„Wir können durch die Kontrolle unserer Gedanken und Emotionen einen ausgewogenen Gehirnzustand herstellen“, sagt Eveline Goodman, Gründerin des Neurofeedback Zentrums Grunewald (NFZ) bei Berlin. In den letzten Jahren hat sich Goodman intensiv damit befasst, die menschliche Gehirnresonanz zu visualisieren. Dabei geht sie vor allem der Frage nach: Wie lassen sich unsere Gehirnwellen synchronisieren, beruhigen und harmonisieren?
Schon seit den 50er Jahren werden Erkenntnisse auf diesem Gebiet durch die Biofeedback-Methode zur erfolgreichen Behandlung von zahlreichen Problemen wie ADHS, Depressionen, Angst, Schlaflosigkeit, Sucht, fehlender Stress-Resilienz oder Autismus erfolgreich eingesetzt – als Alternative zu Coaching und Therapie. Die Messung und Echtzeit-Darstellung von Gehirnströmen (EEG) bildet dabei die Grundlage. Über weiterentwickelte EEG-Sensoren werden Gehirnwellen mit spezieller Software auf herkömmlichen Computern oder Tablets in Echtzeit angezeigt und interpretiert.
In Zukunft könnte die ungefährliche, weil medikamentenfreie Methode, breiter eingesetzt werden und sich einen festen Platz im Alltag von Menschen unterschiedlichster Altersgruppen sichern wird – zum „Herunterkommen“ und „Batterie-Aufladen“ nach einem stressigen Tag in Uni, Schule oder Büro sowie zur Unterstützung medizinischer Therapien, meint Goodman.
Parallel zum Beginn der COVID-Krise gründete sie 2020 das Neurofeedback-Zentrum Grunewald und behandelt dort vielfältige Symptome – von ADHS über Autismus, Angststörungen und allgemeinen Stress bis hin zu Traumata: Im Interview mit TRT Deutsch erzählt sie, wie sie zu ihrem ungewöhnlichen Business gekommen ist – und wem sie damit hilft.
TRT Deutsch: Frau Goodman, wie sind Sie zum Neurofeedback gekommen?
Goodman: Ich habe Bio- und Neurofeedback jahrelang in meinen Schulungen angewendet. Vor der Pandemie im asiatisch-pazifischen Raum – damals noch mit Büro in Shanghai. Dort sah ich, dass Asiaten vor allem durch den übermäßigen Multimedia-Gebrauch gestresst sind. Europäer dagegen eher davon, ihre Freizeit zu organisieren. Je nach Kontinent sind unterschiedliche Stressoren dominanter.
TRT Deutsch: Wie geht man heute am besten mit Stress um?
Goodman: Stress ist unvermeidlicher Teil unseres Lebens. Wissenschaftlich gesehen benötigt der Mensch den „Eustress“ sogar. Ohne diesen werden wir depressiv und verlieren unser Gefühl von Nützlichkeit. Die Neurofeedback-Trainingsmethode „Neuro-Upskilling“ habe ich entwickelt, um Menschen ohne Medikamente zu helfen, ihr Gehirn zu trainieren und ihnen zu zeigen, dass unser Wohlbefinden weitaus weniger von äußeren Umständen abhängt, als wir meinen. Wir können uns selbst versorgen.
TRT Deutsch: Wenden Sie Neurofeedback auch bei sich selbst an?
Goodman: Ja, das tue ich. Einmal pro Woche oder öfter. Es hat mir bei meiner Schlafstörung geholfen, als ich vor 2020 um die Welt gereist bin. Wenn ich Kunden mit der Neurofeedback-Trainingsmethode trainierte, kommen diese im Schnitt für mindestens 20 Sitzungen, ein bis zwei Mal pro Woche. Viele unsere Kunden sind Kinder mit Konzentrationsproblemen und Impulsivität, aber auch Erwachsene, die gestresst sind oder Schlafstörungen haben.
TRT Deutsch: Was machen Sie beim Neurofeedback-Gehirntraining im NFZ Grunewald genau?
