Invest in Turkey: „Türkei bietet enorme Chancen für deutsche Unternehmen“
Weltweit sind die Direktinvestitionen aus dem Ausland um bis zu 40 Prozent geschrumpft. Das bekommt auch die Türkei zu spüren. Im Interview mit TRT Deutsch erläutert Ahmet Burak Dağlıoğlu von „Invest in Turkey“ die Chancen für Investoren.
Invest in Turkey: „Türkei bietet enorme Chancen für deutsche Unternehmen“ (Invest in Turkey)

Von Feride Tavus


Ahmet Burak Dağlıoğlu ist seit Februar 2020 Vorsitzender von „Invest in Turkey“. Das Investitionsbüro der Präsidentschaft der Türkei ist die offizielle Organisation zur Förderung der Investitionsmöglichkeiten der Türkei in der globalen Geschäftswelt. Zum Programm von „Invest in Turkey“ gehört die Unterstützung von Investoren vor, während und nach der Aufnahme ihrer Geschäftstätigkeit in der Türkei. Mit einem Netzwerk lokaler Berater an verschiedenen Standorten bietet das Investitionsbüro Anlegern ein umfassendes Serviceangebot aus einer Hand.

Wie haben sich die ausländischen Investitionen während der Pandemie-Phase entwickelt?

Zweifellos hat die Epidemie, wie auch alles andere auf der Welt, die globalen ausländischen Direktinvestitionen negativ beeinflusst. Nach Schätzungen der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung (UNCTAD) werden die weltweiten ausländischen Direktinvestitionen im Jahr 2020 voraussichtlich zwischen 30 und 40 Prozent schrumpfen. Die Epidemie, die für diesen Rückgang verantwortlich ist, hat die wirtschaftlichen Aktivitäten zum Stillstand gebracht, zu Störungen in der globalen Lieferkette geführt und für Unsicherheit gesorgt. In einem solchen Umfeld mussten viele Unternehmen ihre Investitionsprojekte verschieben oder stornieren. Dennoch haben Unternehmen, die diese Krise als Chance betrachten und sich auf die Zeit nach der Epidemie vorbereiten, ihre Investitionen fortgesetzt.

Obwohl sich der Ausbruch international auf ausländische Direktinvestitionen nachteilig auswirkte, zog die Türkei in dieser Zeit weiterhin erhebliche Investitionen an.
Von Fintech-Unternehmen, der Gamingbranche, dem verarbeitenden Gewerbe bis hin zum Dienstleistungssektor – viele ausländische Investoren zeigen großes Interesse an türkischen Unternehmen. Entweder wollen sie die Unternehmen aufkaufen oder wollen sich an einem beteiligen.

Zum Beispiel hat der weltweit führende französischer Bergbaukonzern Imerys 60 Prozent der Anteile an der türkischen Haznedar Gruppe gesichert. Ebenso hat das Schweizer Unternehmen Firmenich – einer der weltweit führenden Parfümhersteller – in das türkische Unternehmen Gülçiçek investiert. Die österreichische Austria Post etwa hat seine Anteile an Aras Cargo in der Türkei von 25 Prozent auf 80 Prozent ausgedehnt. Auch das in Österreich ansässige Unternehmen Umdasch, eines der etablierten Regalunternehmen Europas, investierte jüngst in Madosan Shelf Systems.

Darüber hinaus haben wir in letzter Zeit sehr gute Nachrichten von Startups erhalten. Der Spieleentwickler Peak aus der Türkei wurde für einen Preis von 1,8 Milliarden Dollar vom US-amerikanischen Gaming-Riesen Zynga übernommen. Im vergangenen Monat investierte Zynga zudem in den türkischen Spieleentwickler Rollic und kaufte 80 Prozent seiner Aktien im Wert von 168 Millionen US-Dollar. Weitere erfolgreiche Beispiele sind das türkische Fintech-Unternehmen Payguru, das Webhosting-Unternehmen Natro und die Influencer-Marketing-Plattform Fango, die von internationalen Investoren gekauft wurden. Das deutsche Tourismusunternehmen Aerticket hat die auf B2B spezialisierte Flugticket-Plattform Biletbank gekauft. Ein weiteres Beispiel für eine Investition, ist die Beteiligung des deutschen Risikokapitalfonds Hirschvogel in Eatron.

Trotz der Pandemie investieren auch bestehende ausländische Unternehmen in der Türkei weiter. Zum Beispiel hat Hyundai Motor vor kurzem die Serienproduktion des i20-Modells aufgenommen. Damit soll 50 Prozent des weltweiten Bedarfs gedeckt werden.

In der Rangliste der Investoren: Welches Land führt die Spitze an – und welches Land investiert am wenigsten in der Türkei?

Die Türkei zieht Investitionen aus der ganzen Welt an. Die zehn Länder mit den größten Direktinvestitionsvolumen zwischen 2003 und 2020 sind die Niederlande, die USA, das Vereinigte Königreich, Österreich, Deutschland, Luxemburg, Spanien, Belgien, Frankreich und Aserbaidschan. In diesem Zusammenhang können wir sagen, dass europäische Länder, die USA und Aserbaidschan eine wichtige Quelle für ausländische Direktinvestitionen sind. Darüber hinaus ist es uns in den letzten Jahren gelungen, die Investitionsquellenländer erheblich zu diversifizieren. Im Rahmen unseres Ziels, Investitionen aus allen Regionen anzuziehen, arbeiten wir aktiv in Golfstaaten und asiatischen Ländern. Während der Direktinvestitionsanteil aus asiatischen Ländern in den letzten Jahren bei rund 10 Prozent lag, ist er in den letzten Jahren auf 25 bis 30 Prozent gestiegen. Wir erhalten mehr Investitionen aus Ländern wie Katar, Kuwait, Japan, Südkorea und China.

