14.07.2020, Tawusch, Armenien: Armenische Soldaten gehen an der Frontlinie in Position.  (dpa)
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Der Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan um die Region Bergkarabach dauert bereits seit mehr als 25 Jahren an. Nachdem in Bischkek im Jahr 1994 ein Protokoll über den Waffenstillstand unterzeichnet wurde, kam es gelegentlich noch zu kleinen, aber auch teilweise größeren Gefechten zwischen den beiden Südkaukasusländern. Von daher kann man diesen Konflikt nicht als eingefroren einstufen. Es wäre passender, ihn als schwellenden oder ungelösten Konflikt zu bezeichnen.

Die Verhandlungen zwischen Armenien und Aserbaidschan werden im Rahmen der Minsk-Gruppe der OSZE durchgeführt. Dabei gibt es noch vier Resolutionen zum Rückzug der armenischen Truppen aus den aserbaidschanischen Gebieten der UN, die weiterhin von Seiten der Armenier nicht implementiert wurden. Das ganze Geschehen vergiftete die bereits vorbelastete Atmosphäre in der Südkaukasusregion. Aserbaidschan hat sowohl die Gegenseite als auch die Weltgemeinschaft bereits mehrfach darauf aufmerksam gemacht, dass die Priorität bei alledem darin besteht, den Konflikt friedlich zu lösen. Die Hoffnung auf eine friedliche Lösung wurde nach der Samtenen Revolution im Jahr 2018 in Armenien noch verstärkt, nachdem Nikol Paschinjan Premierminister wurde. Kurz nach seinem Amtsantritt wurde Baku jedoch wieder enttäuscht: Paschinjan verhielt sich nicht konstruktiv. So erschütterte er Aserbaidschan mit der Aussage „Bergkarabach ist Armenien und Punkt“ oder provozierte vehement mit seinen Aufforderungen zur Aufnahme von Verhandlungen seitens des separatistischen Regimes.

Der Leiter der Heinrich-Böll-Stiftung in Tiflis, Stefan Meister, hat auf meine Frage in Bezug auf die jüngsten Gefechte zwischen Armenien und Aserbaidschan in Richtung Tovuz betont, die armenische Regierung unter Premier Paschinjan habe zur Deeskalation des Konfliktes nicht beigetragen. Der Bau einer weiteren Straße nach Karabach und die trotz Corona-Pandemie selbsterklärten Wahlen des separatistischen Regimes in Bergkarabach belegten die Vorwürfe.

Armeniens vermeintlicher Kampf um Glaubwürdigkeit

Jerewan hat wohl erwartet, dass Bakus Reaktion auf die o. g. Provokationen symmetrisch wird. Um den Konflikt nun auf eine neue Ebene zu tragen, hat Paschinjans Administration eine neue Provokation in Zusammenhang mit Tovuz unternommen. Tovuz liegt im Nordwesten der Republik Aserbaidschan und hat prinzipiell keinen Kontakt zu den von armenischen Truppen besetzten Gebieten. Nennenswert ist hierbei, dass unweit der Region die verkehrsenergetischen Projekte Baku-Tiflis-Ceyhan, Baku-Tiflis-Erzurum und die Eisenbahnlinie Baku-Tiflis-Kars gelegen sind. Diese Projekte betreffen unmittelbar die Energiesicherheit – nicht nur die von Aserbaidschan, Georgien und der Türkei, sondern auch der EU.

Armenien ist zusammen mit dem starken Bündnispartner Russland Mitglied bei der Organisation des Vertrags über die kollektive Sicherheit (OVKS). Auch diese Tatsache kann als Indiz bewertet werden, dass die Provokation im Interesse Armeniens lag. Die Mitgliedschaft ermöglicht Armenien, die militärische Unterstützung aller Bündnispartner in Anspruch zu nehmen, falls ein oder mehrere Verbündete angegriffen werden. Zwei Tage vor der Provokation, am 10. Juli 2020, wurde eine neue nationale Sicherheitsstrategie der Republik Armenien verabschiedet, die sich mit einer breiteren Anwendung der OVKS bei Drohungen gegen Armenien auseinandersetzt. Diesbezüglich wurden auch zahlreiche Artikel in den armenischen Medien veröffentlicht.

