20.02.2020, Hessen, Hanau: Polizeiabsperrungen sind am am Heumarkt zu sehen, wo mehrere Menschen ums Leben gekommen waren. Der 43-jährige Deutsche Tobias R. hatte bei der blutigen Tat neun Menschen aus rassistischen Motiven erschossen. (dpa)
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von Ali Özkök
Am Mittwoch hat der Hessische Landtag erwartungsgemäß den Weg frei gemacht für einen Untersuchungsausschuss zum rechtsextremen Terrorakt von Hanau, bei dem im Februar 2020 neun Angehörige ethnischer und religiöser Minderheiten getötet wurden.

Im Umfeld des Verbrechens war es zu einigen Pannen im Wirkungsbereich der Sicherheitsbehörden gekommen und später stellte sich heraus, dass einige SEK-Angehörige, die am Tattag im Einsatz waren, an rechtsextremen Chatgruppen teilnahmen.

Der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion im Landtag, Günter Rudolph, hat mit TRT Deutsch über seine Erwartungen an den Ausschuss und über rechtsextreme Umtriebe in Hessen gesprochen.

Der Hessische Landtag macht für den Untersuchungsausschuss in Sachen Hanau den Weg frei. Er wird voraussichtlich auch zeitnah die Arbeit aufnehmen können. Was werden Ihre persönlichen Schwerpunkte dabei sein?

Ja, in der Tat, der Hessische Landtag hat heute die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses beschlossen, zur Aufklärung von möglichen Behördenversäumnissen bei dem Terroranschlag in Hanau vom Februar 2020. Dieser Ausschuss ist der zweite Untersuchungsausschuss. Wir haben ja schon einen weiteren im Mordfall Dr. Lübcke. Und nächste Woche, Mittwoch wird die erste Sitzung des Untersuchungsausschusses stattfinden. Er wird sich konstituieren und kann damit die Arbeit aufnehmen.

Was wir uns erhoffen? Ein Untersuchungsausschuss ist ein Mittel, das in der Verfassung festgehalten ist, ein Aufklärungs-Instrument, dem auf offene Fragen, die es gibt, eben die entsprechenden Antworten erteilt werden können. Der Untersuchungsausschuss tagt ja gewissermaßen und findet wie eine Gerichtsverhandlung statt. Er kann Zeugen vernehmen, kann Akteneinsicht nehmen. Und deswegen erhoffen wir uns Aufklärung.

Wir haben am 02.02.2021 Innenminister Beuth in Hessen angeschrieben. Wir wollten gerne die Akten zu den Vorgängen in Hanau haben. Der Innenminister hat das abgelehnt. Wir haben bis heute auf diesen Brief noch keine Antwort. Und das zeigt, dieser Innenminister hat auch mit den Angehörigen der Opferfamilien noch gar kein persönliches Gespräch geführt, hat gar keine Empathie. Und deswegen wollen wir die offenen Fragen geklärt haben. Und dafür ist der Untersuchungsausschuss ein Instrument.

Die SPD hat dazu die Initiative ergriffen. Unsere Fraktionsvorsitzende, Frau Nancy Faeser, hat den Antrag heute begründet. Und deswegen ist das geschehen. Wir haben übrigens die Fragen auch mit den Opferfamilien abgestimmt. Wie haben sie in den Prozess mit eingebunden, weil das ein wichtiges Signal ist, da nach über 16, 17 Monaten noch nicht alle Fragen geklärt sind. Und deswegen erhoffen wir uns Aufklärung von dem Untersuchungsausschuss. Das sind wir den Opfern, aber auch natürlich den Angehörigen und Familien schuldig.

Einige Umstände haben in der Tat vor allem bei den Angehörigen der Opfer, insbesondere aber auch in Einwanderer- und Minderheitencommunitys generell die Alarmglocken schrillen lassen. Von der Notruf-Problematik über einen verschlossenen Notausgang bis zu Teilnehmern rechtsextremer Chats im Einsatzteam der Polizei treffen im Umfeld rechtsextremer Gewalttaten immer wieder so viele Zufälle zusammen. Wie bewerten Sie das?

Ja, Sie haben die zentralen Fragen angesprochen, um die es in dem Untersuchungsausschuss gehen wird. Warum kam der Notruf nicht bei der Polizei an? Das kann man als Zufall ansehen. Die Staatsanwaltschaft hat mitgeteilt, dass sie gegen betroffene Polizeibeamte in den Polizeistationen in Hanau kein Ermittlungsverfahren einleiten wird wegen dieses nicht angekommenen Notrufs.

Das löst aber kein Problem, weil das kann ja trotzdem ein Organisationsversagen der Polizei sein, dass Notrufe eben nicht so aufgeschaltet werden, dass sie durchkommen. Die Opferfamilien sagen: „Wir sind in der Mordnacht über Stunden nicht informiert worden.“ Was ist mit den Angehörigen passiert? Sie wussten auch nicht, dass es eine Obduktion gibt. Also auch da sind noch Fragen offen.

