Mord und Folter durch das Assad-Regime: Urteil am Mittwoch erwartet
Das Oberlandesgericht Koblenz wird am Mittwoch ein Urteil im weltweit ersten Prozess um Mord und Folter durch das Assad-Regime verkünden. Dem Mitangeklagten Eyad A. wird Beihilfe zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen.
Archivbild: 23.04.2020, Rheinland-Pfalz, Koblenz: Die beiden Angeklagten Anwar R. (57, l) und Eyad A. (43, r) sitzen auf der Anklagebank des Oberlandesgerichts hinter Corona-Schutzscheiben. Ihnen wird die Beteiligung an syrischer Staatsfolter vorgeworfen. (DPA)

Syrische Flüchtlinge und die arabischsprachige Welt schauen am Mittwoch auf Koblenz in Rheinland-Pfalz: Im weltweit ersten Prozess um Mord und Folter durch den syrischen Staat will das Oberlandesgericht (OLG) an diesem Tag das erste Urteil verkünden. Die Bundesanwaltschaft wirft dem Mitangeklagten Eyad A. Beihilfe zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor. Der Strafsenat entschied am vergangenen Mittwoch, den Prozess gegen A. und den Hauptangeklagten Anwar R. aufzuspalten. Gegen R. wird voraussichtlich bis zum Herbst weiter verhandelt.

Laut Anklage sollen A. und R. dem syrischen Geheimdienst von Machthaber Baschar al-Assad angehört haben. A. soll Mitarbeiter einer Unterabteilung gewesen sein und den Transport von 30 festgenommenen Demonstranten begleitet haben, die bereits auf der Fahrt zum Gefängnis geschlagen worden sein sollen. Nach Überzeugung der Anklage wusste A. bei der Festnahme der Menschen von der systematischen Folter in dem Gefängnis.

Die Bundesanwaltschaft forderte in ihrem Plädoyer fünfeinhalb Jahre Haft, seine Verteidigung einen Freispruch. A.s Anwälte argumentierten laut einer Gerichtssprecherin mit einem „entschuldigenden Notstand“. Die Vorbereitung seiner Ausreise aus Syrien habe Zeit in Anspruch genommen. Bei einer Desertion hätte ihm nach Ansicht seiner Anwälte eine Hinrichtung gedroht.

Verhandlungen gegen Hauptangeklagten R. bis Ende Oktober

R. steht wegen 58-fachen Mordes sowie Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor Gericht. Nach Überzeugung der Anklage war er der militärische Vorgesetzte des berüchtigten Al-Khatib-Gefängnisses in Damaskus. Unter seiner Befehlsgewalt sollen zwischen April 2011 und September 2012 mindestens 4000 Häftlinge während ihrer Inhaftierung mit Schlägen, Tritten und Elektroschocks gefoltert worden sein. Gegen ihn sind noch Verhandlungstermine bis Ende Oktober angesetzt.

Der Prozess gegen die beiden Männer begann im April - aufgrund der Corona-Pandemie unter höheren Sicherheitsvorkehrungen als üblich. Ins Rollen kam der Fall, nachdem nach Deutschland geflüchtete Opfer ihre mutmaßlichen Peiniger wiedererkannt hatten. Sie berichteten im Prozess detailliert davon, wie sie im Al-Khatib-Gefängnis gefoltert worden waren.

Dass der Prozess in Deutschland stattfindet, liegt am Weltrechtsprinzip im Völkerstrafrecht. Demnach dürfen auch Taten verhandelt werden, die keinen unmittelbaren Bezug zu Deutschland haben. Die beiden Angeklagten wurden im rheinland-pfälzischen Zweibrücken und in Berlin festgenommen.

Menschenrechtler begrüßen den Prozess

Menschenrechtsaktivisten sehen den Prozess als ersten Schritt in die richtige Richtung, auch wenn eine vollständige Gerechtigkeit für die erlittene Folter durch die Assad-Regierung nicht erreicht werden könne. „Deutschland hat den Weg zur Gerechtigkeit geöffnet“, sagte die syrische Anwältin Joumana Seif. Vor allem für syrische Flüchtlinge in Deutschland sei der Prozess von großer Bedeutung. „Zum ersten Mal werden die Opfer gehört.“

Anwalt Patrick Kroker, der in dem Prozess sieben Nebenkläger vertritt, sprach von einer „überwältigenden Anzahl an Beweisen“ gegen beide Angeklagte. Es sei großes Glück, dass es Überlebende gebe, die in den Zeugenstand treten. Jeder dieser Zeugen sei „extrem glaubwürdig“.
Die Menschenrechtsorganisation European Centre for Constitutional and Human Rights (ECCHR) warf dem OLG derweil Ignoranz gegenüber der arabischsprachigen Welt vor. „Es scheint, als wären die Zuschauer störend für das Gericht“, sagte Kroker dazu. Erst rund vier Monate nach Verhandlungsbeginn war arabischsprachigen Prozessbeobachtern eine Simultanübersetzung über Kopfhörer angeboten worden - nach einer einstweiligen Anordnung durch das Bundesverfassungsgericht.

Das Verfahren zeige auch eine Ambivalenz, sagte ECCHR-Gründer Wolfgang Kaleck. Irgendwo müsse damit angefangen werden, die Verbrechen aufzuklären. Auf der anderen Seite trete jedoch die hinter den Angeklagten stehende Struktur zurück. Der Fall sei nur ein Teil einer viel größeren Maschinerie.

AFP