Goodman: Was wir machen, ist etwas ganz Neues, das ich auch patentieren lasse. Wir kombinieren bestimmte körperliche und mentale Übungen mit Neurofeedback. Dazu verkabeln wir Menschen mit EEG-Gerät und Elektroden. Der Kunde legt sich beispielsweise hin oder bewegt sich auf motorischen Geräten wie einem Shaker oder der Schumann 3D Platte. Auf einem Bildschirm kann er die eigenen Gehirnaktivitäten während der Übungen 1:1 live mitverfolgen.
TRT Deutsch: Was passiert, wenn Menschen ihre eigene Gehirnaktivität beobachten? Fangen Sie an, ihr Gehirn anders zu benutzen?
Goodman: Tatsächlich macht das einen großen Unterschied. Zuerst haben viele Angst davor, verkabelt zu sein. Nachdem sie jedoch ihre Gehirnaktivität auf dem Bildschirm sehen, erkennen sie, dass bereits einfache Atemübungen ihre Gehirnwellen verändern. Sie entdecken, dass sie durch die Kontrolle ihrer Gedanken und Emotionen mit den Übungselementen einen ausgewogenen Gehirnzustand herstellen können.
TRT Deutsch: Bekommt das Gehirn auch Signale?
Goodman: Grundsätzlich zeichnen wir erst einmal nur das Neurofeedback des Gehirns auf. Meditiert eine Person beispielsweise, sehen wir seine unmittelbare Resonanz in Echtzeit am Computer. Etliche Programme sind z.B. rein auf Akustik und Sound ausgelegt: jede Gehirnwelle wird als Ton oder Musik ausgespielt. Je nachdem, ob man an seinen Vater oder die Arbeit denkt, kommt andere Musik. Andere setzen optische Reize ein. Die Leute experimentieren und das Gehirn lernt durch die auditive oder visuelle Verarbeitung. Es gibt aber auch Programme, bei denen das Gehirn aktive Signale und Impulse erhält - je nach Zielsetzung.
TRT Deutsch: Welche Neurofeedback-Programme haben sich bewährt?
Goodman: Bei Neurofeedback gibt es kein „one size fits all“. Man muss wissen, welches Programm zu welchem Fall passt. Neurofeedback mit Impulsen an das Gehirn macht z.B. Sinn bei Schlafproblemen oder der posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS). Bei PTBS führen wir beispielsweise SMR- und Alfa-Training sowie Theta-Beta-Training durch. Nach einigen Sitzungen folgt Frequenzbandtraining. Bei Schlafstörungen verwenden wir Theta-Beta-Training und Alfa-Training mit Frequenzband.
Menschen mit ADHS/S wiederum erhalten sensomotorisches Resonanztraining (SMR) und Alfa-Training zuerst. Es gibt somit kein Konzept, das für alle passt. Wir entscheiden individuell, was am besten hilft. Genauso wichtig wie das Neurofeedback selbst ist aber auch die richtige Vorbereitung auf die Sitzung.
TRT Deutsch: Wie bereitet man sich auf ein Neurofeedback-Training vor?
Goodman: Das können kognitive oder körperliche Übungen sein. Es beginnt bereits bei der Physiologie: Sind Menschen besonders gestresst, haben Rückenbeschwerden oder andere Probleme, brauchen sie erst einmal eine gute Viertelstunde zum Runterkommen. Durch Zuführen von nährenden Lebensmitteln wie Nüssen, Mangos, Goji-Beeren und gesundem Tee „primen“ wir das Gehirn, damit es die Anstrengung als positive Erfahrung verbucht.
TRT Deutsch: Was hat es mit dem Theta-Beta-Training auf sich?
Goodman: Diese Methode eignet sich für Autismus, Angststörungen und zur Unterstützung der Traumatherapie. Man muss hinzufügen, dass Neurofeedback keine Krankheiten heilt, sondern schlichtweg die Symptome nach einer Anzahl von Trainingssitzungen mildert. Wir zeigen, wie man mit vorhandenen Gehirnungleichgewichten besser umgehen kann.
TRT Deutsch: Wie hilft Neurofeedback bei Gehirnungleichheiten?