Der verschlossene Notausgang der Bar ist ein Thema im Untersuchungsausschuss. Und jetzt seit einigen Wochen wissen wir: 13 Polizeibeamte des Sondereinsatzkommandos in Frankfurt waren in rechten Chatgruppen unterwegs. Die waren in Hanau. Gibt es da Verbindungen zur rechten Szene?

Das sind Fragen, wo die Angehörigen natürlich fragen: „Was ist da eigentlich passiert? Der mutmaßliche Täter war offensichtlich einer mit rechtsextremer Gesinnung. Aber steckt da mehr dahinter? Wir hätten gerne auf diese Fragen Aufklärung. Das bringt uns unsere Kinder nicht zurück. Aber wir wollen, dass der Staat alles Menschenmögliche tut, um aufzuklären.“

Und der Innenminister lehnt das alles ab. Das ist für uns das Fatale, Traurige. Der Staat hat Vertrauen verloren bei diesen Angehörigen, bei den Opferfamilien. Und jetzt geht es darum, mit der Arbeit des Untersuchungsausschusses verlorengegangenes Vertrauen zurückzugewinnen. Und deswegen machen wir das als SPD-Fraktion.

Haben Sie nach den Ihnen derzeit verfügbaren Informationsstand den Eindruck, es wäre zu einem bestimmten Zeitpunkt möglich gewesen, die Gefahr zu erkennen, die von Tobias R. ausging und die tickende Zeitbombe, die er quasi darstellte, zu entschärfen?

Auch das sind Fragen, die wir in dem Untersuchungsausschuss aufklären wollen. Es wird darum gehen: Warum konnte dieser mutmaßliche Täter legal eine Waffenbesitzkarte erwerben und damit in den Besitz von Waffen kommen? Eine Frage ist auch: Gab es Hinweise an die Polizei mit entsprechenden Schreiben, dass diese Person gestört ist, dass er rechtsextremes Gedankengut vertritt? Ist man dem nachgegangen? Wenn nein, warum nicht? Um solche Fragen wird es gehen. Eigentlich war ja schon von der Generalbundesanwaltschaft der Ermittlungsbericht zu den Vorgängen in Hanau angekündigt. Der liegt immer noch nicht vor. Auch davon versprechen wir uns den einen oder anderen Hinweis. Und deswegen sind das alles Fragen, um die es in der Arbeit des Untersuchungsausschusses dann gehen wird.

Dass es zu schwer nachvollziehbaren Fehleinschätzungen oder offenen Fragen im Zusammenhang mit gewaltbereitem Rechtsextremismus und dem Umgang der Behörden damit gekommen wäre, ist in Hessen keine Premiere. Ein weiteres Beispiel ist Stephan Ernst gewesen, der ebenfalls kein gänzlich unbeschriebenes Blatt im Kassels Neonaziszene war. Wurde die Gefährlichkeit dieser Leute trotz NSU unterschätzt?

Ja, zu der Ermordung des Regierungspräsidenten Dr. Lübcke gibt es einen Untersuchungsausschuss und eine der zentralen Fragen ist: Warum ist der mutmaßliche Täter von Herrn Dr. Lübcke, ein Rechtsextremist, seit vielen Jahren in der Szene unterwegs gewesen? Und die hessischen Sicherheitsbehörden, Polizei, Verfassungsschutz, haben das angeblich nicht mitbekommen. Der Innenminister redet jetzt davon, der sei abgekühlt, über mehrere Jahre nicht aufgetaucht. Wir wissen, das stimmt nicht. Der war in den letzten Jahren auf Demonstrationen unterwegs. Der war in den sozialen Netzwerken tätig. Also wir haben schon jetzt festzustellen, da gibt es ein Versagen der Sicherheitsbehörden. Waren die auf dem rechten Auge möglicherweise blind?

Und all das sind Fragen, die uns bewegen. Wir haben in Hessen den neunten Mord des NSU an Halit Yozgat gehabt. Wir hatten in Hessen den Mordanschlag auf einen eritreischen Mitbürger in Wächtersbach. Wir hatten den Mordanschlag, den Mord an Dr. Lübcke. Und wir hatten voriges Jahr im Februar den Terroranschlag in Hanau. Das sind ein bisschen viele Zufälle und wir haben rechte Chatgruppen bei der hessischen Polizei.

Hessen ist offensichtlich ein Hotspot rechter Gewalt und rechten Gedankenguts. Und das können wir nicht akzeptieren als Gesellschaft. Und deswegen müssen wir uns gemeinsam dagegen wehren. Und das fordern auch immer wieder die Opferfamilien. Wir bringen jetzt in Hessen einen Opferfonds auf den Weg. Es hat auch alles lang gedauert, auch dort mussten wir als SPD ständig nachhaken.

Aber wir müssen deutlich machen: Wir dulden keinen Millimeter Rechtsextremismus in diesem Land. Das ist auch Teil unserer Geschichte. Wir müssen daraus lernen. Aber ja, Vorfälle in den letzten Jahren aus Hessen machen uns Sorgen. Deswegen ist Aufklärung wichtig. Politische Bildung ist wichtig, dass rechtes Gedankengut keinen Platz hat. Dazu kann unter anderem, aber nicht nur, auch ein Untersuchungsausschuss seinen Beitrag leisten. Vielen Dank für das Gespräch!

TRT Deutsch