Kartellamtschef: „Wettbewerbsrecht kann nicht alle Übel der Welt bekämpfen“
Bundeskartellamtschef Mundt erklärt im Gespräch mit TRT Deutsch, warum er die jüngste Novelle zum Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen für einen großen Wurf hält. Zudem erläutert er deren Bedeutung für die Digitalwirtschaft.
Andreas Mundt, Präsident des Bundeskartellamtes, im Gespräch. (Bundeskartellamt)

von Ali Özkök & Burcu Karaaslan Der Verwaltungsjurist Andreas Mundt ist seit 2009 Präsident des Bundeskartellamtes. In seiner Amtszeit wurden eine Vielzahl von Verfahren gegen internationale Großkonzerne geführt, etwa wenn ein Missbrauch von Marktmacht zu Ungunsten der Verbraucher drohte.

Im Interview mit TRT Deutsch erläutert Mundt, welchen konkreten Nutzen der Verbraucher von den oft hartnäckigen Bemühungen der Kartellwächter um den freien Wettbewerb hat – und warum ein zu zögerliches Vorgehen diesem schaden würde.

Sehr geehrter Herr Mundt, Sie hatten das Inkrafttreten des neuen Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen sehr entschieden begrüßt und erhoffen sich nun auch mehr Möglichkeiten für ein effektives Vorgehen gegen Missbrauch der Marktmacht. Was macht Sie diesbezüglich so zuversichtlich?

Es ist ja nicht so, dass wir bei null anfangen. Wir haben in der Vergangenheit schon viele erfolgreiche Verfahren geführt, worauf wir aufbauen können. Nehmen Sie unser Verfahren gegen Amazon, das wir im Jahr 2019 nach weniger als einem Jahr abgeschlossen haben. Das Verfahren gefällt mir besonders gut, weil wir in kurzer Zeit weitreichende Verbesserungen für Händler erreicht haben: Seitdem haftet Amazon gegenüber Händlern auf dem Marketplace. Davor war Amazon praktisch von jeglicher Haftung freigestellt. Amazon muss den Händlern eine Kündigungsfrist einräumen und Amazon muss eine Kündigung begründen. Und ganz wichtig: Die Händler auf dem Amazon Marketplace können seit unserem Verfahren gegen Amazon in Deutschland nach deutschem Recht vor deutschen Gerichten klagen. Das ging bis dahin nur in Luxemburg nach luxemburgischem Recht in französischer Sprache.

Oder nehmen Sie das Missbrauchsverfahren gegen Facebook: In diesem Verfahren geben wir Facebook im Grunde ja vor, dass die Daten, die Facebook sammelt - auf Facebook, auf Instagram, auf WhatsApp und auf Drittseiten - so nicht länger in einem einzigen Konto zusammengeführt werden, wenn ich als Nutzer in dies nicht einwillige. Nutzer sollen frei entscheiden können, ob ihre Daten da bleiben sollen, wo sie sind, nämlich auf ihrem WhatsApp-Account, auf ihrem Instagram-Account oder bei den Drittseiten und -apps. Das betrifft einen Faktor, der für die Marktmacht von Facebook schon bedeutend ist. Das Verfahren liegt jetzt beim Europäischen Gerichtshof.

Zuversichtlich macht mich auch, dass wir mit Paragraph 19a seit Anfang des Jahres eine neue gesetzliche Grundlage in der Missbrauchsaufsicht haben. Diese ist auch mit kürzeren Rechtswegen bei den Gerichten verbunden. Ich glaube, dass uns das noch effektiver und schneller machen wird.

Sie haben angekündigt, auch die Konfrontation mit den Riesen der Tech-Branche wie Facebook, Google oder Apple nicht zu scheuen und beispielsweise den App-Store oder das Betriebssystem iOS unter die Lupe nehmen zu wollen. Welche Konsequenzen hätte ein Erfolg deutscher oder europäischer Wettbewerbshüter für den Verbraucher?

