Die Türkei schafft, was der Westen nicht schafft: Diplomatie
Die Türkei gilt neben Israel als wichtiger Vermittler zwischen Russland und der Ukraine. Der Westen zeigt unterdessen diplomatische Handlungsunfähigkeit und gießt im Konflikt noch zusätzlich Öl ins Feuer.
Recep Tayyip Erdoğan besuchte am 3. Februar Kiew. (Reuters)

Am Sonntag teilte der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan dem russischen Präsidenten Vladimir Putin in einem Telefongespräch mit, der Krieg zwischen der Ukraine und Russland müsse diplomatisch gelöst werden, bevor der Konflikt weiter zu eskalieren droht. Der Westen begrüßt die Bemühungen der Türkei, die Vermittlerrolle zu übernehmen. Jedoch sieht man vom Westen außer unüberlegten Sanktionen gegen Russland keine Bemühungen, eine beiderseitige Lösung zu finden.

Westen verhängt Sanktionen gegen Russland

Nach Ausbruch des Krieges zeigte der Westen eine ganz klare Reaktion gegen den Kreml. Der Ausschluss Russlands aus dem SWIFT-System, der Rückzug mehrerer westlicher Firmen aus Russland, der Abbruch des Nord Stream 2 Projekts und weitere Sanktionen wurden mit sofortiger Wirkung umgesetzt. Auf der anderen Seite sicherte der Westen der Ukraine Waffenlieferungen zu, die Ukraine wurde als Beitrittskandidat anerkannt, ukrainische Flüchtlinge wurden vom Westen mit offenen Armen empfangen und weitere Unterstützung sagte der Westen der Ukraine zumindest mündlich zu.

Die Reaktion des Westens war natürlich vorhersehbar, und die Art der Reaktion scheint auf den ersten Blick auch nachvollziehbar. Aber sind diese aufgezählten Entscheidungen des Westens auch förderlich für eine diplomatische Lösung zwischen den beiden Konfliktparteien? Nun, in der internationalen Politik sollte immer hinterfragt werden, warum ein Akteur eine Entscheidung aus welchem Grund trifft. Russland hatte vor seiner Invasion mehrmals deutlich gemacht, die NATO-Expansion gefährde die Sicherheit Russlands. Trotz dieser deutlichen Ansagen pochte der Westen immer wieder darauf, die Ukraine in die NATO aufzunehmen.

Eine kurze Exkursion: Der renommierte amerikanische Professor für Internationale Beziehungen John J. Mearsheimer machte schon 2015 bei seinem Vortrag an der University of Chicago deutlich, dass der jetzige Zustand der Ukraine die Schuld des Westens ist. Zusammenfassend argumentiert Mearsheimer, die Ukraine sei als neutraler Staat für den Westen viel nützlicher als eine Ukraine, die entweder über NATO oder EU ein westlicher Staat werde oder wie Belarus ein Land, das von einer Person regiert wird, die zu hundert Prozent loyal gegenüber dem Kreml ist. Es sei für die Beziehungen zwischen dem Westen und Russland am besten, wenn die Ukraine ein Pufferstaat zwischen den beiden Seiten sei. Mearsheimer stellt in seinem Vortrag eine ganz einfache Gegenfrage, um die Handlungen Russlands besser nachzuvollziehen: Was würden die USA tun, wenn Russland sich darum bemühen würde, Kanada und Mexiko in seine Sicherheitspolitik einzubinden? Was würde Washington tun, wenn Russland dort planen würde, russische Militärstützpunkte zu errichten und russische Soldaten zu stationieren? Die Antwort erübrigt sich wohl an dieser Stelle.

Israel auf Balancepolitik bedacht

Auf der anderen Seite sieht man allen voran die Türkei und Israel als internationale Akteure, die für eine diplomatische Lösung zwischen den beiden Konfliktparteien werben. Statt Sanktionen werden Gespräche angeordnet, um auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen. Der israelische Premierminister Naftali Bennett hat Putin persönlich in Moskau besucht und ein dreistündiges Gespräch über den Konflikt geführt. Details des Gesprächs wurden nicht bekanntgegeben. Der israelische Präsident hatte zuvor das Blutvergießen in der Ukraine verurteilt, Russland jedoch nicht als verantwortliche Seite aufgezeigt. Im Westen sorgte dieses Verhalten Israels für viele Fragezeichen. Warum bekennt sich Israel nicht klar zur Ukraine?

