(AA)
Folgen

Heute vor 28 Jahren, in der Nacht vom 28. auf den 29. Mai 1993, setzten Neonazis ein von der türkischen Familie Genç bewohntes Haus in Solingen in Brand. Dem Inferno fielen Gürsün İnce (27), Gülüstan Öztürk (12), Hülya Genç (9), Hatice Genç (18) und Saime Genç (4) zum Opfer, 14 weitere Familienmitglieder wurden zum Teil schwer verletzt. Bei diesem Mordanschlag verlor Mevlüde Genç zwei Töchter, zwei Enkelinnen und eine Nichte. Die Großmutter und Mutter hatte an jenem Tag für die Kinder Geschenke besorgt, da zwei Tage später das islamische Opferfest beginnen sollte. Die Mädchen probierten die Kleider aus. Die Kinder gingen recht früh schlafen, die Erwachsenen sollten später folgen.

Durmuş Genç, der Mann von Mevlüde Genç, arbeitete damals in der Nachtschicht und verabschiedete sich von seiner Familie. Da Hatice Genç in dieser Nacht kein Auge zudrücken konnte, stand sie noch einmal auf und beschloss, Wäsche zu waschen. Sie bemerkte einen lauten Knall und schaute durch das Schlüsselloch ihrer Erdgeschosswohnung. Die junge Frau sah im Flur Feuer und Rauch. Sie weckte ihre Schwiegermutter und wollte das Feuer mit Wasser aus dem Bad löschen, was misslang, da das Feuer sich immer weiter ausbreitete. Sie konnte sich mit einem Sprung aus dem Fenster retten. Am nächsten Morgen bot sich der Feuerwehr und den Rettungskräften ein grauenvolles Bild. Das Haus in der Unteren Wernerstraße 81 war beim Anschlag bis auf die Grundmauern niedergebrannt.

Kein Wort der Reue und Demut der Täter

Die vier rechtsradikalen Täter wurden kurze Zeit nach der Tat festgenommen, und vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf kam es zum Prozess. Markus G. wurde wegen fünffachen Mordes und 14-fachen Mordversuchs zu 15 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt, die drei anderen mitangeklagten Täter bekamen 10 Jahre Jugendstrafe. Wegen guter Führung wurden einige vorzeitig aus der Haft entlassen, aber die Leiden für Mevlüde Genç und die anderen Angehörigen der Opfer sind geblieben. Vor ein paar Jahren erklärte sie in einem Interview, dass die vier verurteilten Mörder während der Gerichtsverhandlung miteinander gelacht und so getan hätten, als ob nichts passiert wäre, was sie als „unverfroren“ empfunden habe.

Rechtsterrorismus gab es auch vor der deutschen Wiedervereinigung

So wie die fünf verurteilten Unterstützer des Terrornetzwerks „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU), die vor dem Oberlandesgericht München ihre Neonazi-Freunde im Zuschauerbereich lachend grüßten oder während der Verhandlung zu Scherzen aufgelegt waren. Kein Wort der Reue oder Demut vor den ermordeten Opfern und leidenden Familienangehörigen. Der Brandanschlag von Solingen reiht sich ein in eine Flut von rassistischen Angriffen und Hetzjagden auf Ausländer, die das wiedervereinigte Deutschland in den 90er-Jahren erlebte. Auch vor der deutschen Wiedervereinigung gab es Anschläge von Rechtsterroristen.

Beim Oktoberfest-Attentat am 26. September 1980 starben durch die Detonation einer Bombe 13 Menschen, darunter der Attentäter, mehr als 200 wurden zum Teil schwer verletzt. Eine rechtsextreme Schlägergruppe griff am 6. Dezember 1990 den Asylbewerber Amadeu Antonio an und prügelte ihn zu Tode. Im August 1992 wurde fünf Tage hintereinander die Zentrale Aufnahmestelle für Asylbewerber in Rostock-Lichtenhagen von mehreren Hundert Neonazis angegriffen, wobei der Polizei es nicht gelang, die Ordnung wiederherzustellen und sie von 3.000 applaudierenden Zuschauern in ihrer Arbeit behindert wurde. In der ostsächsischen Stadt Hoyerswerda gab es an mehreren aufeinanderfolgenden Tagen im September 1991 Übergriffe von Neonazis auf Ausländer. Am 23. November 1992 warfen zwei Neonazis Brandsätze in zwei Häuser in der schleswig-holsteinischen Stadt Mölln, wobei die 10-jährige Yeliz Arslan, die 14-jährige Ayşe Yılmaz und die 51-jährige Bahide Arslan getötet wurden.

Neue Dimension des rechten Terrors in Deutschland

Die Ermordung von acht türkischen und einem griechischen Migranten sowie einer Polizistin durch den NSU, der antisemitische Anschlag von Halle, die Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke am 1. Juni 2019 sowie der rassistische Mordanschlag auf neun Einwanderer im Februar 2020 in Hanau zeigen eine neue Dimension des Rechtsterrorismus in Deutschland. Lange Zeit wurde die Gefahr des Terrors von rechts von Politik und Sicherheitsbehörden unterschätzt und stattdessen der Fokus auf Linksterrorismus wie Baader-Meinhof, Rote Armee Fraktion (RAF) oder Revolutionäre Zellen (RZ) gelegt, gleichwohl die Bedrohung durch den Linksextremismus nicht unterschätzt werden darf, wie der Verfassungsschutz in einer Analyse festgestellt hat.

Die größte Gefahr für die Demokratie in Deutschland geht vom Rechtsextremismus aus. Das belegen Zahlen, die das Nachrichtenmagazin Spiegel veröffentlichte und sich dabei auf den Verfassungsschutzbericht von 2019 stützt. Demnach gab es etwa 32.000 Rechtsextremisten in Deutschland, was einer Zunahme um etwa ein Drittel gegenüber dem Vorjahr entspräche. Die Zahl der gewaltbereiten Rechtsextremisten ist nach Spiegel-Informationen auf 13.000 Personen angestiegen.

Veröffentlichung der geheimen NSU-Akten in Hessen

Nach wie vor ist die NSU-Mordserie nicht vollständig aufgeklärt, weil die schwarz-grüne Koalition in Hessen aus CDU und Grünen trotz einer Petition der Online-Plattform Change.org/NSU-Akten mit 120.000 gesammelten Unterschriften von Bürgerinnen und Bürgern gegen die Offenlegung der als geheim eingestuften NSU-Akten stimmte. Es ist ein Skandal ohnegleichen, dass diese wichtigen Akten zunächst für 120 Jahre unter Verschluss gehalten werden sollen, was auf öffentlichen Druck hin auf 30 Jahre reduziert wurde. Wenn die Politik an einer ernsthaften Aufklärung der perfiden NSU-Mordserie interessiert ist, sollten diese Akten veröffentlicht werden.

Meinungsbeiträge geben die Ansichten des jeweiligen Autors und nicht die der Redaktion wieder. Für Anfragen wenden Sie sich bitte an: meinung@trtdeutsch.com