Deutsch-russische Beziehungen: Keine Aussicht auf Verbesserung
Lange blieben Deutschland und Russland enge Wirtschaftspartner. Doch dann war Angela Merkel als Stimme Europas 2014 gezwungen, Sanktionen zu verhängen. Die Proteste in Belarus und der Fall Nawalny schaffen neue Trennlinien.
29. Juni 2019, Japan, Osaka: Bundeskanzlerin Angela Merkel spricht mit russischem Präsidenten Wladimir Putin während des G20-Gipfels. (DPA)

Einst gute Freunde und gute Partner

Deutschland verdankt seine heutigen Grenzen Russland. Ohne Michail Gorbatschows Ja wäre die Vereinigung von BRD und DDR unmöglich gewesen. Die postsowjetische Geschichte der deutsch-russischen Beziehungen ist von einer starken Partnerschaft geprägt. Wladimir Putins enger Freund Gerhard Schröder wurde neben Silvio Berlusconi zum Vermittler russischer Interessen in Europa. Die deutsch-russische Freundschaft basierte auf geschäftlichen Interessen. Der deutsche Bundeskanzler setzte sich für den Bau von Nord Stream 1 ein und verlieh dem Aufbau der zweiten Reihe der Gaspipeline durch die Ostsee den nötigen Schwung. Der Höhepunkt des Bündnisses war der gemeinsame Protest gegen die US-Intervention im Irak im Jahr 2003. Natürlich waren die innenpolitischen Fragen in Russland für die deutsche Öffentlichkeit nach wie vor von Belang. So wurde Putin auch wegen der Militäroperation in Tschetschenien kritisiert. Dennoch konnten diese Widersprüche die bilaterale Partnerschaft nicht zerstören.

Unter Angela Merkel ist die deutsche Außenpolitik „transatlantischer“ geworden. Ihre persönliche Beziehung zu Putin wurden nicht durch eine Freundschaft geprägt wie dies bei Schröder der Fall war, obwohl der russische Präsident fließend Deutsch spricht und die Kanzlerin Russischkenntnisse hat. Einigen Bundestagsabgeordneten zufolge erinnere sich Merkel immer noch an den Vorfall von 2007, als Putin zum Treffen mit der Kanzlerin mit seinem Labrador erschien.

Trotz dieser Konstellationen schien die Partnerschaft Deutschlands mit Russland unter Merkel vorerst unerschütterlich. Selbst der Krieg in Südossetien in 2008 konnte ihn nicht verderben. Die geopolitischen Interessen Moskaus und Berlins kollidieren nirgendwo auf der Welt. Was die Erweiterung der NATO und der EU anbetrifft, so wurden diese Prozesse im Kreml eher als Tricks der angelsächsischen Politik wahrgenommen.

Krim als politischer Wendepunkt

Am 18. März 2014 änderte sich alles über Nacht. Konnten die bisherigen Konflikte zwischen Russland und Deutschland irgendwie ignoriert werden, so wurde der Grenzwechsel in Osteuropa für Angela Merkel zu einer „roten Linie“. Als wirtschaftliches und politisches Zentrum der EU und im Mangel anderer politischen Gewichtungen war sie gezwungen, die gesamteuropäische Reaktion auf die Krim-Ereignisse zum Ausdruck zu bringen.

Im Gegensatz zum Südossetien-Krieg reagierte Merkel diesmal kompromisslos. Zusammen mit 27 EU-Mitgliedstaaten verhängte Deutschland Sanktionen gegen Russland wegen der „Krim-Annexion“ und der Lage im Donbass. Die EU beschränkte den Zugang der größten russischen Banken und Unternehmen zum europäischen Finanzmarkt und untersagte russischen Rüstungs- und Ölunternehmen den Technologie- und Ausrüstungstransfer.

Russland beschränkte daraufhin den Import von Agrarprodukten aus Europa. Die Treffen zwischen Putin und Merkel wurden spürbar seltener und fanden ausschließlich im Rahmen der „Normandie-Gruppe“ und G-20-Gipfeln statt. Russland wurde von den G8 ausgeschlossen, die jährlichen EU-Russland-Gipfeltreffen wurden abgesagt.

Der ukrainische Konflikt war die erste und wichtigste Prüfung der Stärke der deutsch-russischen Beziehungen, die Putin und Merkel nicht bestehen konnten. Wenn jedoch der Bau von Nord Stream 2 berücksichtigt wird, kann man sagen: Merkel konnte trotzdessen die Rationalität aufrechterhalten. Darüber hinaus gelang es der EU – dank der Bemühungen Deutschlands – einen Dialog zwischen Kiew und Moskau aufzubauen. Die „Steinmeier-Formel“ wird als unbestrittener Weg zur politischen Beilegung des Konflikts in der Ostukraine wahrgenommen.

