Der ehemalige Fußballprofi und Funktionär Erdal Keser (SRF/EQ Images)
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Im Februar treffen Borussia Dortmund und die Glasgow Rangers in der UEFA Europa League aufeinander. Für den ehemaligen BVB-Profi Erdal Keser ist das ein besonderes Match. Keser, der vor allem eingefleischten Dortmund-Fans auch heute noch ein Begriff ist, bestritt gegen die Schotten im Alter von 21 Jahren sein erstes Spiel auf europäischer Ebene. In seiner langen Aktivkarriere sollte der ehemalige Stürmer noch viele denkwürdige Spiele vor heißblütigen Fans in Dortmund, aber auch bei Galatasaray in Istanbul bestreiten. Mit den damals noch nicht im Spitzenfeld etablierten Schwarz-Gelben konnte Keser keine Meisterschaft gewinnen. Dennoch ging er in die BVB-Geschichte ein - als erster türkischer Spieler, den das Team unter Vertrag hatte. Als Spieler und Co-Trainer bei Galatasaray konnte Keser hingegen mehrere Meisterschaften gewinnen. Vor allem als Fußball-Funktionär machte er sich aber bei allen türkischen Fans beliebt. Inbesondere für seine Scouting-Aktivitäten beim türkischen Fußballverband wurde Keser in der Türkei und in Resteuropa bekannt. Im Gespräch mit TRT Deutsch erzählt Erdal Keser von wichtigen Momenten aus seiner Karriere und unterstreicht, wie wichtig die Jugendarbeit und Scouting-Aktivitäten für den türkischen Fußball sind. Borussia Dortmund wird in der UEFA Europa League auf die Glasgow Rangers treffen. 1982/83 trafen die beiden Mannschaften ebenfalls aufeinander. Sie waren damals auf dem Platz. Wie war das damals für Sie? Ich habe bei Borussia Dortmund ja schon in der Jugendmannschaft gespielt. Und dann kam ich in die erste Mannschaft und in den ersten Jahren mussten wir uns das erst mal noch erarbeiten, dass wir uns überhaupt europäisch aufhalten und uns vergleichen konnten. Dortmund war in den 70er Jahren und Anfang der 80er gerade erst in die Bundesliga aufgestiegen und befand sich noch im Aufbau. Und deswegen war das ein sehr erfolgreiches Jahr, wo wir uns schon im europäischen Pokal bewegen konnten. Und dann gleich gegen Glasgow Rangers. Die waren ja damals schon richtig etabliert im europäischen Fußball und es war eine tolle Erfahrung. Haben Sie aus dem Spiel besondere Momente in Erinnerung? An dieses Glasgow-Rangers-Spiel habe noch sehr gute Erinnerungen. Es gab eine ähnliche Atmosphäre, wie wir das eigentlich aus der türkischen Liga kennen, wie etwa bei den Derbys. Dieses richtig Fulminante, eine Atmosphäre, die sich von den Zuschauern auf die Spieler überträgt. Wenn man bei Glasgow dann in dieses Stadion einläuft und dann dieses Gebrülle und diese Atmosphäre abbekommt, die ist schon sehr prägend und auch imposant. Da fühlt man als gegnerischer Spieler schon richtig Respekt und merkt, dass es heute wahrscheinlich ein bisschen härter wird. Damals war der BVB vielleicht sogar der Underdog. Heute ist es andersherum und man kann den BVB als Favorit bezeichnen. Das Weiterkommen ist also gesetzt? Ja, absolut richtig von Ihnen jetzt bewertet, weil zu der Zeit war Glasgow mindestens gleichwertig, aber zurzeit ist es ja natürlich so, dass Dortmund haushoher Favorit ist und alles andere als ein Dortmunder Weiterkommen wäre eine große Überraschung. Dortmund ist jetzt eigentlich immer schon gesetzt, wenn es um die Champions League geht. Und diese Saison ist europäisch schon eine sehr große Enttäuschung. Deswegen wird man wahrscheinlich alles daran setzen, jetzt in der Euroleague weiterzukommen. Vor allen Dingen von den Kadern her wäre was anderes auch nicht zu erklären, sie müssen weiterkommen. Vor hitzigen Fans zu spielen war ein fester Bestandteil Ihrer Karriere. Angefangen bei Dortmund und auch bei Galatasaray. Insbesondere bei den Derbys gegen Schalke muss das eine beeindruckende Erfahrung für Sie gewesen sein. Natürlich, das wollte ich auch gerade noch sagen. So gut die Atmosphäre in Glasgow auch ist, ist die Atmosphäre in Dortmund dieser ebenbürtig. Die Fans peitschen die Spieler nach vorne und geben noch mal eine Extra-Kraft. Sie sind wie der zwölfte Spieler auf dem Spielfeld. Zu unserer Zeit war Dortmund im Derby gegen Schalke auch fast immer favorisiert, weil die Schalker kamen dann auch aus der zweiten Liga und hatten dann eine schwierige