsehen übertragen wird. Stattdessen sollten Fans zum Ali-Sami-Yen-Stadium stürmen und ihrer Mannschaft zujubeln. Die Hoffnung bewahrheitete sich: Das Stadion war voll, rund 40 Tausend Fans sahen der Begegnung zu. Das Spiel wurde live von TRT Radio übertragen, der Kommentator war Levent Özçelik.

Das gesamte Spiel wurde später mit der Berichterstattung von Ilker Yasin vom Band übertragen. Der Sportjournalist des Schweizer Senders, der das Spiel live im Fernsehen kommentierte, sagten vor Journalisten, kein Team hätte Galatasaray stoppen können.

Mustafa Denizli, der nach dem gewonnenen Spiel auf das Feld kam, wurde von den Fans auf Schultern aus dem Ali-Sami-Yen-Stadion getragen – viele Galatasaray-Spieler ebenso.
Die GS-Fans strömten in Richtung Taksim und sangen vor dem Atatürk-Denkmal die türkische Nationalhymne. Galatasaray feierte nach dem Spiel in Lokalen, in denen die Musiklegenden Bülent Ersoy und Ibrahim Tatlıses auftraten.

Einspruch von Neuchâtel

Neuchâtel Xamax reichte gegen Galatasaray bei der UEFA wegen der Verletzung des Linienrichters Bourgedis und des Ersatzspielers Adrian Kunz durch Fremdkörper, die von der Tribüne geworfen worden waren und zur Spielunterbrechung geführt hatten, eine Beschwerde ein.

Am 18. November 1988 beschloss der Disziplinarausschuss der UEFA die Wiederholung des Spiels Galatasaray gegen Neuchâtel Xamax – diesmal auf einem neutralen Feld. Darüber hinaus musste Galatasaray für das nächste Europapokalspiel 300 Kilometer von Istanbul entfernt spielen und bekam eine Geldstrafe in Höhe von 24 Millionen Türkische Lira verhängt.

Der UEFA-Beschluss löste im ganzen Land eine Welle der Empörung aber auch der Einheit und des Zusammenhalts aus. Die Presse kritisierte die UEFA mit heftigen Schlagzeilen. Zeitungsartikel in englischer und deutscher Sprache waren ebenfalls zu lesen. Die Türkei und die in Europa lebenden Türken, denen diese Situation nicht egal war, teilten der UEFA ihre Meinung über verschiedene Kommunikationswege mit – hauptsächlich Telefon und Fax. Aus diesem Grund musste die UEFA ihre Telefonnummern wechseln und benutzte eine geheime Telefonnummer, bis die Kritikwelle vorbei war.

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Am 20. November brachten Fans von Fenerbahçe Istanbul im Heimspiel gegen Boluspor mit einem Banner auf der Tribüne ihre Empörung zum UEFA-Urteil zum Ausdruck.

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Galatasaray gewann sowohl auf dem Feld als auch juristisch

Galatasaray hatte sich mit dem deutschen Rechtsanwalt Reinhard Rauball auf eine Verteidigung gegen die UEFA-Beschlüsse geeinigt und eine Lobby-Delegation gebildet. Mit dabei war Ali Şen, der den Club Fenerbahçe leitete und damals Mitglied der Türkischen Fußballföderation (TFF) war. Zusammen mit Rauball legte Galatasaray am 21. November 1988 Widerspruch bei der UEFA ein.

Kurz danach, am 27. November 1988, hob die UEFA-Beschwerdekammer die Entscheidung des UEFA-Disziplinarausschusses auf und annullierte den ersten Beschluss. Der 5:0-Sieg von Galatasaray gegen Neuchâtel Xamax galt als anerkannt. Zudem sollte der türkische Club für zwei Spiele bestraft werden: Galatasaray müsse sich für das Viertelfinalspiel einen neutralen Platz aussuchen. Im Falle eines Einzugs ins Halbfinale müsse Galatasaray das Spiel 300 Kilometer von Istanbul austragen. So die neuen Beschlüsse.