Trump als Chance für Annährung

Mit der Machtübernahme von Donald Trump im Oval Office änderten sich die Rahmenbedingungen. Der amerikanische Präsident zog sich aus dem Pariser Klimaabkommen, dem iranischen Atom-Deal und erkannte Jerusalem als Hauptstadt Israels an. Im Dezember 2019 führte er die US-Sanktionen gegen Nord Stream 2 ein.Damit stellte er nicht nur die Vollendung des Projekts in Frage, sondern auch die Chancen Deutschlands, ein zentraler Gashub in Europa zu werden. Ein halbes Jahr später bestrafte Trump Merkel das zweite Mal – er zog die US-Truppen aus Deutschland ab.

Die Spaltung in der NATO förderte die Annäherung zwischen Russland und Deutschland. Merkel und Putin begannen, häufiger zu kommunizieren. Bundeskanzlerin besuchte ein einige Mal Sotschi. In fast allen mit Washington umstrittenen Fragen stimmten die Positionen Berlins und Moskaus überein. Beide Länder verurteilten Trumps einseitige „Geschenke“ an Netanjahu und verurteilten die Iran-Sanktionen. Die Bundeskanzlerin verurteilte die US-Sanktionen gegen das Nord Stream 2-Projekt.

Moskau und Berlin versuchten, die Bemühungen zur Wiederherstellung des Friedens auch an anderen Brennpunkten zu koordinieren. Der Kanzler und Präsident trafen sich zusammen mit Macron und Erdoğan im Oktober 2018 in Istanbul, um eine syrische Einigung zu erörtern. Im Januar 2020 auf der Berliner Konferenz suchten sie nach Wegen für einen Waffenstillstand im libyschen Bürgerkrieg. All diese Anknüpfungspunkte trugen zur Wiederherstellung der deutsch-russischen Partnerschaft bei.

Wenn es keine Ukraine gäbe, hätte die Kluft zwischen den beiden Atlantikküsten möglicherweise zur Bildung einer Kontinentalunion geführt, von der der deutsche Geopolitiker Karl Haushofer geträumt hatte. Die Ereignisse des Jahres 2014 sind jedoch fest in den Köpfen der deutschen politischen Elite verankert. In fast jeder Rede zum Thema „Russland“ wiederholt Merkel, dass man für den Abzug der Sanktionen und die Rückkehr von Russland zu den G8-Staaten die Probleme von Krim und Donbass lösen muss, was in der Tat die Übergabe der zwei Gebieten an die Ukraine hieße.

Vorbehalte undVerschwörungstheorien

Die Verhandlungen über die Ukraine haben noch keine großen Ergebnisse geliefert, wurden aber fortgesetzt. Unter Volodymyr Zelensky kam es zu einigen Fortschritten. So etwa zum Austausch der Kriegsgefangenen und zum Truppenabzug in zwei Kontaktlinien in Donbass. Doch solange die Krim Teil Russlands bleibt und Donbass nicht unter ukrainischer Kontrolle steht, ist es unwahrscheinlich, dass Merkel und Putin Freunde werden.

In Russland gibt es eine Verschwörungstheorie: Die Haltung Merkels in dem Ukraine-Konflikt sei mit der Präsenz von US-Truppen in Deutschland und sogar dem „Abhören“ der Kanzlerin durch die CIA zu erklären.

Auf der anderen Seite verstehen deutsche Experten nicht, warum der postsowjetische Raum nicht „demokratisiert“ werden darf. Diese widersprüchlichen Denkweisen könnten neue Spannungspunkte für die deutsch-russischen Beziehungen schaffen. Weißrussland könnte zum nächsten Test werden.

Merkel und Macron unterstützen die weißrussische Opposition voll und ganz und sehen in ihr die Hoffnung, die Demokratie in einer anderen autoritären Republik auszubauen. Sie fordern Russland auf, sich nicht einzumischen, und bereiten Sanktionen gegen Minsk vor. Putin unterstützt derweil seinen Verbündeten. Er hat bereits Lukaschenko deutlich gemacht, dass das Verhalten der EU eine Einmischung in innere Angelegenheiten eines souveränen Staates darstelle.

Ein zusätzliches Hindernis für die russisch-deutschen Beziehungen könnte die aktive Reaktion Berlins auf die innenpolitischen Prozesse in Russland sein: Deutsche Medien haben den Fall Nawalny auf die Liste politischer Attentate gesetzt.

Unter Berücksichtigung all dieser Faktoren kann man schlussfolgern, dass es noch keine Aussicht auf Verbesserung der deutsch-russischen Beziehungen gibt. Das Verhältnis bleibt belastet.

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