Die Türkei hat in Anwesenheit der türkischen Handelsministerin Ruhsar Pekcan (R.) ein Freihandelsabkommen mit Großbritannien unterzeichnet.  (dpa)
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Kurz nach 12.30 Uhr Londoner Zeit und somit kurz nach 15.30 Uhr Ankara-Zeit wurde es Wirklichkeit: Die türkische Handelsministerin Ruhsar Pekcan überreichte dem britischen Botschafter Sir Dominick Chilcott den unterschriebenen Vertragsentwurf; die britische Handelsministerin Liz Truss war live per Videolink dazugeschaltet.

Es gab bereits 61 weiterer solcher Abkommen, die das Vereinigte Königreich im Hinblick auf einen Brexit-Deal unterschrieben hat, und diese Zahl erhöhte sich seit letztem Donnerstag auf 62, da die EU hier als ein Handelspartner auftritt. Aber die herausragende Bedeutung der türkisch-britischen Freihandelsvereinbarung liegt darin, dass sie nur 72 Stunden nach Bekanntgabe des Brüssel-Deals zuerst von Ankara und sodann von London verkündet wurde. Mit anderen Worten: Exakt ab dem Moment, in dem der Brexit-Deal politische und legale Sicherheit für die Europäische Union sowie Großbritannien – und in einem nicht zu unterschätzenden Ausmaß auch für die gesamte globale Finanzwelt – ergab, stimmen zwei befreundete Regierungen darüber überein, dass man jetzt ein Zeichen setzen muss, um diesen Trend auf ein noch höheres Niveau zu heben.

Und welche nicht nur strategischen, sondern Partner im wahrsten Sinne des Wortes wären besser geeignet, um dieses neue Niveau zu symbolisieren? Das Vereinigte Königreich und die Türkei sind beide Mitglieder in der G20-Gruppe sowie in der NATO. Im Jahr 2019 verbuchten beide Seiten ein bilaterales Handelsvolumen von 18,6 Milliarden Pfund Sterling. Großbritannien steht an zweiter Stelle in Bezug auf türkischen bilateralen Handel (Deutschland bleibt die Nummer Eins), und die Türkei hat sich einen stolzen siebten Rang hinsichtlich dessen erkämpft, welcher Staat am meisten mit dem Vereinigten Königreich handelt. Dabei geht es um große Haushaltsgeräte, Textilien, den Automobilsektor, die herstellende Industrie und viele weitere Sektoren und Sparten wie zum Beispiel Arbeitsplätze im Stahlsektor. Diese Daten werden dankenswerterweise ständig von BCCT (Britische Handelskammer in der Türkei) erneuert, und selbst hier sehen wir die enge Verknüpfung beider Länder: BCCT ist die zweitälteste britische Handelskammer, die jemals weltweit eröffnet wurde.

Es ist also ganz und gar nicht verwunderlich und wie die Regierung in London am Montag bestätigte, dass das heute signierte Freihandelsabkommen zwischen Ankara und London aus der o.a. Gruppe von 62 (mit heute somit 63 inklusive EU) Staaten das fünftgrößte wurde nach Japan, Kanada, der Schweiz und Norwegen.

Vielleicht ist das beste Stichwort gegenseitiges Vertrauen – London und Ankara wissen, mit wem sie verhandeln und auf welches perfekte Fundament beide Staaten weiter aufbauen können. Deutlich wird auch, welche Bedeutung London der Türkei als erfolgreichem Wirtschaftsstandort beimisst.

Problem mit der Zollunion gelöst

Bis zum letzten Augenblick hatte es ein nicht zu unterschätzendes legales und logistisches Hindernis gegeben: Die Türkei ist zwar kein EU-Mitgliedsstaat, aber Teil der Zollunion.

Dies bedeutete, dass im Falle eines ‚No-Deal-Brexit‘ komplette Ungewissheit die bi-laterale Tagesordnung bestimmt hätte. Nur die Tatsache, dass es letztendlich einen geordneten Ausstieg des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union gibt und dass in diesem Zusammenhang der wichtigste Aspekt davon das Donnerstag beschlossene Freihandelsabkommen darstellt, erlaubt Ankara und London unverzüglich zu handeln. Es gilt als absolut unwahrscheinlich, dass das Europaparlament oder das britische Parlament dem Brexit-Abkommen die Unterstützung verweigern. Alle 27 verbleibenden EU-Mitgliedsstaaten haben mittels ihrer permanenten Vertreter in Brüssel (COREPER) bereits ihre Zustimmung erklärt. Da dies etwas mehr Zeit als gedacht erfordert, wurde eine Ratifizierungsübergangsphase bis 28. Februar 2021 vereinbart. Rein technisch betrachtet handelt sich beim Brexit-Deal vom 24. Dezember 2020 also um eine provisorische Vereinbarung. Das britische Unterhaus wird bereits am 30. Dezember dieses Jahres über den Brüssel-Deal abstimmen – eine überwältigende Mehrheit gilt als sicher, da die Labour-Opposition ihre Unterstützung verlautbaren ließ.

Kontinuität und Weiterentwicklung

Die britische Handelsministerin Liz Truss machte deutlich, dass es sich vom Prinzip her nicht um ein neu ausgehandeltes Freihandelsabkommen handele, sondern eigentlich um die Weiterführung der bereits existierenden Bedingungen, nur eben jetzt zwischen zwei unabhängigen Vertragspartnern. Sie sprach von einem ‚Kontinuitäts-Abkommen‘. Es ist jedoch sehr wahrscheinlich, dass beide Seiten vorhaben, das Handelsvolumen von 18,6 Milliarden Pfund Sterling schnell weiter auszubauen. Man sollte auch nicht vergessen, dass Ankara und London ein Jahr nach dem Brexit-Referendum Gespräche über die ‚Nach-dem-Brexit-Zeit‘ begannen. Wie die türkische Tageszeitung Daily Sabah gestern berichtete, teilte Präsident Recep Tayyip Erdoğan mit, dass es bei dem zu unterzeichnenden Abkommen zwischen London und Ankara um das wichtigste Handelsabkommen seit dem Jahre 1995 geht, dem Jahr des Inkrafttretens der türkischen Mitgliedschaft in der Zollunion mit Brüssel.

Strategie 2023

Nicht nur für Großbritannien auf dem Wege zu einem erfolgreichen Tag Nummer 1 nach dem Brexit am 1. Januar 2021 war dies ein Meilenstein, sondern auch für die Türkei auf ihrem Weg zu den Feierlichkeiten des einhundertjährigen Staatsjubiläums im Jahre 2023.

Ministerin Truss betonte, dass neben den hier im Artikel bereits angesprochenen Sektoren auch die Rolle der Türkei als globaler Dienstleister sowie vermehrt das Engagement im Bereich der Technologie hervorzuheben sei.

Die EBRD in London sagt, dass die Türkei im Jahre 2021 bereits ein Wirtschaftswachstum von rund sechs Prozent erzielen könnte, ein positives Signal in einer Post-Pandemie Welt. Großbritannien wird versuchen, so schnell wie möglich gleichzuziehen.

Der heutige Tag wird die Freundschaft beider Nationen nachhaltig und noch weiter vertiefen.

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