Bundesagentur für Arbeit (dpa)
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Schwindende Tarifverträge, finanzielle Schwierigkeiten und besondere Konsumwünsche: Die Zahl der Menschen mit Nebenjob in Deutschland ist auf einen neuen Rekord gestiegen.

Ende Juni 2019 waren rund 3,54 Millionen Mehrfachbeschäftigte registriert, wie aus einer Antwort der Bundesagentur für Arbeit (BA) auf eine Anfrage der Linken im Bundestag hervorgeht. Mit fast drei Millionen Menschen haben die meisten davon neben einem regulären Job noch einen Minijob. Die Daten liegen der Deutschen Presse-Agentur in Berlin vor. Die „Neue Osnabrücker Zeitung„ berichtete zuerst darüber. Im Juni 2018 hatten noch rund 124 000 Menschen weniger einen Nebenjob. Der Anstieg beträgt 3,6 Prozent. Zehn Jahre zuvor waren es erst 2,33 Millionen Mehrfachbeschäftigte. Ihr Anteil an den Beschäftigten insgesamt stieg von damals 7,1 auf 9,2 Prozent. 2003 gingen erst 1,39 Millionen Menschen mehreren Jobs nach. Damals waren geringfügige Beschäftigungen im Zuge der Hartz-Reformen von Sozialversicherungspflicht und Einkommensteuer freigestellt worden. Mehr als 345 400 Menschen gingen im vergangenen Jahr zwei sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen nach. Dritthäufigste Variante war die Kombination von zwei oder mehr Minijobs. Dies galt für knapp 260 700 Fälle. Reaktionen „Der überwiegende Teil dürfte aus purer finanzieller Not mehr als einen Job haben und nicht freiwillig“, kritisierte die Linken-Abgeordnete Sabine Zimmermann, die die Anfrage gestellt hatte. Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) mahnte, nicht jede Form von Nebenbeschäftigung zu skandalisieren. „Aber es gibt Bereiche, da muss uns das mit Sorge umtreiben“, sagte Heil bei der Vorstellung eines neuen „Rats der Arbeitswelt“. „Tatsache ist: Wir haben nach wie vor in Deutschland einen sehr festen Sockel von Niedriglöhnen, und darüber müssen wir reden.“ Insgesamt arbeiteten laut Bundesagentur für Arbeit zuletzt 4,14 Millionen Menschen im unteren Lohnbereich, also landeten unter zwei Drittel des mittleren Einkommens, also weniger als 2203 Euro. Motivation Laut einer im vergangenen Jahr veröffentlichten Studie des Instituts WSI der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stifgung sind für 53 Prozent der Befragten finanzielle Schwierigkeiten ausschlaggebend gewesen, eine Nebentätigkeit aufzunehmen. 24 Prozent konnten keine Vollzeitstelle finden. Für 51 Prozent war die Erfüllung von besonderen Konsumwünschen entscheidend. Für 58 Prozent ist die Zusammenarbeit und Kommunikation mit anderen Menschen entscheidend gewesen. Knapp die Hälfte der Befragten hat eine Nebentätigkeit aufgenommen, um anderen Menschen helfen zu können. Weitere Motive: die Verwirklichung einer Leidenschaft und die Erweiterung beruflicher Perspektiven. Bei der Befragung waren mehrere Antworten möglich. Weitere Hintergründe Auch eine Studie, die das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) schon 2017 vorgelegt hatte, deutet darauf hin, dass viele Nebenjobber auf das Geld angewiesen sind. Demnach bekommen Nebenjobber in ihrer Hauptbeschäftigung im Schnitt etwa 570 Euro im Monat weniger als Menschen mit nur einem Job. Bei der Kombination einer sozialversicherungspflichtigen Stelle mit einem Minijob sind 28,5 Prozent der Zweitjobs in allgemeinen Dienstleistungsberufen. Abhilfe Zimmermann forderte die Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro, die Abschaffung von Niedriglohnbeschäftigung in Form der Leiharbeit und von sachgrundlosen Befristungen. Minijobs müssten in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung überführt werden. Heil wies darauf hin, dass Niedriglöhne auch daraus resultierten, dass immer weniger Arbeitsplätze an Tarifverträge gebunden seien. Im Jahr 2018 waren laut DGB zufolge nur noch 56 Prozent der Beschäftigten im Westen und 45 Prozent im Osten tarifgebunden.

dpa