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Vor genau 20 Jahren, im Juni 2001, trafen Vladimir Putin und sein damaliger Amtskollege George W. Bush einander in Slowenien. Es ergab sich, dass ich diese Begegnung aus der Nähe miterleben durfte. Die Welt war noch eine andere, wenige Monate vor den Anschlägen des 11. September. Washington verstand sich noch in jeder Hinsicht als unverwundbar. Putin hatte eben erst begonnen, das von den Turbulenzen der 1990er Jahre schwer gebeutelte Russland zu konsolidieren. China arbeitete sich nach oben und wurde von der EU und den USA bloß als verlängerte Werkbank, nicht aber als Rivale wahrgenommen. Nun, im Juni 2021, wirkt unsere Welt zwischen den Pandemien, Rezessionen und wachsendem Misstrauen äußerst zerbrechlich. Die Tatsache, dass dieses Treffen stattfindet, ist daher zu begrüßen. Putin hatte trotz Verbalattacken aus Washington Biden den Dialog angeboten. Biden zeigte seinerseits entgegen manchem Ratschlag seiner Mitarbeiter großes Interesse am Termin. Die Außenminister Sergej Lawrow und Anthony Blinken haben vor Wochen die Vorarbeiten für dieses erste Treffen der beiden Staatschefs erstellt.

Der neutrale Boden von Genf

Dass die Beziehungen zwischen den beiden Staaten auf einem Tiefpunkt sind, ist die gleichlautende Diagnose auf beiden Seiten. Realismus und nicht überzogene Erwartungen können der Diplomatie nur dienlich sein. Die Villa „La Grange“ am Genfer See ist der ideale Ort für einen solchen diplomatischen Auftakt. 1864 tagte in dem Gebäude jene Runde von Genfer Bürgern, die das IKRK, das Internationale Komitee vom Roten Kreuz begründeten.

Auch wenn sich Wien und Helsinki, wo Putin und Donald Trump einander 2018 begegneten, als Gastgeber ins Spiel brachten, so ist die neutrale Schweiz in meinen Augen viel besser geeignet, um ein solches Treffen auszurichten. Die Beziehungen zwischen der EU und Russland sind derart zerrüttet, dass ein Treffen in einem EU-Staat ausgeschlossen schien. Genf hingegen lebt konsequent die neutrale Tradition des diskreten und professionellen Gastgebers.

Für Putin ist Joe Biden der fünfte US-Präsident, den er für ein bilaterales Gespräch trifft. In Interviews im Vorfeld lassen beide Staatschefs durchklingen, dass die Erwartungen nicht zu hoch sind. Zeitgleich überschlagen sich Kommentatoren und Denkfabriken, vor allem in den USA und in Brüssel, mit Ratschlägen und Forderungen. Diplomatie in Gestalt eines solchen Treffens kann nicht mehr und nicht weniger als der erste Schritt für weiteren Dialog sein. Atmosphäre, Respekt, korrekte Vorbereitung und die eine oder andere symbolische Maßnahme, wie ein Austausch inhaftierter Staatsbürger, begleiten idealerweise einen solchen Termin.

Bedauerlicherweise verwechseln viele Kommentatoren diese Begegnung mit einer Art Zweikampf in der medialen Arena oder zumindest mit einer politikwissenschaftlichen Konfrontation. Es geht hier sicher nicht darum, wer als vermeintlicher Sieger auftritt oder welche Resultate welche Seite verbuchen mag. Das Zusammentreffen von Genf kann nicht mehr und nicht weniger als ein Neustart der bilateralen Beziehungen zwischen den USA und der Russischen Föderation sein.

Ist die Diplomatie wirklich zurück?

Einer der Slogans der Biden Administration lautet „Diplomacy is back“ bzw. „America is back“, was sich inhaltlich wenig von Donald Trumps Devise „America First“ unterscheidet. Nun hat Diplomatie nichts mit öffentlicher Belehrung zu tun, wie sich der andere zu verhalten habe, oder mit diversen Forderungskatalogen. Die bisherige Europatour von Biden drehte sich aber immer wieder um die Tagesordnung in Genf und was man sich von der anderen Seite erwarte.

Als ehemalige Diplomatin und Autorin einiger Publikationen zur Diplomatie verweise ich regelmäßig auf die wesentliche Grundregel: Diplomatie ist respektvoller und diskreter Dialog auf Augenhöhe. Wer ein Gespräch mit einer Liste von Benimmregeln und Anschuldigungen beginnt, wie dies die US-Delegation gegenüber China Mitte März in Anchorage tat, legt eher ein diplomatisches Debakel hin. Der gewünschte Neuanfang der Beziehungen zwischen Washington und Peking wurde auf diversen Videos als Konfrontationskurs seitens der USA wahrgenommen.

Bedauerlicherweise ist das diplomatische Handwerk vielerorts verloren gegangen, von der hohen Kunst der Verhandlung ganz zu schweigen. Dieses Dilemma hat unter anderem mit dem Verlust von Gesprächskultur zu tun. Für alles im Leben bedarf es gewisser Talente. Menschenkenntnis und ein Gespür für eine Situation sind neben der inhaltlichen Vorbereitung unerlässlich. Biden hat zweifellos sein Leben als Politiker verbracht, außenpolitische Erfahrungen gesammelt. Wie er diese nun in Genf einsetzt, wird sich weisen. Putin verfügt neben seiner Erfahrung als Staatschef und seiner Passion für Geopolitik über genau jenes Wissen, das einigen Zeitgenossen fehlt: Menschenkenntnis.

Getrennte Pressekonferenzen

Auf Wunsch von Präsident Biden soll es keine gemeinsame Pressekonferenz geben, vielmehr werden die beiden Staatschefs getrennt zu den Medien sprechen. Diese Entscheidung ist bedauerlich. Denn es ist Usus, nach solchen Treffen gemeinsam die Fragen der Journalisten zu beantworten. Wie die Antworten zu Abrüstung, Kriegen im Nahen Osten, Cyberattacken, Pandemie und Klimapolitik ausfallen, wird auch die Fortsetzung des dringend erforderlichen Dialogs auf Ebene der Diplomaten und Militärs mitbestimmen.

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