Meinung
POLITIK
6 MIN. LESEZEIT
Wie interpretiert Deutschland seine Rolle im Russland-Ukraine-Konflikt?
Die Bundesregierung wird für ihre Passivität kritisiert. Das Projekt Nord Stream 2 ist dafür ein Hauptfaktor. In der Koalitionsregierung besteht Uneinigkeit darüber, wie die Rolle Deutschlands im Russland-Ukraine-Konflikt interpretiert werden soll.
Wie interpretiert Deutschland seine Rolle im Russland-Ukraine-Konflikt?
Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock bei einem Treffen mit dem Außenminister der Ukraine, Dmytro Kuleba. / AP
10. Februar 2022

Olaf Scholz besucht zum ersten Mal seit seiner Wahl zum Bundeskanzler den US-Präsidenten Joe Biden. In diesem Gipfeltreffen wird hauptsächlich der Russland-Ukraine-Konflikt thematisiert. Deutschland wurde in den letzten Wochen für seine Passivität in diesem Konflikt scharf kritisiert. Nicht zuletzt gab es nur Hohn und Spott für die Lieferung von 5000 Helmen an die Ukraine. Jedoch sollte auch unterstrichen werden, dass Scholz seine pragmatische Haltung gegenüber Russland nicht mehr so stark vertritt wie früher. Der Druck seitens der NATO, insbesondere der USA, führte dazu, dass die Bundesregierung eine distanziertere Haltung gegenüber dem Kreml eingenommen hat. Das Treffen zwischen Scholz und Biden wird zeigen, wie sich Deutschland gegenüber Russland in den kommenden Wochen positionieren wird.

Nord Stream 2-Projekt als Hauptproblem

Das Nord Stream 2-Projekt ist zweifellos einer der Hauptgründe für den Dissens in den zwischenstaatlichen Beziehungen von Deutschland und seinen westlichen Alliierten. Auch ist dieses Projekt ein Konfliktfaktor innerhalb der Koalitionsregierung zwischen SPD und Grünen. Während sich die Grünen von Anfang an gegen diese Kooperation positioniert haben, verteidigt die SPD das Energieprojekt, indem sie behauptet, das Nord Stream 2-Projekt sei rein privatwirtschaftlich, und die Entwicklungen im Ukraine-Konflikt sollten keinen Einfluss auf die Realisierung dieses Projekts nehmen. Nach zunehmendem Druck vom Westen und vor allem der NATO hat die SPD um Olaf Scholz eine vermehrt zurückhaltende Position eingenommen. Das Argument, Nord Stream 2 sei nur ein rein privatwirtschaftliches Projekt, wird vom Bundeskanzler nicht mehr vorgebracht.

Das Nord Stream 2-Projekt ist nicht nur bezogen auf den Ukraine-Konflikt eine wichtige Komponente, sondern generell für die Stabilität Europas und die transatlantischen Beziehungen zwischen Europa und den USA ein sensibler Faktor. Die osteuropäischen Staaten, die gleichzeitig Mitglied der NATO sind, haben grundsätzlich mehr Vertrauen in die USA als in die EU-Führungsländer Frankreich und Deutschland. Nicht zuletzt die Irak-Krise 2003 hat gezeigt, dass die Loyalität dieser Länder gegenüber den USA höher ist. Damals hatten Frankreich und Deutschland einen Einsatz im Irak abgelehnt, während NATO-Staaten aus Osteuropa diesen Einsatz unterstützten. Daraufhin hatte US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld das westliche Europa als „altes Europa“ und Osteuropa als „neues Europa“ bezeichnet. Eine ähnliche Krise könnte aufgrund des Nord Stream 2-Projekts drohen, weswegen vor allem Deutschland darauf bedacht ist, diese Krise abzuwenden, da sich sonst auch die Instabilität Europas verschärfen könnte.

Schröder und sein Einfluss

Trotz der zurückhaltenden Position von Olaf Scholz sind Hinweise vorzufinden, die darauf schließen lassen, dass die SPD immer noch an ihrem Pragmatismus in der Russlandpolitik festhält. Allen voran SPD-Altkanzler Gerhard Schröder ist für seine guten Beziehungen zum Kreml und Wladimir Putin bekannt. Schröder ist auch einer der Hauptinitiatoren für die Realisierung des Nord Stream 2-Projekts. Er hat regelrechte Lobbyarbeit für das russische Energieunternehmen Gazprom betrieben, damit dieses Projekt durchgesetzt werden konnte. Schröder ist Vorsitzender des Gesellschafterausschusses der Nord Stream AG und Präsident des Verwaltungsrats bei der Nord Stream 2 AG. Beide Gasleitungen verbinden Russland und Deutschland. Zudem ist der Altkanzler Aufsichtsratschef beim staatlichen russischen Energiekonzern Rosneft. Schröder wurde nun für seine aktive Lobbyarbeit mit der Nominierung für den Aufsichtsrat bei Gazprom belohnt.

Die Lobbyarbeit von Gerhard Schröder bleibt vor allem bei Politikern anderer Parteien nicht unbemerkt. Die Grünen-Bundestagsabgeordnete Claudia Müller sagte zum Beispiel, es werde einmal mehr offenbar, wessen Interessen Schröder vertritt, nämlich „die der russischen Oligarchie um Putin. Das sollte Konsequenzen haben.“ Der Parlamentarische Geschäftsführer Stefan Müller (CSU) hatte sich dafür ausgesprochen, Schröder die Amtsausstattung, also die des Altkanzlers, zu entziehen. Damit würde Schröder sein Büro und Personal in Berlin verlieren. Die FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann befürwortet diese Entscheidung. Auch der Steuerzahlerbund fordert dies.

Deutschland und die Suche nach dem Mittelweg

Im Hinblick auf die Nominierung Schröders und Deutschlands Rolle in der internationalen Politik gab CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter einen interessanten Kommentar ab. Kiesewetter vermutet ein bestimmtes Kalkül Russlands hinter der Nominierung Schröders für den Gazprom-Aufsichtsrat. Mit der Nominierung werde „die ungeklärte und eigenartige Position von Teilen der SPD in Bezug auf Russland“ deutlich. „Die Nominierung Schröders ist somit auch als Schachzug Russlands zu sehen, die deutsche Regierung in ihrer Haltung zum Stopp von Nord Stream 2 als potenzielles Sanktionsmittel zu spalten und somit Deutschland insgesamt zu diskreditieren“, so Kiesewetter.

Tatsächlich ist Deutschland gerade zum Spielball für den Westen und Russland geworden. Eine Spaltung innerhalb der sozialdemokratischen Partei ist bislang noch nicht zu erkennen. Die Unstimmigkeiten innerhalb der Koalitionsregierung und die immer lauter werdende Kritik der Oppositionsparteien reduzieren jedoch den Einfluss Deutschlands in der internationalen Politik. Die unabhängige Entscheidungsfindung in der deutschen Außenpolitikstrategie, die ohnehin gerade auf einem fragilen Fundament beruht und weiter zu bröckeln droht, wird dadurch immer weiter eingeschränkt. Scholz‘ Besuch in Washington wird möglicherweise ein Treffen sein, das zur weiteren Einschränkung der unabhängigen Entscheidungsfindung führen wird. Deutschland ist gerade darauf bedacht, eine ausgewogene Außenpolitik zu gestalten, in der weder die Beziehungen zu den westlichen Verbündeten noch zum russischen Kreml weiter beschädigt werden.