Phase. Und soviel ich mich erinnern kann, haben wir damals alle Spiele eigentlich gewonnen gegen Schalke. Und das war ein sehr gutes Gefühl, weil man hier in der Region dann natürlich auch sehr viel auf diese Spiele gesetzt hat. Wenn man ein Dortmund-Schalke-Spiel gewonnen hatte, war das schon fast schon wie die Vizemeisterschaft. Gibt es ein Schalke-Derby, das Sie bis heute nicht vergessen können? Es ging ja immer heiß her bei den Derbys und es wurde auch sehr viel mit Fouls gespielt, mit eigentlich auch unsportlichen Szenen schon mal. Und ich kann mich wirklich noch daran erinnern, dass ich einmal sehr, sehr schlimm gefoult worden bin von einem Spieler, den ich jetzt nicht mehr erwähnen möchte, weil es wäre dann traurig. Aber das war zum Beispiel die Szene, die dann später wirklich für mein Karriereende gesorgt hat. Ich habe immer noch diesen Moment vor Augen, wie ich einen Tritt auf mein Knie bekommen habe und später dort eben wegen eines Knorpelschadens meine Karriere frühzeitig beenden musste. Aber das war natürlich keine Absicht. Es ging eben jeweils heiß her in den Spielen. Und wie gesagt: Zu der Zeit, wo ich noch bei Dortmund gegen Schalke auflaufen durfte, haben wir die meisten Spiele gewonnen - deswegen erinnere ich mich noch gerne an die Derbys zurück. Nuri Şahin ist ein weiterer Türke, der in die Dortmunder Vereinsgeschichte eingegangen ist. Nun hat er seine Spielerkarriere beendet und hat beim türkischen Erstligisten Antalyaspor sein Debüt als Coach gegeben. Denken Sie, dass das für Nuri die richtige Entscheidung war? Es ist auf jeden Fall eine sehr mutige Entscheidung von ihm und ich finde, dass das sogar ein sehr guter Moment ist für ihn, so früh schon in diesen Berufszweig zu wechseln. Vor allem, wenn er gemerkt hat, dass er nicht mehr hundertprozentig auf dem höchsten Level ist. Dann diesen Absprung zu schaffen und auf diese andere Seite zu gehen, finde ich sehr bewundernswert. Chapeau! Und ich glaube, dass er jetzt schon auch sehr viel Fachwissen hat. Er war ja auch immer auf dem Spielfeld ein Führungsspieler, er hat auch schon immer geleitet und immer die Spieler mit aufgebaut. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass er ein erfolgreicher Trainer sein wird, der eine Mannschaft auch erst mal sehr gut technisch-taktisch einstellen kann, aber auch von der Motivation her. Ich wünsche ihm sehr, sehr viel Glück dabei und ich finde es klasse, dass einer in dem jungen Alter schon diesen Beruf ausgewählt hat. Sie waren lange Zeit auch für die türkischen Nationalelf tätig. Nun ist für die Mannschaft mit Stefan Kuntz ein weiterer Ex-Bundesligist verantwortlich. Wie bewerten Sie Kuntz' bisherige Performance? Er hat zumindest jetzt erst mal die Kurve gekriegt, weil die Nationalmannschaft wirklich auf einem absteigenden Ast war, von der Leistungskurve her. Mit Kuntz haben wir nochmal die Kurve bekommen. Jetzt haben wir natürlich auch noch schwierige Lose zu überstehen. Aber wenn er das auch noch überstehen würde und man ihm dann auch sehr viel mehr anvertrauen und Zeit geben würde, denke ich, dass er wieder eine gute Mannschaft hinbekommen kann. Von der Spielerqualität her und von dem Potenzial her, das wir mit dieser Generation schaffen könnten, sind wir sicherlich noch nicht auf dem Level, wo wir sein könnten. Denn diese Generation ist eigentlich hervorragend und sie ist für bessere Ergebnisse auf jeden Fall auch prädestiniert. Hamit Altıntop ist einer der talentierten Deutschtürken, die sich auch dank Ihrer Arbeit für die türkische Nationalmannschaft entschieden haben. Nun ist er im Amt des Verantwortlichen für die türkische Fußball-Nationalmannschaft. Einen Spieler und späteren Funktionär zu scouten, hat Sie bestimmt stolz gemacht. Ja, also die Altıntop-Brüder waren schon die ersten Spieler, die wir damals noch für die türkische Nationalmannschaft gewonnen haben und unsere Aktivitäten wurden auf jeden Fall immer von der DFB-Seite mit Missgunst beobachtet - und auch gefürchtet. Unsere Arbeit wurde aber gleichzeitig auch sehr geschätzt und respektiert. Nur unsere türkische Seite hat nicht so richtig erkannt, wie wichtig eigentlich die Arbeit hier in Deutschland ist, um hinter unseren Jungs her zu sein. Das wurde überall viel, viel mehr akzeptiert und