Welchen Stellenwert hat der Wirtschaftsstandort Türkei für Deutschland?

Die Türkei pflegt mit Deutschland tief verwurzelte wirtschaftliche und kulturelle Beziehungen. Deutschland ist vor allem der größte Handelspartner der Türkei und ebenso einer der größten Auslandsinvestoren. Heute sind in der Türkei fast 8.000 deutsche Unternehmen tätig. Die Zahlen zeigen deutlich, dass die Türkei ein äußerst wichtiges sowie attraktives Industrie- und Geschäftszentrum für deutsche Investoren ist.

Die Türkei bildet eine strategische Brücke zwischen Asien und Europa und hat eine Zollunion mit der EU. Deutsche Investoren nutzen diesen Zugang, um Märkte im Nahen Osten, in Nordafrika und Zentralasien zu erreichen. Sie sehen die Türkei als ein „Hub“ für den EU-Markt. Global Player wie Siemens, Mercedes und Bosch nutzen die Türkei als Produktions- und Exportbasis.

Darüber hinaus investieren erfolgreiche Klein- und Mittelunternehmen (KMU) weiterhin in der Türkei. Der strategische Standort Türkei hat eine Struktur, die entwickelt und diversifiziert ist und sie zu Deutschlands größtem globalen Wertschöpfungspartner gemacht hat. Zum Beispiel ist Hugo Boss‘ größte Bezugsquelle für Rohstoffe die Türkei. Die Rohstoffe und 23 Prozent der Gesamtproduktion stammen aus der Türkei. Allein in Izmir stellt Hugo Boss 12 Prozent ihrer Produkte her.

Doch deutsche Unternehmen nutzen die Türkei nicht nur als Produktionsbasis, sondern auch als Managementzentrum für die Verwaltung ihrer Aktivitäten in der Region. Zum Beispiel dient die Türkei als Zentrale für die Bosch Gruppe BSH für 89 Länder und Knauf für 80 Länder.

Die strategische Lage der Türkei hat während der Corona-Krise weiter an Bedeutung gewonnen. Die globale Wertschöpfungskette, die aufgrund der Epidemie ernsthafte Störungen aufweist, veranlasst viele Unternehmen, ihre globalen Lieferketten neu zu strukturieren und ihre Versorgungsnetze neu zu organisieren. Zu diesem Zeitpunkt bietet die Türkei erhebliche Chancen für deutsche Unternehmen. Sowohl die Nähe zur EU als auch die Nähe zu anderen Märkten verschafft der Türkei eine ideale zentrale Position. Andererseits sind die türkischen Fachkräfte dank ihrer technischen Ausbildung und den Anreizen zur Forschung und Entwicklung ein Plus für deutsche Unternehmen. Sie haben in der Türkei Forschungs- und Entwicklungszentren eröffnet und entwickeln dort erstklassige Produkte.

Können die Einbußen bis Ende 2020 wieder reingeholt werden?

Für internationale Direktinvestitionen ist die Prognose der wirtschaftlichen Entwicklung von großer Bedeutung. Unter den heutigen Bedingungen hat die pandemiebedingte Unsicherheit auch das Investitionsumfeld beeinträchtigt. Eine Besserung scheint nur mit einer Corona-Impfung oder -Behandlung möglich zu sein. Wenn wir gegen Ende des Jahres gute Nachrichten auf diesen Gebieten erhalten, könnte die Weltwirtschaft ¬– insbesondere die globalen Investitionen – in eine rasche Erholungsphase eintreten. Selbst optimistische Szenarien gehen davon aus, dass sich die negativen Auswirkungen der Epidemie bis 2021 erstrecken werden. Laut der Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung (UNCTAD) wird vorausgesagt, dass die globalen ausländischen Direktinvestitionen im Jahr 2021 um fünf bis zehn Prozent sinken werden.

In Anbetracht dieser Szenarien besteht unsere erste Priorität darin, den durch die Krise verursachten Schaden zu minimieren und dann die Vorteile, die sich im aktuellen Umfeld während der Krise ergeben haben, richtig zu nutzen. In diesem Zusammenhang handeln wir als Investment Office proaktiv im Einklang mit der Politik unserer Regierung und ergreifen die erforderlichen Maßnahmen. Wir setzen unsere Arbeit fort, indem wir unsere Strategien für die Chancen überarbeiten, die sich während und nach der Krise ergeben werden. Internationale Direktinvestitionen sind ein wichtiges wirtschaftliches Instrument, um die wirtschaftlichen Auswirkungen der Epidemie zu mildern. Die Investitionen erhöhen die Widerstandsfähigkeit der Volkswirtschaften, schaffen mehr und steigern die Produktion und Effizienz. Um von diesem Instrument möglichst effizient zu profitieren, werden wir weiterhin hart daran arbeiten, die Kontinuität der Aktivitäten bestehender Investoren sicherzustellen und die Realisierung der Projekte zu garantieren. Wir bemühen uns, Neuinvestitionen (Greenfield-Investitionen) in unser Land locken.



Vielen Dank für das Gespräch!


TRT Deutsch