Rechtsterrorismus: München gedenkt des vierten NSU-Mordopfers Habil Kılıç (Reuters)
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München erinnert am Sonntag in einer Gedenkveranstaltung mit Kranzniederlegung an die Ermordung von Habil Kılıç durch die terroristische Vereinigung „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU). Oberbürgermeister Dieter Reiter und Anni Kammerlander von der Opferberatung „Before“ (Beratungsstelle für Betroffene rechter Gewalt) werden eine Gedenkrede halten.

Ermittlungen ins rechtsextreme Milieu erst nach Auffliegen der Terrorzelle

Vor 20 Jahren, am 29. August 2001, wurde Kılıç in seinem Obst- und Gemüseladen in Ramersdorf in unmittelbarer Nähe einer Polizeistation durch zwei Kopfschüsse erschossen. Kılıç war das vierte Opfer der sogenannten NSU-Mordserie. Aus bisher ungeklärten Gründen wurde zu Familie Kılıç kein Tatortreiniger geschickt. Sie mussten das Blut ihres ermordeten Angehörigen selbst entfernen. Eine Tafel mit den Namen der NSU-Opfer am ehemaligen Geschäft erinnert an die Geschichte des Ortes.

München gedenkt des vierten NSU-Mordopfers Habil Kılıç (DPA)

Kılıç war eines von zehn Opfern der Mordserie. Acht von ihnen stammen aus der Türkei, einer hatte griechischen Migrationshintergrund und das zehnte Opfer ist die deutsche Polizistin Michèle Kiesewetter. Der NSU verübte zwischen 2000 und 2007 ihre wahllosen insgesamt zehn Morde in ganz Deutschland.

Nach Überzeugung der Bundesanwaltschaft waren Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt die unmittelbaren Täter. Wie bei fast allen anderen Fällen der rechtsextremistischen Mordserie wurde auch bei Kılıç zunächst im Umfeld des Opfers ermittelt. Erst im November 2011 flog die Terrorzelle auf und das Verbrechen wurde unter der Prämisse einer rechtsterroristischen Motivation untersucht.

Prozess zog sich über mehrere Jahre

Die mutmaßliche Tatwaffe bei der Mordserie, eine Česká 83, wurde zu dieser Zeit in Zwickau in der gemeinsamen Wohnung des NSU-Trios Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe gefunden. Es war dieselbe Waffe, mit der auch Kılıç getötet wurde. Fast 14 Jahre lang agierten die Rechtsterroristen im Untergrund und beging neben den Morden auch noch mehrere Banküberfälle.

Auf das Konto des NSU-Trios gehen auch zwei Sprengstoffanschläge und mehr als ein Dutzend Raubüberfälle. Böhnhardt und Mundlos begingen am 4. November 2011 in Eisenach nach einem Banküberfall Selbstmord. Zeugen hatten sie bei der kriminellen Tat beobachtet – und sie flogen auf. Die Polizei fand ihre Leichen in einem ausgebrannten Wohnmobil. Beate Zschäpe jagte anschließend die Wohnung in Zwickau in die Luft und meldete sich danach mit ihrem Anwalt bei der Polizei.

Am 11. Juli 2018 fiel im NSU-Prozess das Urteil am Oberlandesgericht München. Mit fünf Angeklagten, 14 Verteidigern, 90 Nebenklägern, mehr als 600 Zeugen und 438 Verhandlungstagen ging diesem eines der längsten Verfahren wegen Rechtsextremismus in Deutschland voran.

Böhnhardt und Mundlos konnten für die Mordserie nicht mehr zur Rechenschaft gezogen werden. Beate Zschäpe hingegen wurde zu lebenslanger Haft verurteilt. Nach Überzeugung des Gerichts hatte Zschäpe zusammen mit den beiden Männern die Tatorte ausgewählt und auch Einfluss auf Zeitpunkt und Art und Weise der Taten gehabt.

Zschäpe-Urteil mittlerweile rechtskräftig

Das Oberlandesgericht München verurteilte Zschäpe im Juli 2018 wegen zehnfachen Mordes zu lebenslanger Haft. Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) verwarf im August 2021 ihre Revision mit schriftlichem Beschluss und strich nur eine Einzelstrafe, wie das Karlsruher Gericht mitteilte: „Die lebenslange Gesamtfreiheitsstrafe und die festgestellte besondere Schuldschwere sind hiervon jedoch unberührt geblieben.“

Laut einer Auskunft des bayerischen Innenministeriums vom Februar bleiben auch nach Ende des Löschmoratoriums sämtliche NSU-Unterlagen langfristig archiviert. Auch die Verfassungsschutzakten würden weiter aufbewahrt, denn diese seien „von bleibendem historischem Wert“. Demgegenüber bleiben die Akten des hessischen Verfassungsschutzes für 30 Jahre unter Verschluss.

TRT Deutsch