Goodman: Dazu muss man verstehen, welche Arten von menschlichen Gehirnwellen es gibt. Das Roh-EEG wird normalerweise in Frequenzbändern beschrieben, wobei man zwischen Gamma (größer als 30 Hz), Beta (13-30 Hz), Alpha (8-12 Hz), Theta (4-8 Hz) und Delta (weniger als 4 Hz) unterscheidet. Unser Gehirn verwendet beispielsweise 13 Hz, d.h. ein hohes Alpha bzw. niedriges Beta, für „aktive“ Intelligenz. Oft weisen Personen, die Lernschwierigkeiten und Aufmerksamkeitsprobleme haben, einen Mangel an 13 Hz-Aktivität in bestimmten Gehirnregionen auf. Das wirkt sich auf die Fähigkeit zur Durchführung von Sequenzaufgaben und mathematischen Berechnungen aus.
TRT Deutsch: Wie unterscheiden sich Delta-, Theta-, Alpha-, Beta- und Gamma-Frequenzen?
Goodman: Delta-Frequenzen sind mit 0,1 bis 3,5 Hz die niedrigsten Frequenzen überhaupt. Sie treten im Tiefschlaf und bei einigen abnormen Prozessen auf. Delta ist der dominante Rhythmus bei Säuglingen bis zu einem Jahr und tritt in den Schlafstadien 3 und 4 auf. Mit der höchsten Amplitude und den langsamsten Wellen verringern Delta-Wellen unser Bewusstsein von der physischen Welt. Im Delta-Zustand greifen wir auch auf Informationen in unserem Unterbewusstsein zu.
Mit 4 bis 8 Hz lassen sich Theta-Gehirnwellen als „langsame“ Aktivität klassifizieren. Theta tritt in Verbindung mit Kreativität, Intuition, Tagträumen und Fantasieren auf und ist ein Speicher für Erinnerungen, Emotionen und Empfindungen. Theta-Wellen sind stark bei innerer Konzentration, Meditation, Gebet und spirituellem Bewusstsein. Sie spiegeln den Zustand zwischen Wachheit und Schlaf wider und sind mit dem Unterbewusstsein verbunden.
TRT Deutsch: Und die Wachzustände?
Goodman: Dazu gehören Alpha, Beta und Gamma. Alpha-Wellen liegen zwischen 8 und 12 Hz. Ihre Produktion fördert die geistige Flexibilität, erleichtert die Koordination des Denkens und verbessert das allgemeine Entspannungsgefühl und die Müdigkeit. Im Alphazustand kann man schnell und effizient handeln, um Aufgaben zu erledigen. Alpha scheint das Bewusste mit dem Unterbewussten zu verbinden. Es ist der wichtigste Rhythmus im entspannten Erwachsenenalter. Schneller ist die Beta-Aktivität des Gehirns mit einer Frequenz von 14 Hz oder mehr – meist auf beiden Seiten in symmetrischer Verteilung mit stärkster Ausprägung im frontalen Bereich. Beta ist der dominierende Rhythmus bei Menschen, die wach, aufmerksam oder ängstlich sind oder die ihre Augen offen haben.
TRT Deutsch: Welche Frequenz fördert das Neurofeedback?
Goodman: Bei einigen physiologisch-motorischen Geräten bekommt die Person bis zu 16 Hz. Das fördert die Alpha-Gehirnwellen. Bei ADHS-Betroffenen etabliert sich zunehmend das Theta-Beta-Training als wertvolles Instrument – aber auch SCP (Slow Cortical Potentials). Es handelt sich dabei um langsame elektrische Gehirnaktivitätsveränderungen. Diese wechseln regelmäßig von negativ zu positiv und spielen eine wichtige Rolle bei der Aufmerksamkeitsregulierung. SCP eignet sich gut bei Problemen mit Stressregulation.
TRT Deutsch: Was dürfen wir von Neurofeedback in Zukunft erwarten?
Goodman: Unser Neurofeedback-Gehirntraining ist aktuell im Patentierungsprozess beim Umweltministerium und hat bereits Zuschüsse von der Regierung bekommen. Es ist definitiv keine Therapieform, die heilen kann. Als Methode trainiert Neurofeedback jedoch effektiv das Gehirn und ermöglicht, neue Gehirnzustände zu entdecken. In Kombination mit unseren Übungen lässt sich das Gehirn aktivieren und für neue Gedanken öffnen. Es ist so, als würden Sie neue Wege zur Arbeit oder zur Schule nehmen. Ihr Gehirn lernt das Lernen neu und erwirbt neue Ansätze zu denken.
Vielen Dank für das Gespräch, Frau Goodman.