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Der globale Aufschwung von rechten Parteien hat negative Auswirkungen auf den Kosovo. Rechtsextreme greifen die Existenz des Staates an. Im deutschsprachigen Raum sind es unter anderem Thilo Sarrazin und Peter Handke.

Der rechtsextreme Terrorist Anders Behring Breivik hat 2011 in Norwegens Hauptstadt Oslo und in einem Jugendzeltlager auf der Insel Utøya 77 Menschen ermordet. Ein Jahr später erklärte er vor Gericht, dass sein Terrorakt „von serbischen Nationalisten inspiriert gewesen sei.“ Vor allem habe ihn „die Kreuzrittermentalität der Serben“ motiviert, die gegen die Kosovo-Albaner während der Nato-Intervention im Kosovo 1999 zutage trat. Die Kreuzritter-Metapher basiert auf dem antimuslimisch-rassistischen Weltbild, wonach orthodox-christliche Serben, als „echte“ Vertreter Europas, den Kosovo an muslimische Albaner verloren haben.

Systematische Islamophobie ist Kernelement des serbischen Nationalismus – wie die Völkermorde zeigen, die die serbischen Streitkräfte an den Muslimen in Bosnien und Herzegowina sowie im Kosovo in den 1990er Jahren begangen haben. Die Worte Breiviks deuten zudem darauf hin, dass Serbiens antimuslimische Genozide mittlerweile eine Art Vorbildcharakter für den europäischen Rechtsextremismus eingenommen haben. In einem kürzlich veröffentlichten Interview zu Islamophobie in den albanischen Gesellschaften gibt der Forscher Besnik Sinani eine mögliche Erklärung für dieses Zusammenspiel, indem er die Relevanz von Islamophobie in der postkolonialen konservativen Parteienlandschaft des Westens verortet: „Die Wahrheit ist, dass der antimuslimische Rassismus aktuell der entscheidende Faktor der Rechten im Westen ist – noch wichtiger als die oft angeführten konservativen Werte.“

Serbiens Nationalismus: Vorbildcharakter für europäischen Rechtsextremismus

Es wäre schwierig von antimuslimischem Rassismus im serbischen Kontext zu sprechen, wenn man dafür keine Anzeichen abseits der Balkankriege der 90er Jahre finden würde. Der Kosovokrieg fand 1998 bis 1999 statt, jedoch waren totalitär-koloniale Ideen zur ethnischen Säuberung des Kosovo schon vor 60 Jahre in der politischen Elite Serbiens im Umlauf. Ein Beispiel: 1937 schlug das führende Mitglied der Serbischen Akademie der Wissenschaften und Künste, Vaso Čubrilović, in seinem Memorandum „Die Vertreibung der Albaner“ die Massenvertreibung dieser Bevölkerung in Jugoslawien (primär in Kosovo) als nächste Stufe der Kolonisation vor: „Sollte die allmähliche Vertreibung der Albaner durch die schrittweise Kolonialisierung erfolglos bleiben, haben wir nur noch ein Mittel zur Verfügung – das der Massenvertreibung. Zwei Länder kämen hier in Frage: Albanien und die Türkei.”

Kontextualisiert man antimuslimischen Rassismus in einem postkolonialen Rahmen, so schwingt auch immer die Behauptung mit, dass ja eigentlich kein indigenes muslimisches Leben in Europa existiere. In modernen Diskursen hat sich dadurch die Annahme normalisiert, dass mehrheitlich muslimische Bevölkerungen nicht „europäisch” sein können – unabhängig ihrer individuellen Frömmigkeit. Auch Jugoslawien verstand sich als moderner europäischer Staat und sah indigene Muslime, insbesondere die albanischen, als „Fremde” an. So hieß es Jahrzehnte vor dem Krieg, dass die demographische Mehrheit der Albaner im Kosovo eine künstliche sei, denn sie wäre Resultat einer extrem hohen Geburtenrate. Diese muslimische „Fremdheit” wurde in den jugoslawischen Medien anhand der albanischen Frau mit folgendem gegenderten orientalistischen Stereotyp dargestellt: „eine Analphabetin in traditioneller muslimischer Kleidung, umgeben von einem Dutzend Kindern und umzingelt von Ziegelwänden.”

