(TRTHABER)
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Wie wahr ist das Bild der orientalischen Frau?

Es ist offenkundig, dass ein Großteil der in Europa und den USA veröffentlichten Romane über den osmanischen Harem die Frauen in negativer Weise karikierte. Zwar waren diese Werke zumeist Romane und entsprangen der „Vorstellungskraft“ ihrer Autoren. Dennoch haben sie in westlichen Gesellschaften ein Bild manifestiert, wonach Frauen, die auf osmanischem Boden lebten, keine Rechte besäßen und wirtschaftlich schwach bzw. abhängig seien. Auch deshalb stellt sich die Frage, wie sehr das überwiegend in westlichen Quellen bis heute dargelegte Frauenbild der Wahrheit entspricht. Oder ist das Ganze ein im Rahmen der Orientalisierung des Orientalen (Auto-Orientalisierung) durch westliche Eliten mit einem orientalischen Blick aufoktroyiertes Bild, wie bereits Edward Said folgerichtig feststellte? Diese Fragen können nur durch die Heranziehung von akademischen Primärquellen objektiv beantwortet werden. Sollten wir uns außerdem nicht der Tatsache stellen, dass es falsch ist, die Vergangenheit mit gegenwärtig gültigen Wertmaßstäben zu bewerten? Letztlich hat jede Zivilisation und jede Gesellschaft ihr eigenes Wertesystem, eigene Traditionen und Überzeugungen.

Von Frauen gegründete Stiftungen im Osmanischen Reich

Betrachten wir die von Frauen geschaffene Stiftungsinfrastruktur genauer, um den sozio-ökonomischen Status der Frauen im Osmanischen Reich zu verstehen, so werden wichtige Anhaltspunkte sowohl hinsichtlich des sozialen Status der Frauen, die diese Stiftungen gründeten, als auch hinsichtlich ihrer wirtschaftlichen Möglichkeiten offensichtlich.

Auf Primärquellen basierende Studien zeigen, dass mehr als ein Drittel (36,8%) der Mitte des 16. Jahrhundert in Istanbul gegründeten Stiftungen und 41% der im 17. Jahrhundert gegründeten Stiftungen von Frauen gestiftet wurden. Dieser Prozentanteil veranschaulicht, wie aktiv Frauen im wirtschaftlichen und sozialen Leben waren.

Durch Forschungen zu Stiftern wurde zudem die Auffassung widerlegt, dass Frauen in der osmanischen Gesellschaft kein Eigentum besaßen. Die Tatsache, dass das gesamte Eigentum eines jeden Stifters auf die zu gründende Stiftung überging und dass sich unter den Stiftern auch Frauen befanden, ist Beweis dafür, dass Frauen die Möglichkeit eines Eigentumserwerbs hatten. Wissenschaftliche Studien über Frauen, die unter den Osmanen Stiftungen gründeten, belegen darüber hinaus, dass es für Frauen nicht nur die Möglichkeit des Besitzerwerbs gab, sondern auch, dass dieser Umstand nicht nur bestimmten elitären Frauen vorbehalten war. Schauen wir uns die Herkunft der Frauen an, die Stiftungen gründeten, so sind manche reich, andere weniger wohlhabend, einige stammen aus Bürokratenfamilien und wiederum andere sind einfache Leute, die eben nicht Mitglied einer aristokratischen Familie waren. Dass Frauen nicht nur ihr eigenes Eigentum aus freiem Willen für die Gründung einer Stiftung spendeten, sondern auch in deren Vorständen aktiv wurden, zeigt, dass sie auch das wirtschaftliche und soziale Leben aktiv mitgestalteten.

