Claim meldet Anstieg der Muslimfeindlichkeit / Photo: DPA (dpa)
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Am 12. März dieses Jahres kam eine Nachricht, die einiges an Aufsehen mit sich brachte – just drei Tage vor dem Internationalen Tag gegen Islamophobie, welchen die Vereinten Nationen einberufen haben und der auch von Deutschland mitunterstützt wurde. Die Tagesschau meldete, dass das Innenministerium den bisher ersten und einzigen Lagebericht zur Muslimfeindlichkeit des Unabhängigen Expertenkreises Muslimfeindlichkeit nach einer Gerichtsentscheidung zurückziehen werde. Der Grund: Eine Person, die darin thematisiert wurde, sah sich diffamiert, zog vor Gericht und gewann.

Der noch unter Innenminister Horst Seehofer herausgegebene Bericht war im Juni 2023 während der Amtszeit von Nancy Faeser einer breiten Öffentlichkeit vorgestellt worden. Der beinahe 400 Seiten starke Bericht enthielt neben einer Bestandsaufnahme eine Reihe an Empfehlungen, um gegen das Phänomen des anti-muslimischen Rassismus vorzugehen. Bemerkenswert ist dabei, dass auch heiße Eisen wie etwa die negativen Auswirkungen der Arbeit des Verfassungsschutzes in dem Bericht angesprochen wurden.

Widerstand

Eine der Einflüsternden dieses Verfassungsschutzes, die in dem Bericht Erwähnung fand, ist Sigrid Herrmann-Marschall. Nicht, dass diese unbekannt wäre im Zusammenhang mit der Verbreitung von islamophoben Politiken. Sie steht für ein Kopftuchverbot von Richterinnen und kämpft gegen zivilgesellschaftliche muslimische Vereinigungen im Namen des Kampfes gegen den sogenannten legalistischen Islamismus. Der französischen Regierung jubelte sie zu, als diese einen massiven Schlag gegen Teile der muslimischen und antirassistischen Zivilgesellschaft als Kampf gegen den sogenannten Separatismus verkaufte. Sie klagte. Ihr Verfahren dauert aber noch an.

Jene Person, die klagte und gewann, ist der umtriebige Publizist Henryk Broder, der im Zusammenhang mit der Ermordung von 77 Personen durch den weißen Rassisten Anders Behring Breivik unrühmliche Bekanntheit auf internationaler Ebene erreicht hatte. Denn Broder wurde in dem Manifest von Breivik mehrere Male zitiert.

Das Gerichtsurteil

Nun jedoch hat dieser einen Teilerfolg erzielt. Medienberichten zufolge hat das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg geurteilt, dass die Passagen über Broder nicht mehr veröffentlicht werden dürfen, da diese sein Persönlichkeitsrecht verletzen würden. Schließlich könne die Studie als amtliche Äußerung der Bundesregierung verstanden werden. Die Äußerungen über Broder in dem Bericht seien aber bewertend und die möglicherweise rufschädigenden Aussagen erhielten durch die Herausgeberschaft des Ministeriums den Anschein, amtlich zu sein.

Broder meinte im Gespräch mit dem Nachrichtensender Welt, es sei „keine Einsicht, sondern juristischer Zwang” gewesen. Der CDU-Innenpolitiker und Bundestagsabgeordnete Christoph de Vries, der ebenso in dem Bericht erwähnt und kritisiert wird, und der zuletzt im Zusammenhang mit einer investigativen Recherche über eine private Schweizer Detektivfirma im Dienst der Vereinigten Arabischen Emirate gegen den sogenannten politischen Islam Erwähnung fand, nutzte Broders Sieg für seine parteipolitische Arbeit, dem Innenministerium Versagen zu unterstellen.

Kritik am Rückzug

Es folgte Kritik vom Koordinationsrat der Muslime gegen das vorübergehende Zurückziehen des Berichts. Ein Mitglied des nach Veröffentlichung des Berichts aufgelösten Unabhängigen Expertenkreises Muslimfeindlichkeit nannte das Vorgehen „irritierend“. Das gilt nicht nur für Deutschland.

Wie das ehemalige Mitglied Saba-Nur Cheema meinte, hatte die Herausgabe des Berichts eine große symbolische Bedeutung – weil der Bericht nach dem rassistischen Anschlag von Hanau 2020 einberufen worden sei. Darüber hinaus sei der Bericht als Pionierarbeit gelobt worden und weitere Länder in Europa würden nun ähnliche Vorhaben diskutieren.

Nachdem der Bericht eingestampft wurde, mehrte sich die Kritik. So etwa von einem ehemaligen Mitglied des Unabhängigen Expertenkreises, Kai Hafez, der meinte, „Ministerin Faeser hat bisher das Gespräch über den Bericht und unsere Handlungsempfehlungen verweigert. Das muss sich ändern“.

Notwendige Aufarbeitung

Einem Ministeriumssprecher zufolge soll der „Bericht den Vorgaben des OVG entsprechend, in Kürze erneut veröffentlicht werden“. Tatsächlich hätte ein Zurückziehen des Berichts aus rein parteitaktischem Kalkül Faesers Partei geschadet. Von anti-rassistischen und muslimischen Akteuren wäre dies zurecht als ein Einknicken vor dem Druck antimuslimischer Kräfte gewertet worden.

Während die christdemokratischen Parteien selbst auch Opfer von gewalttätigen islamophoben Kreisen geworden sind, wie der Mord an Walter Lübcke 2019 gezeigt hat, scheint es so, dass man unter dem Ruder von Friedrich Merz trotzdem einen eher rechten Kurs verfolgt. Und obwohl Seehofer diesen Bericht initiierte, zeigen die Aussagen von Christoph de Vries, wie wenig Bewusstsein gegenüber der Problematik von anti-muslimischem Rassismus existiert.

Dass der Bericht nun nach Korrektur durch ein gerichtliches Urteil wieder erscheint, ist ein wichtiger Schritt für weiterführende Debatten über anti-muslimischen Rassismus. Zu lange wurde auf dem Rücken von MuslimInnen Politik gemacht und rassistische Politik nicht angesprochen.


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