In einer Pressemitteilung des armenischen Verteidigungsministeriums heißt es zudem, Aserbaidschan habe mit einem Pkw der Marke „UAZ“ einen armenischen Militärposten angreifen wollen. Diese Behauptung ist nicht plausibel, denn das aserbaidschanische Militär verfügt durchaus über modernste Militärtransportmittel, die bei solche einer Aktion hätten eingesetzt werden können. Es ist auch nicht glaubwürdig, die Provokation sei von Aserbaidschan unternommen worden. Die aserbaidschanische Seite hat bereits 2018 gezeigt, dass sie eine Deeskalation begrüßt: Aserbaidschanische Streitkräfte wurden durch einen staatlichen Grenzdienst ersetzt, um einen Abbau der Spannungen an der Grenze zu Armenien zu fördern. Dieser Vorstoß sollte eine Botschaft an Jerewan sein, dass Baku lediglich die von Armenien besetzten Gebiete befreien möchte.

Die Antwort von Jerewan war dennoch nicht konstruktiv: Dörfer und Ackerfelder in Tovuz sowie in der benachbarten Region Qazax wurden turnusmäßig von armenischen Streitkräften beschossen. Die politische und militärische Führung Armeniens handelten im Bewusstsein, dass in dieser Zone ein Mangel an Artillerie und anderen schweren Waffen herrschte und das Machtgefälle nicht ausgeglichen war. Am 12. Juli sah sich die aserbaidschanische Seite infolge der armenischen Provokation demnach gezwungen, relevante Waffen in die Region zu transportieren – um einen Widerstand auf Augenhöhe leisten zu können.

Die Austragung des Konflikts im Ausland

Die Erfahrung zeigt: Die Gefechte zwischen Armenien und Aserbaidschan dauern in der Regel nicht lange an. Nach dem Waffenstillstand mobilisiert sich für gewöhnlich die Diaspora auf beiden Seiten, um Kundgebungen durchzuführen.

Die letzten Demonstrationen in den europäischen und amerikanischen Städten waren leider von zahlreichen gewalttätigen Provokationen und Schlägereien gekennzeichnet. Auffällig war, dass diese Provokationen vermehrt von armenischen Protestlern ausgingen. Besonders aggressiv gingen die Armenier in Los Angeles und Brüssel vor. Angriffslustige Gruppen verprügelten in beiden Städten vereinzelt Aserbaidschaner, warfen Steine auf die Vertretungshäuser der Republik Aserbaidschan, schändeten aserbaidschanische Fahnen und Transparente und beschädigten Autos von Aserbaidschanern. Die Reaktion der in Russland lebenden Aserbaidschaner führte zu Schlägereien.

Die provokative Absicht hinter diesen Demos und der Umgang mit ihnen geben uns Klarheit über die Administrationspolitik Paschinjans: Kurz nach den Geschehnissen berichteten viele armenische sowie einige pro-armenische Nachrichtenseiten über eine angebliche aserbaidschanische Initiative als Auslöser der Unruhen. In einigen Artikeln wurden Thesen aufgestellt, Aserbaidschaner und Armenier könnten niemals friedlich zusammenleben, und deswegen sei die Trennung Bergkarabachs angemessen. Mit einem Desinformationskrieg sollten die Ereignisse in Los Angeles und Brüssel entweder vertuscht oder verzerrt in die westliche Gemeinschaft getragen werden. Die aserbaidschanischen Vertretungen im Ausland ihrerseits teilten mit, dass einige armenische Provokateure bereits in den jeweiligen Ländern festgenommen wurden. Das ist ein klares Zeichen für Jerewan, dass Baku auch auf diese Provokationen rechtmäßig reagiert hat.

Die letzten Spannungen um Bergkarabach lassen es erahnen: Aserbaidschan wird weiterhin an seiner Politik der nationalen Souveränität festhalten und mögliche armenische Agressionen mit Entschlossenheit abwehren – auch wenn die mediale Darstellung des Konflikts von Desinformation und Voreingenommenheit gekennzeichnet ist.


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