Merkmale der Stiftungen, die von Frauen gegründet wurden

Soll man eine Klassifizierung unter den Stiftungen vornehmen, die von Frauen gegründet wurden, so lässt sich sagen, dass es sich bei den Stiftungen, die von Müttern, Frauen und Töchtern der Sultane gegründet wurden, um finanziell großzügig ausgestattete Stiftungen handelte. Dies lag daran, dass diese Frauen einkommensstark und mächtig waren. Man kann insbesondere bei dieser Gruppe Frauen davon sprechen, dass es einen regelrechten Wettbewerb in der Wohltätigkeitsarbeit gab. Da Frauen der osmanischen Herrscherfamilie nicht wie die zeitgenössischen westlichen Prinzessinnen physisch in der Gesellschaft omnipräsent waren, machten sie sich durch architektonische Werke, die in ihrem Namen errichtet wurden, im wahrsten Sinne des Wortes sichtbar. Beispiele dafür sind zum einen der aus einer Moschee, einer Schule, einer Madrasa, einem Krankenhaus und einer Suppenküche bestehende Komplex in Haseki, gestiftet von Hürrem Sultan. Oder der aus mehreren Anlagen bestehende Valide Atik-Komplex, gestiftet von Nurbanu Sultan und errichtet durch Mimar Sinan. Und schließlich das Vakıf Gureba Krankenhaus, gestiftet von Bezmi Alem Valide Sultan. Bis zum Zerfall des Reiches war es eine Tradition, dass Frauen der Herrscherfamilie Stiftungen gründeten, um Bedürftigen zu helfen. Die Tatsache, dass sich auch heute noch Frauen/Partnerinnen von Staats- und Regierungsführern in sozialen Projekten engagieren, kann als Fortführung dieser alten Tradition betrachtet werden.

Auch Konkubinen, die zwar nicht der Herrscherfamilie angehörten, aber im Sultanspalast dienten oder ihn nach Ablauf ihrer Dienstzeit mit einer bestimmten Abfindung verließen, gründeten Stiftungen. Die von Konkubinen gegründeten Stiftungen waren kleiner, weniger pompös. Als Beispiel hierfür können die unzähligen Brunnen, privat gestifteten Moscheen und Schulen genannt werden, die man fast an jeder Ecke in Istanbul zu Gesicht bekommt.

Bereiche, in denen von Frauen gegründete Stiftungen tätig waren

Die Tätigkeitsfelder der Stiftungen, die von Frauen ins Leben gerufen wurden, variieren je nach Bedingungen und Bedürfnissen der jeweiligen Zeit. Die angebotenen Dienste waren derart vielfältig, dass es kaum möglich ist, hier alle aufzuzählen. Exemplarisch können folgende Wohltätigkeitswerke der Stiftungen aufgeführt werden: Elementarschulen, die heute Grundschulen gleichkämen; Madrasen, die Bildung auf Oberstufen- oder Universitätsniveau anboten; Suppenküchen, in denen Bedürftige täglich zwei Mahlzeiten kostenlos bekamen; Karawansereien, in denen Reisende kostenlos übernachten konnten; Moscheen, Brunnen und Wasserwege, Krankenhäuser, Bibliotheken und der Bau von Sufikonventen und Klöstern.

Welches waren die Motive für Frauen, Stiftungen zu gründen?

Zuallererst hegten die Frauen den Wunsch, das Wohlwollen Allahs zu erlangen, ihm näher und nach dem Tod in den Himmel zu kommen, so wurde es zumindest in den Stiftungsurkunden festgehalten. Untermauert wurde dieser Wunsch durch das Aufführen von Koranversen und Hadithen zu den Themen Nächstenliebe und Hilfsbereitschaft in der genannten Urkunde.

Auf der anderen Seite stärkten besonders Frauen aus dem Hause Osman durch die Dienste der Stiftungen in den Bereichen Bildung und Religion, die den sozialen Wohlstand erhöhten, die Loyalität und Zufriedenheit der Menschen gegenüber der Hohen Pforte. Auch war es in der Vergangenheit, aber auch heute, Wunsch vieler Menschen, sowohl zu Lebzeiten als auch nach dem Tod für immer in guter Erinnerung zu bleiben.

Von der Gründung bis zum Ende des Osmanischen Reiches gründeten Frauen aus allen gesellschaftlichen Schichten im Rahmen ihrer wirtschaftlichen Möglichkeiten, insbesondere aber Frauen der Herrscherfamilie, Stiftungen und trugen damit maßgeblich zur gesellschaftlichen Solidarität, zum sozialen Zusammenhalt und zum Wohlstand bei. Vielen gelang es damit bis heute, in guter Erinnerung zu bleiben.