Auch Israel hat, wie jedes andere Land, in der internationalen Politik bestimmte Interessen. Vor allem für Israels Sicherheitsinteressen in Syrien ist Russland ein fast schon unverzichtbarer Partner. Auf der anderen Seite möchte Israel seine Beziehungen zum Westen weiter stabil halten. Deswegen versucht Israel, einen Mittelweg zu finden, um nicht beide Beziehungen zu belasten. An die Ukraine werden deswegen keine israelischen Waffen geliefert, sondern „nur“ humanitäre Hilfe geleistet. Diese Balancepolitik hängt auch mit der gesellschaftlichen Zusammensetzung Israels zusammen. Dort leben ca. eine Million Einwanderer aus der früheren Sowjetunion; die meisten Einwanderer kommen aus Russland und der Ukraine. Bennett sprach sogar davon, dass 200.000 Ukrainer das Recht auf eine israelische Staatsbürgerschaft hätten. Die außen- und innenpolitische Situation verleitet Israel dazu, in diesem Konflikt dementsprechend zu handeln.

Türkei bemüht sich um diplomatische Lösung

Neben Israel ist die Türkei ein sehr wichtiger Akteur im Krieg zwischen der Ukraine und Russland. Die Türkei hat sich mit der Lieferung von Bayraktar-Drohnen im Vorfeld das Vertrauen der ukrainischen Regierung gesichert. Aktuell sind die Bayraktar-Drohnen für die Ukraine von strategisch wichtiger Bedeutung, um russische Truppen zurückzuschlagen. Des Weiteren hat die Türkei die Bosporus-Meerenge gesperrt, damit russische Kriegsschiffe nicht hindurchfahren können. Während der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj die fehlende westliche Unterstützung bemängelt, betonte er des Öfteren die Unterstützung der Türkei für die ukrainische Bevölkerung und die Bemühung Erdoğans um eine diplomatische Lösung.

Aber was berechtigt die Türkei zur Vermittlerrolle in diesem Konflikt, wenn sie doch augenscheinlich klar hinter der Ukraine steht? Die Türkei hat sich nicht an der westlichen Sanktionswelle beteiligt und ihre direkten Beziehungen zu Moskau nicht belastet. Die türkisch-russischen Beziehungen beruhen auf Pragmatismus und Rationalismus, nicht auf emotionalem Handeln, das zu unüberlegten Konsequenzen führen könnte. Auch wenn sich die Türkei und Russland in vielen Fragen, etwa Syrien und Libyen, gegenüberstehen, herrscht keine Krisenstimmung zwischen Erdoğan und Putin. Ganz im Gegenteil: Da beide Seiten rationale Akteure in der internationalen Politik sind, können sie ihre Zusammenarbeit fortsetzen, auch wenn sie sich andernorts gegenüberstehen. Außerdem sind die Beziehungen zu Russland von großer Bedeutung für die Türkei, insbesondere wegen der Tourismusbranche, den türkisch-russischen Handelsbeziehungen und nicht zuletzt Russland als wichtigem Energielieferant für die Türkei.

Es ist kein Zufall, dass die Türkei gemeinsam mit Kanada, Großbritannien und der Ukraine Gespräche führt, um eine diplomatische Lösung zu finden. Es ist kein Zufall, dass Erdoğan trotz seiner Unterstützung der Ukraine ein einstündiges Gespräch mit Putin führen kann, um Pläne vorzubereiten für die Beilegung des Konflikts. Es ist kein Zufall, dass sich die Außenminister der Ukraine und Russland bereit erklärt haben, auf dem Antalya Diplomacy Forum zusammenzukommen und über eine beiderseitige Lösung zu sprechen. All diese Ereignisse zeigen, dass die Türkei für ihre exzellente und wohlüberlegte Außenpolitik eine Schlüsselfigur für eine diplomatische Lösung zwischen Russland und der Ukraine ist. Der Ukraine-Russland-Krieg ist als Wendepunkt für die globale Politik zu sehen. Die Rolle der Türkei könnte nach diesem Ereignis sehr viel größere Bedeutung haben.

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