Historikerin: Schließung türkischer Schulen in Griechenland planmäßig
Im Interview mit TRT Deutsch kritisiert die Historikerin Pervin Hayrullah die Schließung türkischer Minderheitsschulen in Westthrakien. Die Unerwünschtheit von „Türken“ im Nordosten Griechenlands komme so zum Ausdruck.
Pervin Hayrullah, Geschäftsführerin der Non-Profit-Organisation „Kultur und Bildung der Minderheit von Westthrakien (Others)

Die Bildungsqualität der türkischen Minderheitsschulen sei mit Vorsatz von den griechischen Behörden herabgesetzt worden, damit Eltern ihre Kinder an staatliche Schulen schicken. Das behauptet die Historikerin Dr. Pervin Hayrullah.

Sie ist Gründerin und erste Sprecherin des 2008 gegründeten „Türkischen Frauenforums von Westthrakien.“ Neben ihrer Tätigkeit als Geschäftsführerin der Non-Profit-Organisation „Kultur und Bildung der Minderheit von Westthrakien“ vertritt sie Westthrakien bei den Themen Menschen- und Minderheitsrechte bei Organen wie dem Europäischen Rat, den Vereinten Nationen und der OSZE. Dr. Pervin Hayrullah veröffentlichte bisher zwei Bücher und fungierte bei neun Publikationen als Herausgeberin. Zudem schreibt sie für Zeitungen und Zeitschriften zu unterschiedlichen Themen.

Das griechische Bildungsministerium hat 12 Grundschulen der türkischen Minderheit in Westthrakien geschlossen. Wie sollte diese Entscheidung bewertet werden?

In den Bereichen der Bildung und grundlegenden Menschenrechte haben die Türken in Westthrakien seit Jahren ernsthafte Probleme. Diese Schwierigkeiten traten während der Zeit der Militärdiktatur von 1967-1974 offen zutage und gingen auch nach der Rückkehr Griechenlands zur Demokratie weiter. Die Unterrichtssprache in den türkischen Minderheitsschulen ist bilingual (Türkisch und Griechisch). Auch wenn die Unterrichtsqualität unter dem Bildungssystem zu leiden hatte, können die türkischen Schulen in Westthrakien als die Säulen des türkischen Kulturguts betrachtet werden. Die unter dem Vorwand sinkender Schülerzahlen durchgeführten Schulschließungen können als Indikator für die Unerwünschtheit von „Türken“ in der Region angesehen werden und diese Schließungen gehen seit 2010 planmäßig weiter.

Geografisch betrachtet sind diese Grundschulen voneinander nicht weit entfernt. Hätten diese Schulen nicht zusammengelegt werden können statt diese zu schließen?

Zu Beginn wurde die Anordnung nicht als Schulschließung, sondern als Zusammenlegung von Schulen erlassen. Das war am Anfang des Schuljahres 2010/2011. Selbst wenn es ursprünglich als Zusammenlegung gedacht war, zeigt es, dass keine gute Absicht damit verfolgt wurde, weil die Weisung ohne den notwendigen Aufbau einer Infrastruktur erteilt wurde. Sowohl die rückläufigen Schülerzahlen als auch die fehlenden qualifizierten Lehrer bei der Zusammenlegung von Schulklassen stellen für die türkische Minderheitenbildung ein ernsthaftes Problem dar. In demokratischen Gesellschaften ist es inakzeptabel, wenn man die Absicht bekundet, die Bildungsqualität fördern zu wollen, um dann keine weiteren Schritte zu unternehmen und unter Missachtung internationaler Verträge die Schulen zu schließen. Leider setzt Griechenland diese Praxis seit Jahren fort und zwingt die türkische Minderheit, in Isolation und Unwissenheit zu leben.

Was sind die wesentlichen Probleme der Schülerinnen und Schüler in den Minderheitsschulen in Westthrakien?

Vor Beginn des Schuljahres 2021/2022 ist die Zahl der noch aktiven Minderheitsschulen in Westthrakien auf 103 zurückgegangen. Gemäß den bilateralen Abkommen zwischen Griechenland und der Türkei gilt an diesen Schulen in der Muttersprache das türkische Curriculum und in der Amtssprache der griechische Lehrplan.

Die Bildung der Minderheit ist einer ständigen Intervention des Staates ausgesetzt. Dadurch haben sich im Ergebnis die autonomen Bildungsstrukturen grundlegend geändert und wegen dieser Veränderungen ist die Bildungsqualität stark zurückgegangen. Es wird durch ein komplexes, restriktives Gesetzespaket geregelt, das mit der empfindlichen Balance zwischen türkischem Curriculum und griechischem Unterricht nicht vereinbar ist.

