So funktioniert Food-Saving in Deutschland (Others)
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„Wir wollen die Lebensmittel auf dem Teller sehen, nicht in der Tonne“, so die Mission des 2015 gegründeten Start-Ups „Too Good To Go“ mit seiner gleichnamigen App. Das dänische Unternehmen widmet sich dem Thema Lebensmittelverschwendung und ist inzwischen in mehr als 17 Ländern weltweit vertreten, 15 davon in Europa, außerdem in Kanada und den USA.

Das Social-Impact-Unternehmen hinter der App „Too Good To Go“ ist zwar längst nicht der einzige Anbieter am Markt, inzwischen aber nicht mehr wegzudenken: Jede Sekunde gehen hierüber weltweit rund vier „Überraschungstüten“ über die Ladentheken. Darin enthalten: frische Lebensmittel, die bis dato nach Geschäftsschluss im Müll landeten.

Überraschungstüte nach Ladenschluss

Doch wie funktioniert das Konzept? Über die App können Verbraucher die Überbleibsel aus Restaurants, Cafés, Bäckereien, Supermärkten und Hotels gegen ein kleines Entgelt bestellen und zu einer bestimmten Uhrzeit, meist mittags oder abends, abholen. Eine Tüte vom Bäcker – gefüllt mit Brezeln, Kuchen oder herzhaften Stückchen – kostet so auf einmal nur noch wenige Euro. Auch die Reste vom morgendlichen Hotelbuffet werden so gerettet.

„Die Idee ist simpel, eine Win-Win-Situation für beide Seiten“, erklärt Nora Walraph, Pressesprecherin des Unternehmens. „Der Gastronom oder Lebensmittelhändler freut sich, weil er nichts wegwerfen muss, und die Verbraucher sind froh, weil sie gutes Essen zu einem kleinen Preis bekommen, denn die Tüten sind günstiger als der ursprüngliche Warenwert.“Den Zahlen nach ist die Resonanz durchweg positiv: „Seit die App Anfang 2016 in Deutschland an den Start gegangen ist, haben sich über 26.000 Unternehmen entschieden mitzumachen, und täglich werden es mehr“, berichtet Walraph. So kommt es, dass „Too Good To Go“ mit rund 3000 Locations mittlerweile in allen Städten Deutschlands vertreten ist. Ob Hamburg, München, Frankfurt oder Dresden: Beim Öffnen der App findet man an jedem Standort teilnehmende Partner in der Umgebung – in den Städten naturgemäß etwas häufiger als auf dem Land.

Kreislaufwirtschaft in der Lebensmittelbranche

Das Beispiel der App „Too Good To Go“ zeigt: Nachhaltiges Wirtschaften durchdringt heute alle Branchen – besonders auch die Lebensmittelbranche und Gastronomie. Doch die Unternehmen setzen den Fokus nicht allein deshalb, um sich Nachhaltigkeit auf die Fahne schreiben zu dürfen. „Der Nachhaltigkeitsgedanke besteht für die Gastronomie vor allem darin, Ressourcen und so gleichzeitig auch die Umwelt zu schonen und Geld zu sparen“, stellt die Pressesprecherin klar. „Indem Restaurants, Cafés und Bäckereien überschüssige Lebensmittel nicht länger wegwerfen, sondern verteilen, tragen sie zu weniger Ressourcenverschwendung bei.“ Die App als Marktplatz ist daher zu einem wichtigen Verknüpfungspunkt geworden – für Geschäfte, die Essen übrighaben und Menschen in der Umgebung, die dieses Essen retten wollen. Andere Food-Saver spezialisieren sich hierzulande dagegen beispielsweise auf „ausrangiertes“ Obst und Gemüse. Es gibt darüber hinaus reine Lokalkonzepte wie „The Good Food“ im Raum Köln. Viele dieser Initiativen arbeiten mit Kühlschränken vor Ort. So wächst das notwendige Bewusstsein für das eigentlich alte Problem weiter – und damit auch das öffentliche Interesse und die Bereitschaft, mitzumachen.

Social Media: „Unboxing“ von gerade geretteten Lebensmitteln

„Am Anfang wurde unsere App überwiegend von Leuten genutzt, die bereits wissen, wie groß das globale Problem Food-Waste ist und wie es sich aufs Klima auswirkt“, erzählt Walraph über die App-Nutzer. Neben diesen Aktivisten gibt es laut einer aktuellen Umfrage von „Too Good To Go“ inzwischen aber auch eine ganze Reihe von Menschen, die nur Geld sparen wollen, es schätzen, neue Lebensmittel und Läden in ihrer Umgebung kennenzulernen oder die einfach den Überraschungseffekt mögen. So zeigen viele Endverbraucher in den sozialen Medien gern das „Unboxing“ ihrer gerade geretteten Überraschungstüten.Aktuell wächst das Unternehmen exponentiell. Mit weltweit derzeit 160.000 Partnern expandiert „Too Good To Go“ jetzt nach Australien. In Deutschland kommen aktuell vor allem Tankstellen dazu. „Die Tankstellen haben in den letzten Jahren ihr Angebot an Fertigessen und Sandwiches ausgeweitet, so dass auch dort viel Essen übrigbleibt“, berichtet das Unternehmen. Oft bekomme man Feedback, dass schon alle Tüten reserviert oder ausverkauft seien – für Nora Walraph ein Beweis dafür, dass das Angebot viel und gern genutzt wird.