respektiert als in unserer Heimat. Aber so ist das nun mal. Es ist ja immer die bekannte Geschichte mit dem Propheten im eigenen Lande. Deswegen denke ich, dass das damals eine sehr, sehr wichtige Aufgabe war, solche Jugendlichen für die Nationalmannschaften zu gewinnen. Und sie haben auch mit die meisten Erfolge eingefahren. Hamit Altintop selbst ist nun in einer sehr guten Position, wo er natürlich auch die Nationalmannschaft und deren Werdegang mitprägen kann. Zudem kann er viel lernen, wie die Trainerausbildung oder wie er sein Wissen in den türkischen Jugendspieler-Ausbildungen erweitern kann. Ich wünsche ihm alles Gute und bin froh, dass wir ihn damals für die Türkei gewonnen haben und dafür, dass er jetzt wahrscheinlich auch viele, viele türkische Talente noch mit nach oben bringen kann. Die Arbeit von Ihnen und Ihren Scouts wurde auch von den Deutschtürken sehr geschätzt. In Ihrer Zeit beim Verband konnte die Türkei gefühlt mehr Talente für die Nationalmannschaft gewinnen. Wie sind Sie an die Spieler herangegangen? Es ist ja so, man hat damals auch immer diesen Kontakt zu den Spielern und den Eltern, zu den Familien gesucht, um ihnen einfach auch das Gefühl zu geben: „Ihr lebt zwar hier im Ausland, aber wir als türkische Nationalmannschaft kümmern uns um euch. Ihr seid immer unter Beobachtung. Wir wissen, wo ihr seid. Wir wissen, dass ihr gute Fußballer seid. Und falls ihr eben auch für euer Vaterland spielen möchtet, geben wir euch die Chance.“ Und die Entscheidung musste dann jeder selber treffen, für welches Land auch immer. Es gab sehr, sehr viele, die sich natürlich sehr stolz gefühlt haben, für die Türkei spielen zu dürfen. Andere haben dann gesagt: „Ich möchte lieber in dem Land spielen oder für das Land spielen, wo ich geboren wurde, wo ich aufgewachsen bin.“ Das haben wir natürlich auch respektiert. Jederzeit. Ich habe aber immer dann zu den Jugendlichen auch gesagt: Wenn ihr diese Entscheidung trefft, dann trefft sie mit Haut und Haaren, sage ich mal so. Dann singt auch die Nationalhymne, dann freut euch auch, wenn ihr ein Tor macht, auch wenn es gegen die Türkei ist. Alles andere wäre dann nur gespielt und scheinheilig. Das fällt irgendwie dann mit der Zeit natürlich jedem auf. Das waren immer meine Ratschläge. Apropos Nationalmannschaften: Joachim Löw war lange Zeit Ihr Konkurrent, wenn es um diese Talente ging. Und auch Löw war in der Türkei als Trainer tätig. Aktuell gibt es Gerüchte um ihn und türkische Mannschaften, die ihn gerne als Coach verpflichten wollten. Wäre das eine gute Idee? Ich denke schon, dass er auch in die Türkei passen würde, weil er von der Mentalität her also ein sehr offener Mensch ist, immer zugänglich. Und er kennt die Türkei ja natürlich auch schon aus der früheren Zeit. Er hat sehr viele türkische Freunde, sein Manager ist ja ein Türke und deswegen kann ich mir sehr gut vorstellen, dass er in der Türkei gerne arbeiten würde und auch, dass er Erfolg hätte. Wie würden Sie abschließend die Jugendarbeit der letzten Jahre bei der türkischen Nationalmannschaft bewerten? Meine Anmerkung ist nur, dass man eigentlich versuchen sollte, diese Arbeit, die wir damals in Europa gemacht hatten, fortzuführen. Wir haben Scouts gehabt, die die Jugendlichen schon mit 14, 15 Jahren beobachtet haben. Und diese Aufgabe wurde einfach jetzt abgesetzt. Ich weiß nicht, aus welchen Gründen. Ich verstehe es überhaupt nicht, weil das war eine sehr, sehr effektive und auch eine stolze Arbeit für die Türkei, so etwas zu machen. Ich würde mir wünschen, dass die Arbeit auf jeden Fall irgendwann wieder aufgenommen wird. Dass hier die Spieler, die sich im europäischen Ausland fortbilden, immer das Gefühl haben, dass man sich um sie kümmert und dass man sie gerne für die Nationalmannschaft gewinnen würde. Das ist mein eigentlicher Wunsch, dass es eines Tages wieder losgeht. Das können jetzt viele jüngere Leute weitermachen und weiterbringen. Aber diese Arbeit und diese Bemühungen um die Spieler fehlen mir einfach. Und das ist einfach schade für den türkischen Fußball. Und durch diese falschen Entscheidungen damals hat es leider den türkischen Fußball um einige Jahre zurückgeworfen, was man jetzt wieder aufholen könnte. Vielen Dank für das Gespräch!

TRT Deutsch