Im Grunde geht es im Kern immer darum, dass die Verbraucher am Ende die Wahl haben: Sie können sagen „Ja, du darfst meine Daten haben und du darfst sie auch zusammenführen. Und dafür kriege ich dann vielleicht passende Werbung.“ Aber die Verbraucher sollen auch sagen können: „Nein, ich will deinen Dienst zwar nutzen, aber meine Daten musst du trotzdem getrennt halten, je nachdem, welche Dienste ich nutze.“ Wettbewerb sorgt immer für Auswahl. Ich habe nicht einen, auf den ich angewiesen bin. Ich habe nicht ein Geschäftsmodell, das ich einfach hinnehmen muss, sondern ich kann als Verbraucher sagen: Nein, das möchte ich anders haben. Und das Unternehmen macht mir dann auch ein anderes Angebot. Darum geht es im Wettbewerbsrecht und darum geht es im Grunde in all diesen Verfahren in ihrer ganzen rechtlich und ökonomisch komplizierten Verästelung.


Wie wägt das Bundeskartellamt in Fällen ab, in denen beispielsweise ein Akteur auf dem deutschen oder europäischen Markt eine marktbeherrschende Stellung erlangt oder erlangen könnte, die auf Kosten kleinerer Konkurrenten gehe - dieser aber seinerseits auf dem Weltmarkt ein kleinerer Akteur oder ein kleiner Akteur gemessen an Konkurrenten aus Asien oder Amerika ist? Das ist eine der schwierigen Fragen, die uns immer wieder bewegen. Wir haben Fälle, bei denen wir Fusionen, also das Zusammengehen von Unternehmen, prüfen, die in Europa eine sehr große Rolle spielen. Auf den Weltmärkten spielen diese Unternehmen aber vielleicht nicht dieselbe Rolle, sondern sind vergleichsweise klein. Ob dann dort Marktmacht gegeben ist oder nicht, ist nicht immer ganz leicht zu beantworten. Ich bin der Meinung, dass wir uns in jedem Einzelfall den Markt anschauen müssen, wie er ist. Wenn wir feststellen, dass die Kunden nur bei europäischen Unternehmen nachfragen, haben wir es wahrscheinlich mit einem europäischen Markt zu tun. In so einem Fall hätten die Kunden keinen Zugriff auf einen Weltmarkt. Eine Fusion, die dann den Wettbewerb auf europäischen Märkten erheblich behindert, müssten wir auch untersagen. Sonst käme es dazu, dass die Verbraucher in Europa benachteiligt werden, weil sie womöglich sehr viel höhere Preise zahlen, als es eigentlich notwendig wäre, wenn Wettbewerb und Ausweichoptionen bestehen. Daher müssen wir schon jeden Markt individuell angucken. Können Sie uns in kurzen Sätzen nochmal erklären, wo die Gefahr in Bezug auf Datenschutz, Datenmissbrauch oder wettbewerbswidrige Verhaltensweisen von diesen großen Social-Media- und Tech-Konzernen aus Ihrer Perspektive herrührt, damit es auch für jeden noch mal gut verständlich wird? Wettbewerb ist das Grundprinzip unserer Wirtschaft. Der Wettbewerb sorgt dafür, dass die Unternehmen innovativ sind. Sie müssen sich gegenüber ihren Wettbewerbern anstrengen, so dass die Qualität der Produkte stimmt. Wettbewerb sorgt auch dafür, dass die Preise niedrig sind, weil der Verbraucher sonst beim Wettbewerber kauft. Dieses Grundprinzip können Sie sehr gut auf die Tech-Unternehmen runterbrechen. Wir wollen mit dem Wettbewerbsschutz natürlich dafür sorgen, dass der Verbraucher gute Qualität bekommt. Und das bedeutet in diesem Fall vor allen Dingen, dass auch die Innovationskraft erhalten bleibt. Ein Unternehmen, das die Bedeutung hat wie die Tech-Giganten, die wir kennen, behauptet immer, innovativ zu sein. Ob sie es wirklich sind, wissen wir das? Vielleicht gibt es Start-ups, die viel innovativer sind, aber gar keine Chance haben, auf den Markt zu kommen, weil dort mit breiter Brust der Tech-Giganten aus den USA, aus China oder anderen Regionen der Zugang versperrt ist. Also mit anderen Worten: Wir profitieren vielleicht überhaupt nicht von positiven Entwicklungen, die möglich wären, weil dort ein Monopolist steht wie ein Monolith und sagt: Hier stehe ich und so machen wir es. Aber gerade deswegen sind wir da und sind auch so aktiv. Vielen Dank für das Gespräch!

TRT Deutsch