12.04.2021, Berlin: Armin Laschet, CDU-Parteivorsitzender und Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, gibt im Anschluss an die Sitzung des CDU-Präsidiums im Konrad-Adenauer-Haus eine Pressekonferenz. (dpa)
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von Ali Özkök TRT Deutsch hat mit Rafael Loss gesprochen. Dieser ist Koordinator für paneuropäische Datenprojekte beim Europäischen Rat für Außenbeziehungen (ECFR). Seine Themenschwerpunkte sind deutsche und europäische Außen- sowie Sicherheitspolitik; europäische Integration und transatlantische Beziehungen.


Die grüne Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock kann wenige Monate vor der Bundestagswahl nicht unbedingt darüber klagen, dass ihr medial ein scharfer Gegenwind ins Gesicht wehe. Anders als CDU-Kandidat Armin Laschet. Wird die Begeisterungswelle die erste grüne Kandidatin ins Kanzleramt tragen?

Im Vergleich zur CDU/CSU verlief der Nominierungsprozess bei den Grünen nahezu staatstragend. Annalena Baerbock und Robert Habeck strahlten eine Souveränität aus, neben der Armin Laschet und Markus Söder wie zankende Kleinkinder wirkten. Wenn man Baerbock jetzt fehlende Regierungserfahrung vorwirft, dann muss man auch erkennen, dass die Kandidaten von CDU und SPD trotz solcher Erfahrung während der Corona-Krise wenig effektiv und weitsichtig agierten. Der andere Vorwurf, Baerbock könne schwerlich Kanzler- und Mutterschaft unter einen Hut bringen, verfängt auch immer weniger – hier ist die Gesellschaft weiter als manche Kritiker das vielleicht wahrhaben wollen, zumal Väter in der Politik, wie Laschet, mit solchen Fragen nicht konfrontiert werden. Die Chancen für Baerbock stehen gut, auch wenn der Wahlkampf für die Grünen sicher kein Selbstläufer wird.

Vor der Corona-Krise hatten Analysten in Zeitungen wie der „Star Tribune” oder der „New York Times” geschrieben, die 2010er wären das beste Jahrzehnt aller Zeiten zum Leben gewesen. Wie passt das zum Krisen- und Katastrophennarrativ in Deutschland, das auch den Zuspruch zu den Grünen befeuert?

Die Finanz- und Coronakrisen haben gezeigt, dass Deutschlands und Europas Sicherheit und Wohlstand fragiler sind als weithin angenommen. Durch die Globalisierung gewachsene Abhängigkeiten werden von systemischen Rivalen wie Russland oder China zunehmend ausgenutzt, um Vorteile zu gewinnen. Dies stellt die deutsche Erzählung, dass wirtschaftliches Zusammenwachsen auch zu einer Annäherung der Interessen führt, fundamental in Frage. Die nächste deutsche Regierung muss zusammen mit ihren europäischen und transatlantischen Partnern Antworten auf diese Herausforderung finden, um den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken, der Klimakrise zu begegnen und die liberale internationale Ordnung zu verteidigen.

Wie realistisch ist es, mit einer Botschaft von Verzicht und Einschränkungen unter dem Banner der Klimapolitik an die Bevölkerung heranzutreten, wenn diese gerade erst mehr als ein Jahr des Corona-Lockdowns in den Knochen hat?

Die „Fridays for Future“-Bewegung, ein weitverbreitetes Bewusstsein, dass die Klimakrise eine gewaltige Herausforderung darstellt, und zuletzt das Urteil des Bundesverfassungsgerichts machen deutlich, dass die deutsche Bevölkerung in Klimafragen weiter ist als einige ihrer führenden Politiker. Die Corona-Krise hat laut Meinungsumfragen diesen Trend noch verstärkt, weil sie Fragilität deutlich aufgezeigt hat. Was die Parteien im Wahlkampf aus dieser Erkenntnis machen, wird maßgeblich ihren Erfolg an der Wahlurne bestimmen.

Armin Laschet ist nicht nur von den meisten deutschen Medien regelmäßig Kritik ausgesetzt. Auch aus den eigenen Reihen gibt es Querschüsse. Welche Chance hat Laschet überhaupt, dem nachhaltig etwas entgegenzusetzen?

Laschets Herausforderung ist es, die Union zu einen und sein eigenes Profil zu stärken. Einige in der CDU, zum Beispiel Laschets ehemaliger Herausforderer Friedrich Merz oder der ehemalige Chef des Bundesverfassungsschutzes Hans-Georg Maaßen, meinen, dies ließe sich am ehesten erreichen, indem die CDU weiter nach rechts rücke, um der AfD Wähler*innenstimmen streitig zu machen. Es zeigt sich aber, dass dies häufig nur eine national-populistische Diskursverschiebung mit sich bringt – am Ende wird dann doch lieber das Original, die AfD, gewählt, ohne dass die CDU an Zustimmung gewinnt.

Jüngste Umfragen lassen die Möglichkeit erkennen, dass es weder für eine Linkskoalition noch für Schwarz-Rot noch für Schwarz-Grün reichen könnte. Welche Konstellation wäre aus Ihrer Sicht die am ehesten realistische und welche politischen Schwerpunkte wären dann zu erwarten?

Unabhängig von der Zusammensetzung der nächsten Regierungskoalition wird die Bewältigung der wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise die Politik der nächsten Jahre bestimmen – eine Mammutaufgabe für jede Regierung, egal aus welchen Parteien sie sich letztlich zusammensetzt. Sicherlich werden die Parteien dabei aber unterschiedliche Schwerpunkte setzen. Vor allem bei Klimafragen und der Digitalisierung gibt es Handlungsbedarf, den die gegenwärtige Regierung zu lange verschleppt hat. Weitere vier Jahre schwarz-rot würden Deutschlands Substanz aufzehren – eine neue Konstellation, aus Grünen und CDU zum Beispiel oder eine Ampel-Koalition, könnte eine dringend benötige Reformdynamik entfalten.

Welche unterschiedlichen Schwerpunkte wären jeweils von Laschet oder Baerbock zu erwarten im Verhältnis zwischen Deutschland und der Türkei bzw. der türkischen Einwanderercommunity?

In der deutschen Politik setzt sich, vielleicht mit Ausnahme der AfD, zunehmend die Erkenntnis durch, dass Communitys mit geteilten Migrationsbiografien keine einheitlichen Blöcke sind. Es gibt Liberale, Konservative, Sozialisten, Grüne, Nationalisten und Kommunisten unter Deutschen mit türkischen Wurzeln genauso wie bei Menschen mit Migrationsbiografien aus Russland, Vietnam oder Äthiopien, und natürlich den Deutschen, die schon etwas länger hier sind. Grüne, CDU, SPD, FPD und Linke werden um so viele Stimme werben wie möglich und dabei auf Inhalte setzen statt auf gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit.

Vielen Dank für das Gespräch!

TRT Deutsch