Die neuen Realitäten, die der Russland-Ukraine-Krieg ausgelöst hat, haben die Bedeutung von Zuverlässigkeit und Nachhaltigkeit in der Energieversorgung drastisch neu betont. Für Europa hängt die Energiesicherheit grundlegend von einer gesicherten Energieversorgung und der widerstandsfähigen Infrastruktur ab, die zu ihrem Transport erforderlich ist. Die Verwundbarkeit des Blocks ist offensichtlich: Seit 2022 ist er für 62,5 Prozent seiner gesamten Energieversorgung auf Importe angewiesen. Diese Abhängigkeit ist bei bestimmten Brennstoffen sogar noch dramatischer, wobei 97,7 Prozent der Mineralölerzeugnisse und 97,6 Prozent des Erdgases von außerhalb der Union kommen – eine Abhängigkeit, die die EU jährlich schwindelerregende 450 Milliarden Euro für fossile Energieimporte kostete.
Der Krieg zwang die EU, einen ihrer wichtigsten Energielieferanten abzuschneiden. Vor dem Konflikt kaufte der Block durchschnittlich 150 Milliarden Dollar Gas und Öl pro Jahr von Russland. Auch wenn diese Abhängigkeit nun fast vollständig beseitigt wurde, bleibt eine entscheidende Frage: Hat diese Entwicklung die EU wirklich energieunabhängig gemacht?
Sicherung der Energiesicherheit: Wechsel von Russland zu den USA und Erneuerbaren
Um ihre Energiesicherheit zu stärken, ist die EU zu den USA als Partner gewechselt und große Liefervereinbarungen getroffen. Eine bahnbrechende Vereinbarung sieht vor, dass die EU bis 2028 Energie im Wert von 750 Milliarden Dollar von den USA kaufen und neue Investitionen in Höhe von 600 Milliarden Dollar in den Vereinigten Staaten tätigen wird. Während dies das Angebot diversifiziert, bedeutet es auch eine Verlagerung der Abhängigkeit von Russland zu den USA.
Gleichzeitig hat die EU den Schwerpunkt stärker auf erneuerbare Energien gelegt. Laut einem Bericht des Europäischen Instituts für Sicherheitsstudien würde eine Umstellung auf ein erneuerbares Energiesystem nicht nur die Sicherheit der Energieversorgung wiederherstellen, sondern auch eine kostengünstigere und widerstandsfähigere Alternative bieten. Hier entsteht jedoch ein neues Dilemma: die sichere Lieferkette für die Erneuerbaren-Technologien selbst. Berichten zufolge werden beispielsweise fast 95 Prozent der in Europa verwendeten Solarmodule und 45 Prozent der für Elektrofahrzeuge notwendigen Lithium-Ionen-Batterien derzeit aus China importiert.
Der komplizierte Tanz der EU mit der Kernenergie
Analysen zeigen, dass neben erneuerbaren Energien größere Grundlastkraftwerke unerlässlich sind. Deutschland, das gleichzeitig aus Kohle- und Kernkraft ausgestiegen ist, hat sich in die paradoxe Position manövriert, in bestimmten Monaten Strom aus Frankreich importieren zu müssen. Von seinen Kernreaktoren profitierend wurde Frankreich 2023 zum führenden Stromexporteur Europas und lieferte netto 50,1 Terawattstunden (TWh) an seine Nachbarländer, wovon Deutschland 10 TWh importierte.
Ein weiterer Faktor, der die europäische Energiesicherheit beeinflusst, war der Ausstieg aus der Kernenergie im Namen der grünen Entwicklung. Deutschland setzte das umfassendste Ausstiegsprogramm um und schaltete im April 2023 seine letzten Reaktoren ab. Ähnlich verlängerte Belgien trotz seines Plans zum Ausstieg bis 2025 die Laufzeit zweier Reaktoren bis 2026 aufgrund der Energiekrise. Spanien plant die Schließung seiner sieben Reaktoren bis 2035 und hat Neubauten verboten, und die Schweiz verbot nach einem Referendum von 2017 neue Anlagen.
Nachdem sie lange Zeit abgelehnt hatte, Kernenergie als sauber einzustufen, nahm die EU sie 2022 in ihre Taxonomie für nachhaltige Aktivitäten auf und erkannte damit ihren Null-Emissions-Beitrag zum Kampf gegen den Klimawandel auf der Grundlage wissenschaftlicher Bewertungen an.
Anhaltende Herausforderungen: Externe Abhängigkeiten und öffentliche Meinung
In Wirklichkeit ist Europa in seiner nuklearen Lieferkette nach wie vor auf externe Quellen angewiesen. Die EU ist für Rohuran vollständig auf Importe angewiesen, wobei ein Teil davon aus Russland stammt, das auch eine bedeutende Rolle bei der Konversion und Anreicherung spielt und somit Verwundbarkeiten schafft.
Darüber hinaus haben die jüngsten diplomatischen Herausforderungen Frankreichs in Afrika die Position der Union geschwächt. Als der zweitgrößte Uranimporteur der Welt bezieht Frankreich fast 100 Prozent des Urans für seine Reaktoren, die ca. 70 Prozent seines Stroms erzeugen, aus dem Ausland, wobei etwa 30 Prozent aus Niger und Namibia stammten. Die politische Instabilität in diesen ehemaligen Kolonien gefährdet nun die Zuverlässigkeit dieser Lieferkette.
Diese Probleme werden noch durch die tief verwurzelte negative öffentliche Meinung zur Kernkraft in vielen EU-Mitgliedstaaten verschärft, die weiterhin politische Entscheidungen beeinflusst und jede Wiederbelebung kompliziert.
Die globale nukleare Renaissance und Europas schwindende Rolle
Der rasche Anstieg der globalen Nachfrage nach Kernkraft wird durch mehrere Schlüsselfaktoren angeheizt: zunehmende geopolitische Fragilität und der Einsatz von Energie als Waffe, der dringende Bedarf an Dekarbonisierung und ein sprunghafter Anstieg der Stromnachfrage durch KI-Rechenzentren und die Elektrifizierung der Industrie.
Ein Bericht von Morgan Stanley zeigt auf, dass die globale Kernkraftleistung bis 2050 von derzeit 398 GW auf mehr als 860 Gigawatt (GW) mehr als verdoppelt werden könnte, wobei die Investitionen in die nukleare Wertschöpfungskette in den nächsten 25 Jahren 2,2 Billionen Dollar erreichen könnten. Es wird angenommen, dass China mit der aggressivsten Pipeline im Bau bis 2030 voraussichtlich die USA überholen und weltweiter Führer in der Kernkraftkapazität werden wird.
Was die EU betrifft, so sind über die Laufzeitverlängerung bestehender Reaktoren hinaus keine neuen großangelegten Kernkraftprojekte in unmittelbarer Zukunft absehbar. Die Frage, welche Länder die Lieferkette für diese Renaissance dominieren werden, ist ebenfalls entscheidend, und Japan und Südkorea etablieren sich als Schlüsselakteure, was die Rolle der EU weiter marginalisiert.
Die bürokratische und politische Struktur der EU, verbunden mit internem Widerstand und externen Lieferkettenabhängigkeiten, bedroht nicht nur die mittel- und langfristige Energiesicherheit des Blocks, sondern deutet auch auf teurere Energie für ihre Bürger hin. Angesichts dieser Entwicklungen scheint es, dass die EU in der neuen globalen nuklearen Renaissance – ob als Nutzer, Erbauer oder Lieferant – nur eine untergeordnete Rolle spielen wird.
















