Symbolbild (TRT)
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Die Beziehungen zwischen der Türkei und Armenien sind seit der Unabhängigkeitserklärung Eriwans im Jahr 1991 von Höhen und Tiefen gekennzeichnet. Nun wagen die Nachbarländer nach einer diplomatischen Eiszeit neue Normalisierungsschritte. Dazu haben sich Gesandte der Türkei und Armeniens am Freitag in Moskau für erste Gespräche getroffen. Die Parteien vereinbarten, die Verhandlungen mit dem Ziel einer vollständigen Normalisierung ohne Vorbedingungen fortzusetzen, wie das türkische Außenministerium nach dem Treffen mitteilte.

Das Treffen zwischen dem türkischen Sondergesandten Serdar Kılıç und dem armenischen Sondergesandten Ruben Rubinyan sei positiv verlaufen, erklärte das Ministerium. „Während ihres ersten Treffens, das in einer positiven und konstruktiven Atmosphäre stattfand, tauschten die Sondergesandten erste Ansichten über den Normalisierungsprozess aus, der durch den Dialog zwischen der Türkei und Armenien durchgeführt werden soll“, hieß es. Die beiden Nachbarländer müssen dabei eine Reihe von Streitthemen abarbeiten. Diese umfassen unter anderem die Weigerung Armeniens, die gemeinsame Grenze mit der Türkei anzuerkennen, die völkerrechtswidrige Besetzung von Bergkarabach seitens Eriwan bis hin zu den Ereignissen von 1915 im Osmanischen Reich. Zusätzlich zu dieser heiklen Aufgabe muss Armenien Russland über die Entwicklungen informieren und die russischen Interessen wahren. Moskau gilt als Beschützer Armeniens und regionaler Rivale der Türkei. Die türkische Führung hingegen muss die Interessen des „Brudervolks“ in Aserbaidschan beachten, um die Beziehungen mit dem türkischsprachigen Partner nicht zu belasten. Aus diesem Grund koordiniert Ankara die Gespräche mit Eriwan so, dass Baku involviert ist. So versicherte der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu, dass die aserbaidschanische Regierung den Prozess unterstütze und die beiden Länder auch in dieser Sache gemeinsam handelten. Nicht umsonst fand das türkisch-armenische Treffen am 14. Januar statt – dem 30. Jahrestag zur Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen mit Aserbaidschan.

Ein überbeladener Bus im armenischen Eriwan während der schweren Wirtschaftskrise in den 90er Jahren (Wikipedia / CC BY-SA 4.0)

Positiver Anfang der türkisch-armenischen Beziehungen Die jüngsten Schritte sind nicht der erste Versuch, um das angeschlagene Verhältnis zwischen der Türkei und Armenien zu verbessern. Die Beziehungen nach der Unabhängigkeit Armeniens von der Sowjetunion könnten gar als positiv bewertet werden: Die Türkei war eines der ersten Länder, das den armenischen Staat anerkannte. Ankara schickte zudem nach dem sozialen und wirtschaftlichen Zerfall der Sowjetunion humanitäre Hilfe an Armenien, das nach der Unabhängigkeitserklärung mit ernsten Problemen zu kämpfen hatte. Auch auf politischer Ebene wollte die Türkei Armenien bei der Integration in regionale Organisationen, die internationale Gemeinschaft und die westlichen Institutionen unterstützen. Zu diesem Zweck lud die Türkei als Gründungsmitglied das Nachbarland zur Schwarzmeer-Wirtschaftskooperation ein. Die bilateralen Beziehungen verschlechterten sich jedoch rapide nach der armenischen Besetzung der Region Bergkarabach, die auch damals international als aserbaidschanisches Territorium anerkannt war. Die Türkei beendete 1993 als Reaktion den direkten Handel mit Armenien und schloss die Grenze zwischen den beiden Ländern. Die armenischen Machtbestrebungen endeten in einer politischen und wirtschaftlichen Isolation des Landes sowie einer erneuten Abhängigkeit von Russland. Bis heute belasten die Okkupation und armenischen Massaker an der aserbaidschanischen Bevölkerung die Beziehungen zur Türkei.

Aserbaidschanische Demonstranten erinnern 2019 an das Chodschali-Massaker (AA)

Briefwechsel und „Fußballdiplomatie“

Zwölf Jahre später gab es erneut Hoffnung auf einen Frieden in der Region. 2005 sandte der damalige türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan einen Brief an den damaligen armenischen Präsidenten Robert Kotscharjan, um die Probleme zwischen der Türkei, Aserbaidschan und Armenien mit einem Dialog zu lösen. In dem Schreiben schlug der türkische Ministerpräsident auch die Einrichtung einer gemeinsamen Historikerkommission zur Überprüfung der Ereignisse von 1915 vor.