„40 Prozent der weltweit produzierten Lebensmittel landen im Müll“

Und das ist auch nötig – bedenkt man Berechnungen wie die aus dem unlängst veröffentlichten Food-Waste Index der UNO. „Dieser zeigt, dass wir jeden hungernden Menschen auf der Welt mit all unserem Food-Waste mit einer Mahlzeit pro Tag versorgen könnten“, sagt Walraph und plädiert: „Deswegen brauchen wir noch viel mehr Akteure im Bereich Food Sharing und Food-Saving, Anbieter wie die Tafel oder etepetete, die sich um das krumme Gemüse kümmern, das es nicht in die Supermärkte schafft. Nur so bekommen wir die Herausforderung in den Griff.“

Benötigt: Aufklärung beim Mindesthaltbarkeitsdatum

Ein weiteres Hindernis auf diesem Weg besteht darin, mit dem Missverständnis um das Mindesthaltbarkeitsdatum aufzuräumen: Die Macher von „Too Good To Go“ haben deshalb 2019 das „Oft länger gut“-Label ins Leben gerufen, das inzwischen auf mehr als sechs Milliarden Produkten klebt und darüber aufklärt, dass die meisten Produkte viel länger haltbar sind als das angegebene Datum.„Es ist nur ein vom Hersteller gewähltes Datum“, erklärt Walraph. „Mit dem ‚Oft länger gut#‘-Label weisen wir Verbraucher darauf hin, sich das Lebensmittel nach Ablauf nochmal genau anzuschauen, daran zu riechen und es auch zu probieren, wenn es noch gut aussieht.“ Meist seien die Lebensmittel problemlos essbar und müssten gar nicht weggeworfen werden. Zehn Prozent der Lebensmittelverschwendung in der EU-Bevölkerung gehen laut einer Studie der EU auf dieses Missverständnis um das Mindesthaltbarkeitsdatum zurück.

„59 Prozent der Verschwendung kommt durch die Privathaushalte“

Überhaupt: Der größte Teil des Food-Waste kommt gar nicht aus den Betrieben und auch die Gastronomie sei nicht der größte Verursacher, weiß die Pressesprecherin: „Klassische A-la-carte-Restaurants planen und kochen in der Regel nach dem tatsächlichen Bedarf. Natürlich wird entlang der gesamten Wertschöpfungskette Essen weggeworfen – doch am Ende sind es die Verbraucher in den Privathaushalten selbst, die mit 59 Prozent den größten Teil der Lebensmittel verschwenden. Das meiste Essen werfen wir zuhause weg.“

So sind wir es am Ende alle selbst, die positiv etwas bewegen können – indem wir alle besser einkaufen und planen, den ein oder anderen Haltbarkeitstipp von unseren Großeltern beherzigen oder doch mal etwas einfrieren. Die Arbeit an der öffentlichen Bewusstseinsbildung nebst Aufklärung haben die Initiatoren hinter „Too Good To Go“ jetzt schließlich auch in die politische Aktivität geführt.

Politisches Engagement dringend benötigt

„Wir setzen uns für Steuererleichterungen für alle Arten der Lebensmittelspende ein, damit diese einfacher und attraktiver werden“, erklärt Walraph, die es teils paradox findet, wie auf Gesetzesebene mit Food-Waste umgegangen wird. „Derzeit sind die EU-Gesetze teilweise noch so gestaltet, dass es für Unternehmer attraktiver ist, die Lebensmittel wegzuwerfen. Das kann einfach nicht sein.“

Eine Stellschraube, um diesen Missstand zu beheben, könnte eine EU-weite Verpflichtung sein, Lebensmittel weitergeben zu müssen und nicht wegwerfen zu dürfen. Denn das sei – so das Social-Impact-Unternehmen – sowohl sozial, ökologisch und ökonomisch eine Katastrophe.“ Wie beim Thema Plastik braucht es auch beim Thema Food-Waste somit alle Akteure in der Wertschöpfungskette, um nachhaltig etwas zu verändern. „Politik kann zeigen, wie groß das Problem ist und Lösungen möglich machen“, betont die Pressesprecherin im Interview. Aktuell sei man u.a. in der EU-Arbeitsgruppe „EU Platform of Food Losses and Food Waste“ beratend aktiv, welche europaweit das Waste-Management reguliert.

Mit KI gegen Food-Waste

Ein innovativer Ansatz, um Lebensmittelabfälle zu vermeiden, ergibt sich ganz aktuell auch durch den Einsatz von KI in der Gastronomie. So entwickeln einige Unternehmern inzwischen bereits Kameras für Mülltonnen in der Gastroküche, um zu analysieren, was bei den Gästen auf den Tellern bleibt. Ob Krankenhausmensa oder Betriebskantine: Man weiß dann, ob es an den Kartoffeln oder am Rotkohl lag. Außerdem können so auch die Portionsgrößen optimiert werden.

Die Zielsetzung für die nächsten Jahre ist somit gesteckt. Nun geht es an die Umsetzung, die vornehmlich darin besteht, die Lebensmittel dorthin zu bringen, wo sie auch gegessen werden.

TRT Deutsch