Immer wieder gibt es Themen, auf die die Regierungen zurückgreifen, um bei der Bevölkerung Verunsicherungen hervorzurufen und die Wichtigkeit der existierenden Regierung zu betonen. Sowie jene Parteien, die in Österreich in Regierungsverantwortung stehen – allen voran die stimmenstärkste Kraft Österreichische Volkspartei (ÖVP). In ihrem politischen Diskurs ist das Stichwort in diesem Zusammenhang das „Kopftuch“.
Die Nationalratswahl vom 29. September 2024 machte die FPÖ mit 28,85 Prozent zur stärksten Kraft, gefolgt von ÖVP (26,27 Prozent), SPÖ (21,14 Prozent) und NEOS (9,1 Prozent). Mit rechtspopulistischen Parolen gegen Migration und „politischen Islam“ hatte sie vor allem Muslime ins Visier genommen. Bundespräsident Alexander Van der Bellen verweigerte FPÖ-Chef Herbert Kickl jedoch zunächst den Auftrag zur Regierungsbildung und beauftragte stattdessen ÖVP, SPÖ und NEOS, eine Koalition zu schmieden. Nach deren Scheitern und Nehammers Rücktritt erhielt Kickl Anfang Jänner 2025 den Auftrag, konnte sich jedoch nicht mit der ÖVP einigen. Erst ein dritter Versuch führte zum Erfolg: Am 3. März 2025 bildeten ÖVP, SPÖ und NEOS unter Christian Stocker eine neue Regierung.
„Legalisierte“ Symbolpolitik
Im Regierungsprogramm 2025–2029 war deutlich, dass ausschließlich das Kopftuch als religiöses Symbol politisch problematisiert und gezielt zum Gegenstand restriktiver Maßnahmen gemacht wird: „Es werden weitere Maßnahmen für die Stärkung der Selbstbestimmung für Mädchen und die Einbeziehung der Burschenarbeit gesetzt. Ehrkulturelle Entwicklungen, wie das Tragen eines Kopftuches von Kindern, lehnen wir ab. Zum Schutz vor Segregation und Unterdrückung von unmündigen minderjährigen Mädchen wird ein verfassungskonformes gesetzliches Kopftuchverbot erarbeitet.ˮ
Kurz nach der Regierungsbildung wurde von der Ministerin für Europa, Integration und Familie, Claudia Plakolm erklärt, dass man „durch ein Kopftuchverbot muslimische Mädchen unter 14 Jahre schützen wolle.ˮ Auf die Frage, wie viele Mädchen das Kopftuch nicht freiwillig tragen, konnte in der ZIB2 von der Ministerin keine Zahl genannt werden. Zudem wurde in dem am 20. Juli veröffentlichten Video von Frau Plakolm die Aussage getätigt, dass das Kopftuch ein Ausdruck „extremistischer Tendenzen“ und ein Zeichen der Unterdrückung sei.
Am 10. September 2025 wurde das Gesetz für ein Kopftuchverbot für alle Mädchen unter 14 Jahren in Begutachtung geschickt. Geplant ist, dass das Gesetz durch eine Änderung des Schulunterrichts- und des Privatschulgesetzes im Sommersemester 2026 in Kraft gesetzt wird.
Anzumerken ist hier, dass auch die liberale Seite, die im Jahre 2019 dieses Verbot stark kritisiert hatte, diesem nun zugestimmt hat.
Vom Schutz der Rechte zur Begrenzung der Freiheiten: Muslime in Österreich
Während das Islamgesetz von 1912 und die darauf basierende Religionspolitik den Muslimen in Österreich lange Zeit ein Gefühl der Zugehörigkeit vermittelt hatten, wurde dies mit den Novellierungen von 2015 ernsthaft in Frage gestellt.
Dann kamen die Maßnahmen, welche direkt die muslimischen Frauen zur Zielscheibe machten. Im Jahre 2017 trat zunächst das Anti-Gesichtsverhüllungsgesetz in Kraft, das Burka und Niqab im öffentlichen Raum untersagte. Bereits 2018 folgte unter der damaligen ÖVP-FPÖ-Regierung ein Kopftuchverbot in Kindergärten, ein Jahr später wurde es auf Volksschulen ausgeweitet.
Der österreichische Verfassungsgerichtshof (VfGH) hob das Kopftuchverbot im Jahre 2020 auf und betonte, dass die gezielte Beschränkung auf muslimische Mädchen gegen die Verpflichtung des Staates zur religiösen Neutralität und einen klaren Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz ist. Das neue Gesetzesentwurf schließt – wie das vorige – ebenfalls Kippa und Patka aus, oder?
Der eingebrachte Gesetzesentwurf ist nicht nur eine rechtlich unbegründete Zwangsmaßnahme, sondern auch eine Fortsetzung der FPÖ-Politik, welche die sozialen Spaltungen vertiefen wird.
Ist die Tatsache, dass dieses rechtlich widerlegte Verbot erneut auf die Tagesordnung gesetzt wird, nicht der aktuellste Beweis dafür, dass man versucht, die Diversität, die jahrzehntelang in Österreich gelebt wurde, einzuschränken und in Frage zu stellen?
Vom Populismus zur Politik: Integration unter Generalverdacht
Wenn seitens der Regierung Integrationspolitik nicht dazu genutzt wird, den Pluralismus in der Gesellschaft zu fördern, sondern um diskriminierende Regelungen zu legitimieren, die insbesondere Muslime betreffen, besteht die eigentliche Gefahr darin, dass die offen ausgrenzenden Äußerungen der FPÖ durch die Regierungsparteien zur staatlichen Politik werden und unter dem Deckmantel der „Integration“ institutionalisiert werden.
Eigentlich war es die FPÖ, die ab den 2010er Jahren den rechtspopulistischen Diskurs mit Themen wie Migrations-, Integrations- und Sicherheitsprobleme der Muslime in Österreich thematisierte. Doch dieses Mal war es die ÖVP, die - ohne die FPÖ - den politischen Islam in den Vordergrund rückte – ja sogar von der rechtsextremen Position in die Mitte verlagert hat, welche zugunsten der FPÖ ist: Denn die aktuellen Umfragen der APA zeigen, dass die FPÖ seit den letzten Wahlen um 6,1 Prozent zugelegt hat und bei 35 Prozent liegt. Bei ÖVP liegen die Werte bei 21,5 Prozent (-4,8 Prozent). Wird es der ÖVP mit diesem Kurs, statt die Integrationsarbeit in Österreich zu fördern, nicht vielmehr gelingen, die FPÖ zu stärken und zugleich gesellschaftliche Spaltungen zu vertiefen?
Basieren die Änderungen seit 2015 und weitere Vorhaben nicht auf dem Ansatz eines Generalverdachts, der Muslime von anderen Religionsgemeinschaften abgrenzt und sie als potenzielle Bedrohung erscheinen lässt? Spiegelte das bereits 2019 erlassene Kopftuchverbot nicht genau diese Perspektive wider? Heißt Gleichberechtigung jetzt Überwachung? Ist es nicht dasselbe, wenn Frauen vorgeschrieben wird, was sie am Kopf zu tragen haben oder was sie nicht zu tragen haben? Ist nicht beides Zwang? Kann Zwang zu einer friedvollen Lösung führen? Man könnte noch viele solcher Fragen stellen – doch vielleicht ist die Lösung, wie Martha Bissmann es am 15. Mai 2019 im Parlament formulierte, viel einfacher: „Reden wir einmal mit den muslimischen Frauen, anstatt immer über sie zu reden!“



