In seiner derzeitigen Form kann das Bildungssystem der türkischen Minderheit den grundlegenden Bildungsbedarf nicht abdecken. Zahlreiche Experten und Pädagogen vertreten die Ansicht, dass die Qualität der Minderheitenbildung mit Vorsatz herabgesetzt wurde, um ein Gefühl der Verzweiflung zu erzeugen und die Eltern zu zwingen, ihre Kinder an staatliche Schulen zu schicken, was die Assimilation beschleunigen und vertiefen wird. Was auch immer die Gründe sein mögen, unter den aktuellen Umständen sind die Jugendlichen der Minderheitsgruppe zum Scheitern verurteilt. Diese Situation verstößt auch gegen die nationalen Bildungsstandards Griechenlands und schadet dem sozialen Gefüge der Gesellschaft. All das hat einen ziemlich einfachen Grund, denn die Minderheitsschulen bringen Bürger zweiter Klasse hervor.

Die Bemühungen der Regierung, die griechischen Lehrpläne der Minderheitsschulen unilateral mit technischen Beratungsdiensten, die durch EU-Mittel finanziert wurden, zu verbessern, haben nicht die erhofften Ergebnisse gebracht. Bei der EU wurden die vorbereiteten Projekte als Förderung von Minderheiten eingereicht. Wenn man allerdings den Sprach- und Wissensstand der Kinder im Rahmen des Bildungsniveaus untersucht, hat sich im Ergebnis nichts geändert.

Wenn wir kurz auf den Bildungsbedarf eingehen, kommen an erster Stelle der Mangel an fachlich qualifizierten Lehrern und ein recht alter griechischer und türkischer Lehrplan. Im Vergleich zu den staatlichen Schulen fehlt es den Minderheitsschulen an den Grundbedürfnissen und technischer Ausstattung und den politischen Verantwortlichen an dem nötigen guten Willen.

Auch das können wir mit einem Beispiel unterstreichen. Seit 2007 ist der Besuch eines Kindergartens in Griechenland zur Pflicht geworden. Aber der griechische Staat hat bei dem Bedarf an den Kindergärten der Minderheit und beim Unterrichten in der Muttersprache an diesen Schulen weder einen Versuch unternommen noch ein Statement dazu abgegeben. Alle Initiativen der Minderheiteneinrichtungen zur Eröffnung von Kindergärten sind seit Jahren unbeantwortet geblieben.

Griechenland weigert sich, die Ethnizität der Türken von Westthrakien anzuerkennen, und verwendet stattdessen den Begriff „griechische Moslems“. Verstößt diese Politik nicht gegen den Vertrag von Lausanne und internationale Verträge?

Seit Jahren beharrt Griechenland auf seiner Politik der Leugnung der türkischen Identität. Türkische Vereine werden verboten und Gerichte lehnen die Eintragung von türkischen Vereinen ab. Das wird unter Missachtung internationaler Verträge gemacht. Da der Lausanner Vertrag von einer „muslimischen Minderheit“ spreche, interpretiert es [Griechenland] die ethnische Identität als Bruch von Lausanne. Die türkische Identität der Minderheit wird jedoch in den Protokollen des Lausanner Vertrags und insbesondere in den „Etabli“-Dokumenten hervorgehoben. Griechenland zieht es vor, durch Wortspielereien die türkische Existenz in Westthrakien zu leugnen. Ferner wurde das Rahmenübereinkommen zum Schutz von nationalen Minderheiten zwar 1997 unterzeichnet, aber vom Parlament nicht verabschiedet und trat deshalb nicht in Kraft. In dieser Frage verfolgt Griechenland eine Politik, die sowohl bilaterale als auch internationale Verträge ignoriert.

Ein weiteres Problem ist die Ablehnung Griechenlands, die von den Türken in Westthrakien gewählten Muftis anzuerkennen. Stattdessen werden Religionsgelehrte von Griechenland selbst ernannt. Wie könnte dieses Problem gelöst werden?

Griechenland missachtet seit 1985 die religiöse Selbstbestimmung der Türken in Westthrakien. Als 1985 der Mufti von Gümülcine, Hüseyin Mustafa Effendi, verstarb, begann in Westhrakien die Mufti-Frage. Die türkische Minderheit forderte, die Wahl des Muftis selbst bestimmen zu dürfen, aber die politischen Entscheidungsträger entschieden sich für eine Ernennung. Erst einmal wurde „der Regent“ ernannt und 1990 erfolgte die eigentliche Berufung. Daraufhin ging die Minderheit dazu über, in Gümülcine und İskeçe ihre eigenen Muftis zu wählen und seit den 90er-Jahren existiert in der Region das Problem der Doppelbesetzung. Die Bevölkerung erkennt die selbst gewählten Muftis als amtliche Persönlichkeiten an und respektiert sie; der Staat zwingt dem Volk die ernannten Beamten auf. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat im Fall Şerif (14. Dezember 1999-Prozess Nr. 38178/97) und im Fall Ağa (17. Oktober 2003-Prozess Nr. 50776/99 & 52912/99) geurteilt, dass Griechenland gegen den Paragrafen 9 der Europäischen Konvention für Menschenrechte verstoßen hat.

Vielen Dank fürs Gespräch!