„Ich wollte das Spiel absagen, aber ich hatte Angst, dass das Publikum uns töten würde“, sagte der französische Schiedsrichter Joel Quiniou in seiner Erklärung im UEFA-Disziplinarausschuss. „Es gab keinen Grund, das Spiel abzubrechen“, sagte er.

Reinhard Rauball, den wir von Borussia Dortmund und der DFL kennen, wurde mit der Nummer 7111 Mitglied des Galatasaray Sportvereins, dessen Anwalt er war. Er bekam für seine Arbeit 25.000 Deutsche Mark (25 Millionen Türkische Lira).

Sieg der türkischen Nation

Als die UEFA ihre Entscheidung bekanntgab, war der damalige türkische Ministerpräsident Turgut Özal bei einem Treffen mit Reportern. Özal las dabei die ihm überreichte Notiz und sagte: „Die UEFA hat Galatasarays Widerspruch akzeptiert. Wir sind im Viertelfinale“. Der Regierungschef bezeichnete die Entscheidung als „sechstes Tor“.

Der Clubpräsident von Galatasaray Istanbul, Ali Tanriyar, nannte in einer Erklärung den juristischen Sieg einen „Sieg der türkischen Nation“ und brachte sein Galatasaray-Abzeichen an die Jacke von Ali Şen an.

Als die UEFA ihre Entscheidung bekanntgab, feierten die GS-Spieler, die sich im Trainingslager der türkischen Nationalmannschaft auf das Spiel gegen die DDR vorbereiteten, noch einmal. Die Fans gingen auf die Straße, um die Entscheidung mitzufeiern.

In ihrem ersten Spiel nach dieser Entscheidung, ein Spiel gegen Trabzonspor, bedankten sich die Galatasaray-Spieler für die Unterstützung. Sie gingen mit einem Banner auf das Feld mit der Aufschrift: „Danke, türkische Nation!“

Goldener Schuh für Tanju Çolak

Galatasaray traf im Viertelfinale des Europapokals der Landesmeister auf Monaco und musste zum Hinspiel am 1. März 1989 nach Frankreich. Mit dem Tor von Tanju Çolak gewann GS 1:0.
Ein Monat später erhielt Çolak in Frankreich den Goldenen Schuh aus den Händen des legendären deutschen Fußballspielers Gerd Müller.

Nach dem 1:1 im Rückspiel am 15. März 1989 in Köln zog Galatasaray ins Halbfinale ein. TRT platzierte nach dem Spiel das Logo von Galatasaray in der rechten Bildschirmecke.

Hauch von Freundschaft

Drei Tage nach dem Spiel vom 18. März 1989 überreichte Galatasaray-Vorstandsmitglied Ergun Gürsoy beim Derby Fenerbahçe gegen Beşiktaş den Mannschaftskapitänen der beiden Teams, Toni Schumacher und Rıza Çalımbay, für ihre Unterstützung im europäischen Pokalwettbewerb Blumen.

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Im Halbfinale traf Galatasaray auf Steaua Bukarest, wo auch Gheorghe Hagi spielte. Das Rückspiel fand augrund der Strafe, die über Galatasaray verhängt wurde, in Izmir statt. Die Fans von Galatasaray und Fenerbahçe fuhren gemeinsam mit dem Zug vom Bahnhof Haydarpaşa nach Izmir.

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Die Leistungen, die GS im Halbfinale in der Saison 1988/1989 beim Pokal der Landesmeister erbracht hat, wurden von Experten als Wendepunkt für den türkischen Fußball beschrieben. Die Saison ging auch deshalb in die Geschichte ein, weil Fans verschiedener Clubs sich gegen eine ungerechte Entscheidung der UEFA solidarisiert hatten.

TRT Deutsch