Yanis Varoufakis, ehemaliger Finanzminister von Griechenland / Photo: DPA (dpa)
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Kann man Bürgerrechte nach Belieben interpretieren oder sogar ganz auf das Abstellgleis schieben? Zunächst ein kurzer Rückblick: 1976 erfand das Team um den damaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt den Wahlkampfslogan „Modell Deutschland, starke Wirtschaft, soziale Stabilität“. Viele weitere Punkte standen auf der Politstrategen-Tagesordnung, die auch an der Wahlurne zum Erfolg führte. Bonns steter Einsatz für eine stärkere Europäische Gemeinschaft brachte auch im Ausland viel politisches Wohlwollen und Respekt mit sich – eine Vorzeigedemokratie, zusammen mit Paris der Vorreiter der heutigen Europäischen Union. Knapp fünf Jahrzehnte später scheint es aber angebracht, eine Frage zu stellen: Eine wehrhafte Demokratie sollte doch auch mit Kritik auskommen? Die Stichwörter lauten Bürgerrechte, Versammlungsfreiheit, politische Betätigung im In- und Ausland und Europarecht.

Polizei stürmt Palästina-Kongress in Berlin

Das Datum für das massive Einschreiten deutscher Behörden hätte angesichts der Suche nach einer dauerhaften friedvollen Lösung des Israel-Palästina-Konfliktes nicht schlechter gewählt werden können. Genau zum historisch bedeutsamen Zeitpunkt, als Irland und Spanien die Zwei-Staaten-Lösung forderten und unterstützen – also zwei Mitgliedsstaaten der Europäischen Union, der auch Deutschland angehört – entschied Berlin bereits wenige Stunden nach Eröffnung eines Palästina-Kongresses, diesen zwangsweise abzubrechen. Begründung: vor allem die Videoschalte eines Gastredners.

Es wäre absolut falsch, diese Vorfälle als bedeutungslos abzuhaken, im Gegenteil: Könnte es sein, dass die Berliner Behörden sowie nationalen Sicherheitsdienste die Tatsache, dass Deutschland EU-Mitglied ist und EU-Recht nationales Recht bricht, diskret übersehen haben? Befassen wir uns also mit den juristischen Fakten, da hierüber noch am Wochenende viel spekuliert wurde. Aus Platzgründen wollen wir dabei nicht alle Vorfälle rund um den geplanten und sodann verbotenen Palästina-Kongress bewerten, sondern nur die Einreiseverbote zweier Gastredner.

Hierzu ist es erforderlich, sich dem Thema Unionsfreizügigkeit von der eindeutigen legalen Seite her zu nähern. Das Bundesministerium des Inneren stellt fest: „Voraussetzungen und Umfang des Freizügigkeitsrechts von Unionsbürgern richten sich nach europäischem Recht Artikel 21 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union, (AEUV) bestimmt, dass jeder Unionsbürger das Recht hat ‚sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedsstaaten (…) frei zu bewegen und aufzuhalten.‘ “

Freizügigkeit setzt das Recht auf Einreise voraus. In unserem Fall wird nunmehr von Bedeutung werden, ob und unter welchen Umständen solch eine Einreise für Unionsbürger verweigert werden kann. Der Deutsche Bundestag mittels Wissenschaftlichem Dienst stellte hierzu 2016 und seitdem nicht widerrufen folgendes fest (WD3-3000-285/14): „Verlust des Rechts auf Einreise (…) aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit auch einem EU-Bürger die Einreise verweigert werden (…) wird klargestellt, dass es sich bei den Begriffen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit um gemeinschaftsrechtliche Begriffe handelt (…) Ausnahmen vom Grundsatz der Freizügigkeit eng auszulegen sind.“

Das bedeutet, beim Punkt öffentliche Sicherheit muss eine schwere Gefährdung vorliegen, die Grundinteressen der Gesellschaft berührt, damit ein Einreiseverbot beschlossen werden kann. Andere Punkte, die unter dem Titel Sicherheit erwähnt werden, sind das Funktionieren der staatlichen Einrichtungen und das Überleben der Bevölkerung. Letzte und dritte Ausnahme bezüglich Freizügigkeit inklusive Einreise von Unionsbürgern besteht im Falle von Krankheiten mit epidemischem Potential, sowie von solchen Krankheiten, die im Infektionsschutzgesetz näher definiert sind.

Einreiseverbot für Ex-Minister Griechenlands

Dr. Ghassan Abu-Sittah, bereits in Berlin gelandet, wurde am Freitag von den deutschen Behörden an der Einreise gehindert. Er ist britisch-palästinensischer Staatsbürger. In seinem Falle, post-Brexit, können wir leider keinen EU-rechtlichen Fall bewerten. Stattdessen können wir die Frage aufwerfen, ob eine wehrhafte Demokratie nicht auch einen Augenzeugenbericht aus Gaza verkraften kann. In seinem Fall geht es also um das demokratische Grundprinzip der Meinungsfreiheit.

Ganz anders sieht es beim ehemaligen griechischen Finanzminister Yanis Varoufakis aus. Obwohl er von einem Betätigungsverbot spricht – deutsche Behörden verneinen dies – kommt sein Einreiseverbot de jure einem politischen Betätigungsverbot gleich, da der Unionsbürger eines seiner Rechte beraubt wurde. Hierfür nehmen wir einen Bericht des Hessischen Ministeriums des Innern und für Sport vom 15. März 2017 zu Rate, der klipp und klar feststellt: „Das geltende Ausländerrecht erlaubt es, die politische Betätigung von Ausländern zu beschränken oder zu untersagen (§ 47 AufenthG). Mit der Vorschrift sollen Gefahren abgewehrt werden, die sich aus der politischen Betätigung von Ausländern für den inneren Frieden in der Bundesrepublik und für die zwischenstaatlichen Beziehungen zu anderen Ländern ergeben können. Die Vorschrift findet keine Anwendung auf Unionsbürger (…)“. Das Aufenthaltsgesetz ist hier also absolut eindeutig.

Wie kann eine Vorschrift, die nicht auf Unionsbürger zutrifft, auf einen griechischen Unionsbürger angewandt werden? Hat er z.B. das Funktionieren der staatlichen Institutionen in Deutschland angegriffen? Hat er zum bewaffneten Aufstand gegen die Bundesregierung aufgerufen?

Vorsichtig formuliert können wir sagen: Die deutsche Politik bewegt sich damit auf hauchdünnem juristischen Eis. Und selbst wenn man seine politische Partei „Diem25“ als links einstuft, ist dies keinerlei Rechtfertigung, Varoufakis das Sprechen auf deutschem Boden zu verbieten. Ein anderes EU-Land setzt hier weitere Maßstäbe: Gerade gewannen Kommunisten in Salzburg den Posten des Vizebürgermeisters und legten auch in Innsbruck zu. Verbietet Wien die KPÖ Plus? Natürlich nicht.

Eine Rücknahme des Einreiseverbotes muss unverzüglich ausgesprochen werden – dann könnte eventuell eine Neuauflage vom „Modell Deutschland“ versucht werden.

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