Die Sultan-Ahmed-Moschee im Herbst in Istanbul. (Getty Images)
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Der Beginn der islamischen Zeitrechnung

Am 9. August begehen wir das Jahr 1443 nach der Auswanderung (Hidschra). Der Beginn der islamischen Zeitrechnung wurde erst später, etwa 17 Jahre nach dem Tod des Propheten zur Zeit des Kalifen Omar eingeführt und auf das Ereignis der Auswanderung gelegt. Im Jahre 622 n. Chr. emigrierte der Prophet aus seiner Heimatstadt Mekka nach Medina, da Schikanen und Übergriffe auf die Muslime seitens der Mekkaner kein Ende nahmen. Dieses Ereignis stellt einen großen Wendepunkt in der islamischen Geschichte dar und zählt somit als Ausgangspunkt der Zeitrechnung. In Medina wurde das erste muslimische Gemeinwesen aufgebaut und vereinte verschiedene Stämme unter dem Islam. Es wurde später für viele muslimische Dynastien beispielhaft für ein pluralistisches Miteinander diverser Völker.

Der islamische Hidschri-Kalender orientiert sich am Mondkalender. Da ein Mondjahr 354 beziehungsweise 355 Tage zählt und somit etwa 11 Tage kürzer ist als ein Sonnenjahr, werden das Neujahr und damit auch alle anderen islamischen Feiertage jährlich nach vorne verschoben.

Im Osmanischen Reich gratulierten alle Staatsangestellten dem Sultan zum islamischen Neujahr und erhielten mit einer kleinen Zeremonie ein kleines Geschenk, welches Muharremiyye genannt wurde. Die Staatsangestellten wiederum verschenkten ebenfalls kleine Muharremiyyes an ihre Mitarbeiter.

Der Tag von Aschura

Der Monat Muharram zählt neben den Monaten Zilkade, Zilhicce und Recep zu den vier heiligen Monaten, in denen Kampfhandlungen und Konflikte verboten sind. Das Fasten im Monat Muharram ist besonders lobenswert. Gemäß einem prophetischen Ausspruch heißt es, dass das beste Fasten nach dem Fasten im Monat Ramadan das Fasten im Monat Muharram sei. Ferner wird der Monat Muharram der Monat Allahs genannt, in dem man Gott vermehrt um Vergebung für seine vergangenen schlechten Taten bitten soll.

Insbesondere am 10. Muharram, dem sogenannten Tag von Aschura (arabisch: Zehn), ist es empfohlen zu fasten. Die Vorzüge dieses Tages waren auch anderen Propheten bekannt. So heißt es einer weiteren Überlieferung zufolge, dass Gott Moses und sein Volk an diesem Tag errettete und den Pharao ertränkte. Aus diesem Grund fasteten Moses und später die Juden an diesem Tag aus Dankbarkeit.

Der Prophet Muhammad (sas) empfahl später, zusätzlich den Tag davor, also den 9. Muharram, oder den Tag danach, den 11. Muharram, mitzufasten. Ferner wird überliefert, dass auch Noah an diesem Tag aus Dankbarkeit fastete, da er mit seiner Arche das Land erreichte.

Die türkische Kultur kennt zu diesem Anlass die sogenannte Suppe Noahs (Aşure genannt), eine aus Hülsenfrüchten, Trockenfrüchten und Nüssen bestehende Süßspeise. Diese wird an diesem Tag in großen Mengen gekocht und an Familie, Nachbarn und Freunde verteilt. Zur Zeit der Osmanen wurde sie auch am Hof des Sultans gekocht und in kleinen Behältern sowohl an die Hofbewohner als auch an die Bevölkerung verteilt. In den Sufi-Orden wurde und wird die Süßspeise ebenfalls mit einer besonderen Zeremonie und in Begleitung von religiöser Musik, Lobgesang und Gebet gekocht.

Auch heute noch erfreut sich das Kochen der Aşure-Speise in der Türkei großer Beliebtheit. Sie wird als Gelegenheit genutzt, durch das Einladen beziehungsweise Verteilen der Speise das nachbarschaftliche Verhältnis und die Familienbande zu stärken.

Neben dem Fasten ist ein weiterer, sehr lobenswerter Gottesdienst das Spenden am Tage von Aschura. In einer Überlieferung heißt es, dass eine Spende an diesem Tag der Person so angerechnet wird, als ob sie das ganze Jahr gespendet hätte.

Trauer um den Prophetenenkel

Der Aschura-Tag fällt auch auf ein trauriges Ereignis in der islamischen Geschichte. Am 10. Muharram 680 n. Chr. (61 nach Hidschra) wurde Hussein, der Enkelsohn des Propheten, in Kerbela (heute Irak) ermordet. Alle Muslime waren und sind über dieses Ereignis sehr betrübt, wobei insbesondere die Schiiten den Tag in tiefer Trauer verbringen. So hat dieser Tag neben den oben genannten Ereignissen mit der Ermordung eine weitere Dimension erhalten. Daraus ist in der arabischen, persischen und auch türkischen Literatur eine eigene Gedichtgattung zur Erinnerung an diesen Tag entstanden. Beispielsweise haben große türkische Mystiker und Dichter wie Yunus Emre, Fuzûlî, Niyâzî Mısrî und Kâzım Paşa eigene Gedichte hierzu verfasst. Große osmanische Komponisten wie Ismail Dede Efendi, Hacı Arif Bey und Rıfat Bey haben dann zu diesen Gedichten Stücke komponiert. In den Sufi-Orden und Moscheen wurden an diesem Tag religiöse Lieder über die Liebe zum Propheten und zu seiner Familie (ahl al-bayt) gesungen. Diese Lieder wurden ebenfalls Muharremiyye genannt. Besonders für das Ereignis in Kerbela am 10. Muharram wurden Trauerlieder und Gedichte gesungen und aufgesagt. Diese Gattung wird Mersiye genannt, und das Rezitieren wurde als eigenes Kunstwerk angesehen. Die Mersiyes wurden dann vom Meister, dem sogenannten Mersiyehân, an die Schüler mündlich weiter überliefert. Einer der berühmten Mersiyehâns in der jüngeren Vergangenheit war Sebilci Hüseyin Efendi.

In der Sümbül Efendi Moschee in Istanbul lebt diese Tradition bis heute weiter. Am 10. Muharram wird Husseins mit Koran, Gedichten und Mersiyyes gedacht.