Insbesondere durch die armenische Diaspora angetrieben, sind die gegenseitigen Tötungen zwischen Armeniern und Türken noch heute ein Streitthema zwischen den Staaten. Der armenische Staat lehnt bislang eine Historikerkommission grundsätzlich ab und fordert stattdessen von der Türkei eine einseitige politische Aufarbeitung der Ereignisse von 1915 sowie einseitige Schuldbekenntnisse.

So lehnte auch Kotscharjan den Vorschlag von Ankara zur historischen Aufarbeitung durch eine Expertenkommission ab. Er schlug stattdessen einen politischen Dialog auf hoher Ebene vor, um die Beziehungen zwischen den beiden Ländern schrittweise zu normalisieren.

Diesen Vorschlag nahm 2008 der damalige türkische Präsident Abdullah Gül als Gelegenheit wahr und gratulierte seinem armenischen Amtskollegen Sersch Sargsjan zu seinem Wahlsieg. Sargsjan lud kurz darauf Gül überraschend ein, sich das WM-Qualifikationsspiel zwischen der Türkei und Armenien in Eriwan gemeinsam anzusehen.

Armenische Fußballfans während des WM-Qualifikationsspiels zwischen Armenien und Türkei (DPA)

Gül wurde mit diesem Besuch zum ersten türkischen Präsidenten, der Armenien nach dessen Unabhängigkeit besucht hatte. Damit begann die „Fußballdiplomatie“ und der armenische Präsident erwiderte den Besuch seines türkischen Amtskollegen daraufhin beim Rückspiel der WM-Qualifikation. Die Hoffnung auf Frieden in der Region wuchs.

Die Zürcher Protokolle und der interne Widerstand Die russische Invasion in Georgien hatte große Besorgnis bei den Kaukasusstaaten und ihren Nachbarn ausgelöst. Moskaus Angriffskrieg beschleunigte zugleich den türkisch-armenischen Austausch. Die gegenseitigen Bemühungen führten letztlich zu den sogenannten Zürcher Protokollen. Die damaligen Außenminister beider Länder, Ahmet Davutoğlu und Edward Nalbandjan, unterzeichneten am 10. Oktober 2009 in Zürich zwei Protokolle zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen. Vereinbart wurde ein Fahrplan für den Normalisierungsprozess, der unter anderem vorsah, die türkisch-armenische Grenze zwei Monate nach Inkrafttreten des Protokolls zu öffnen. Die Türkei übermittelte die Protokolle dem Parlament zur Genehmigung, während Armenien sie dem Verfassungsgericht vorlegte. Obwohl das armenische Gericht am 12. Januar 2010 entschied, dass die Protokolle verfassungsmäßig genehmigt werden könnten, wurden sie letztendlich abgelehnt. So bedeute die Ratifizierung der Protokolle im Endeffekt nicht die offizielle Anerkennung der türkisch-armenischen Grenze. Armenien erhob infolge weiterhin Gebietsansprüche ein die Türkei - ein schwerer Rückschlag für die diplomatischen Bemühungen.

Archivbild. 15. Februar 2020 - München, Deutschland: Aserbaidschans Präsident Ilham Aliyev trifft beim Münchner Sicherheitskonferenz Armeniens Premierminister Nikol Paschinjan. (Azertac)

Verschiedene Ausgangslagen Die armenische Diaspora, die Kirche und die nationalistischen Parteien im Land kritisierten die Protokolle ebenfalls sehr scharf und lehnten eine Umsetzung strikt ab. Die türkische Opposition hingegen sah das Parlament und die restlichen Parteien vom Prozess ausgeschlossen, weshalb sie der Regierung kein Vertrauen schenkte. Zudem wurde die Lösung des Bergkarabach-Konflikts als Vorbedingungen gefordert. Auch wurde die Weigerung Armeniens, die türkischen Grenzen anzuerkennen, scharf kritisiert. Infolge des internen politischen Drucks verschwanden die Protokolle in den Schubladen. Ob sich der Frieden diesmal durchsetzen kann, bleibt fraglich. Aktuell sieht die Ausgangssituationen für die jeweiligen Länder unterschiedlich aus. Der türkische „Bruderstaat“ Aserbaidschan konnte die armenische Okkupation in Bergkarabach größtenteils beenden. Infolgedessen hat der armenische Staat mit einer schwerwiegenden politischen und wirtschaftlichen Krise zu kämpfen. Ein Normalisierungsprozess, der die regionale Isolation Armeniens aufheben würde, würde daher auch der armenischen Regierung in die Hände spielen und zugleich neue Perspektiven für den gesamten Kaukasus eröffnen.

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