Indigene muslimische Bevölkerungen bleiben im europäischen Diskurs undenkbar

Auch in Deutschland stößt man seit gut zehn Jahren auf diese These - vor allem durch folgendes Zitat: „Die Türken erobern Deutschland genauso, wie die Kosovaren das Kosovo erobert haben: durch eine höhere Geburtenrate.” Es handelt sich hierbei um die Worte des ehemaligen SPD-Politikers Thilo Sarrazin, der 2010 das Buch „Deutschland schafft sich ab“ veröffentlichte. Dieses rassistische Zitat wurde im Zuge der langjährigen Debatte um den Parteirauswurf Sarrazins, der kürzlich endgültig geschehen ist, häufig aufgeführt. Zuletzt im Januar dieses Jahres in der Berliner Zeitung“ – jedoch wie so oft ohne Kontextualisierung.

Der Kosovo-Bericht des jüngsten europäischen Islamophobie-Berichts betont, dass neben Sarrazin besonders Schriftsteller Peter Handke, der 2019 den Nobelpreis für Literatur gewann, mit islamophoben Kosovo-Äußerungen auf sich aufmerksam gemacht habe. Zum Kosovokrieg, der aus albanischer Sicht ein Dekolonisierungskrieg vergleichbar mit Algeriens Befreiungskrieg (1954-1962) war, sagte er: „Manchmal wäre auch ich gern ein serbisch-orthodoxer Mönch, der für das Kosovo kämpft.“

Zu diesem Ereignis zieht der Autor des Berichts zwei Schlussfolgerung: Zum einen sei die Preisvergabe an einen Autor, der für solche rechtsradikalen Ideen stehe, Indiz für „eine tief verwurzelte euro-atlantische Gleichgültigkeit gegenüber dem Schicksal der Länder mit muslimischer Mehrheit in Europa wie Bosnien und Herzegowina oder Kosovo”. Zum anderen habe dies auch zur „Normalisierung islamophober Angriffe auf das Existenzrecht Kosovos” beigetragen.

Islamophobe Angriffe auf das Existenzrecht Kosovos

Auch nach Veröffentlichung dieses Berichts findet man Anzeichen, die diese Annahme bestätigen. Ende Juli dieses Jahres hat US-Präsident Donald Trump beispielsweise einen islamophob und anti-albanisch eingestellten Botschafter für Deutschland vorgeschlagen: Douglas Macgregor, ein Ex-Offizier der U.S. Army. Dieser ist der Meinung, dass die US-Regierung während des Kosovokrieges gegen die Serben kämpfte und so mithalf, die Unabhängigkeit des Kosovo zu erlangen. Das Land werde heute „von einer muslimischen Drogenmafia“ regiert. Weitere aktuelle Beispiele von Angriffen auf das Existenzrecht des Kosovo sind unter anderem in Frankreich, Österreich und Tschechien anzutreffen.

Angestoßen durch den europaweiten Anstieg der Popularität von rechtsextremen Parteien ist in letzter Zeit immer häufiger von der Verschwörungstheorie „Großer Austausch“ (the great replacement theory) die Rede. Darunter versteht man die Behauptung, dass der „Westen“ durch Einwanderung aus speziell mehrheitlich islamischen Ländern seine Demographie nachhaltig verändere und damit seine christlich-weiße Identität endgültig verlieren würde. Führt man sich jedoch die antimuslimischen Genozide auf dem Balkan der 90er Jahre vor Augen, ist die gängige Bezeichnung dieser Denkweise als „Verschwörungstheorie“ irreführend: denn vor weniger als 30 Jahren führte sie zum Tod von Zehntausenden unschuldigen Menschen.

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