Ein Zieglein liegt auf dem Boden. (AA)
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von Burcu Karaaslan

Besonders im Winter ist der Einsatz von Kaschmirwolle in der Mode- und Textilindustrie weit verbreitet. Das kuschelig weiche und warme Material macht einen Kaschmirpullover auf den ersten Blick zum perfekten Begleiter in der kalten Jahreszeit. Doch die Hintergründe der Produktion sind weniger herzerwärmend.

Kaschmirwolle wird aus dem flauschigen Fell von unterschiedlichen Ziegenrassen hergestellt. Die häufigste Gattung ist die Pashmina-Ziege, deren Name aus dem Persischen stammt. Die früheste Verwendung von Kaschmirwolle lässt sich bis ins Kaschmirtal zurückverfolgen, das zwischen dem Pir Panjal-Gebirge und dem Großen Himalaya auf dem indischen Subkontinent liegt. Auch in China und der Mongolei kommt diese Ziegengattung vor.

Kaschmirwolle gilt bei der Herstellung von weichen, robusten Thermowaren wie Pullover, Schals, Mützen und Handschuhen als die beste Option. Dennoch hat sie einige Haken.

Zwei Ziegen liegen nebeneinander. (AA)

Eine Pashmina-Ziege produziert im Durchschnitt nur 200 Gramm Fell pro Jahr. Das ist so wenig, dass für die Herstellung einer einzigen Kaschmirjacke das Fell von sechs Ziegen benötigt wird. Allein für einen Schal bräuchte man zwei bis drei Ziegen. Es würde Jahre dauern, um vom Fell einer Ziege einen Schal in Standardgröße zu produzieren. Das macht Kaschmir zwar mit nur 0,5 Prozent der weltweiten Wollproduktion zu den kostbarsten Fasern der Welt, dennoch hat die Produktion ihre Tücken: Sie ist weniger nachhaltig als angenommen und nicht besonders tierfreundlich.

Laut der Modezeitschrift „Vogue“ sollen in der Mongolei die Überweidung und der Klimawandel zu einem Abbau von schätzungsweise 70 Prozent des Weidelandes geführt haben, erschreckende 25 Prozent seien dabei zur Wüste geworden. Die Pashmina-Ziegen bekommen außerdem während der Prozedur trotz Verletzungen oft weder Schmerzlinderungsmittel noch tierärztliche Versorgung. Die Tiere erleiden nicht selten einen qualvollen Tod. In China gibt es keine Strafen für die Misshandlung von Tieren auf Kaschmirfarmen und in der Mongolei scheint die Situation ähnlich zu sein.

Zwei Ziegen liegen nebeneinander. (AA)

Der Deutsche Tierschutzbund bemängelt die Produktionsbedingungen bei der Gewinnung von Kaschmirwolle. „Das Personal steht bei der Wollgewinnung immer unter Zeitdruck, sodass Verletzungen der Tiere regelmäßig vorkommen dürften. Schließlich können pro Tier und Schur maximal 200 Gramm Unterwolle gewonnen werden, sodass sich der Profit vor allem über das Tempo und große Tierzahlen erzielen lässt“, sagte Pressesprecherin Lea Schmitz gegenüber TRT Deutsch.

Weniger Tierleid durch Qualitätssiegel?

Einige Modeunternehmen hatten erklärt, in Zukunft auf Kaschmir verzichten zu wollen, um humanere Stoffe zu verwenden – darunter H&M und ASOS, einer der größten Einzelhändler der Welt. 2020 kam dann das Kaschmir-Qualitäts-Siegel „The Good Cashmere Standard“ (GSC), das Nachhaltigkeit versprach und zu einer weiteren Verwendung von Kaschmir führte. Daraufhin haben einige Unternehmen wie Hugo Boss, Lacoste und H&M ihre Teilnahme an der Initiative angekündigt. Doch ist es wirklich damit getan?

Eine Ziege steht im Stall. (AA)

„Betriebe dürfen sowohl GCS-zertifiziertes Kaschmir als auch nicht-zertifiziertes Kaschmir parallel produzieren. Das Gleiche gilt für Ankaufstationen. Aufgrund dieser mangelnden Transparenz in der Lieferkette gibt es keine Garantie dafür, dass ein Unternehmen tatsächlich ‚zertifiziertes‘ Kaschmir kauft“, so Schmitz.

Die Liste der Sachen, die der Tierschutzbund bemängele, sei nicht gerade kurz, doch es gebe auch einige positive Dinge wie zum Beispiel im Bereich Haltung, wie trockene, zugluftfreie und eingestreute Unterstände, Enthornungsverbot und Handling. „Es gibt vorgeschriebene Trainings für Scherer und verletzte Tiere müssen umgehend medizinisch versorgt werden. Im Vergleich zu den kaum vorhandenen Tierschutzgesetzen in der Mongolei und China, wo weltweit das meiste Kaschmir produziert wird, ist das also schon ein Fortschritt“, erklärte Schmitz. Ob diese bei den selten stattfindenden Überprüfungen eingehalten werden, sei jedoch fraglich.

Auch wenn die Schur nach den Kriterien des GCS stattfinde, so sei weiterhin „das für die Tiere äußerst schmerzhafte Kämmen zur Wollgewinnung zulässig“, warnte Schmitz. Die Schur der Tiere werde so schnell wie möglich gehalten und auch eine Fixation der Tiere mit Seilen zum Auskämmen soll erlaubt sein. Die Dauer der Wollgewinnung betrage pro Tier ca. 30 Minuten. Somit könne bei diesem Standard eine tiergerechte Wollgewinnung nicht garantiert werden, denn Scheren oder Kämmen sei für die Fluchttiere immer mit Stress verbunden.

„In Hobbyhaltungen kann man die Tiere durch Training daran gewöhnen, aber bei hunderten oder gar tausenden Tieren pro Herde ist das natürlich nicht möglich“, so Schmitz. Da eine tiergerechte Gewinnung von Kaschmir momentan nicht sichergestellt sei, sollte aus Sicht des Deutschen Tierschutzbundes besser auf Produkte mit Kaschmir verzichtet werden.

TRT Deutsch